Wirtschaft verliert nur leicht an Schwung

Wirtschaft verliert nur leicht an Schwung

Publiziert am Autor: Peter Rohner, Finanz und Wirtschaft

Weltweit sind die Einkaufsmanagerindizes für die Industrie im November überwiegend robust ausgefallen. Vor allem Lieferengpässe bremsen die Geschäfte.

Es fehlt nicht an Gefahrenherden für den weltweiten Aufschwung. Bislang geben vor allem die globalen Lieferengpässe Grund zur Sorge. Inzwischen bereiten aber auch die hohe Inflation und die neue Coronavirusvariante Wirtschaftsforschern Kopfzerbrechen. Das Schweizer Forschungsinstitut Bak Economics warnt bereits: «Omikron könnte das Schweizer Wirtschaftswachstum im Jahr 2022 auf 1,3% drücken.» 

Die viel beachteten Einkaufsmanagerindizes in der Industrie (Purchasing Managers’
Index, PMI) signalisieren indes, dass die Konjunktur in den meisten Ländern immer noch kräftig ist. In der Mehrzahl der 22 in der Infografik aufgeführten Länder hat sich der PMI im November gegenüber Oktober verbessert. Der globale, nach Wirtschaftsleistung gewichtete Industrie-PMI ist minimal von 54,3 auf 54,2 im November gesunken. Werte über 50 signalisieren Wachstum, Werte darunter
eine Kontraktion. 

Italien führt im Euroraum

Im Euroraum hat sich das Wachstum der Industrie stabilisiert. Nach vier Rückgängen in Folge erholte sich der PMI minimal auf 58,4. Haupthindernis bleiben die Lieferengpässe. Das zeigt sich, wenn man die einzelnen Branchen betrachtet. In den Vorleistungs- und Investitionsgütersektoren setzte sich die Abkühlung fort, dagegen ging es in der Konsumgüterindustrie mit Beschleunigung aufwärts.

Die PMI unterstreichen, dass das Wachstumstempo in der Industrie weiterhin hoch ist. Auf Länderebene reicht es von robust bis ausgesprochen stark. Am besten schneidet inzwischen Italien ab: Der PMI ist im November auf ein dort nie zuvor erreichtes Niveau von 62,8 gestiegen. Produktion und Auftragseingang verbesserten sich deutlich. Das hat auch Folgen für den Arbeitsmarkt: Die Industrieunternehmen stellen zusätzlich Personal ein. Zur guten Stimmung trägt sicher der mehrjährige milliardenschwere Investitionsplan im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds «Next Gen EU» bei. Aber nicht nur, denn in Spanien – nach Italien der zweitgrösste Empfänger der Gelder – schwächte sich der PMI im November auf ein Achtmonatstief ab. Ausser Italien verzeichnen auch die Niederlande und Irland hohe Steigerungsraten der Produktion.

In den übrigen Eurostaaten verlangsamt sich das Wachstum. Besonders gedämpft fiel die Produktion im November erneut in Deutschland, Frankreich und Österreich aus. In Deutschland blieb sie nahe am Sechzehnmonatstief vom Oktober. Der Industrie-PMI verschlechterte sich von 57,8 auf 57,4 im November. Zahlreiche Hersteller müssen wegen Materialmangels und fehlender Teile ihre Fertigung drosseln. Das Institut IHS Markit, das den PMI erhebt, weist allerdings darauf hin, dass die Anzahl der Neuaufträge die Produktionsrate übertrifft, sodass der Auftragsbestand der deutschen Industrie zunimmt. Die Engpässe und Knappheiten haben zur Folge, dass sich Materialkosten, Vorleistungen und Lieferungen verteuern. Die PMI-Erhebung bestätigt, dass die Industrieunternehmen in den meisten Ländern
die steigenden Inputkosten an die Kunden weiterreichen. Die Verkaufspreise steigen
fast überall substanziell. In Deutschland und Frankreich wurden im November beispielsweise Rekordraten erreicht.

Schweiz schwächer

In der Schweiz hat sich ausgehend von einem hohen Niveau sowohl in der Industrie als auch in den Dienstleistungssektoren die Stimmung eingetrübt. Der
Industrie-PMI sank von 65,4 auf 62,5, der Dienstleistungs-PMI von 59,4 auf 58. Die
Industrieproduktion wird trotz solidem Auftragsbestand nur noch wenig gesteigert.
Gemäss Credit Suisse und Procure.ch, die den PMI in der Schweiz veröffentlichen,
ist das ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Lieferschwierigkeiten die
Geschäfte der Unternehmen zunehmend behindern. Eine rasche Entspannung sei
nicht in Sicht. 

Auch das Kof-Konjunkturbarometer – der wichtigste vorlaufende Indikator für das Schweizer Bruttoinlandprodukt – ist im November gefallen. Der Index nahm
1,7 Punkte auf 108,5 ab, befindet sich damit aber noch deutlich über dem langfristigen Durchschnitt des BIP-Wachstums (Index = 100). Die ETH-Konjunkturforschungsstelle Kof ist zuversichtlich: «Die Aussichten für die Schweizer Konjunktur bleiben positiv, sofern das Wirtschaftsgeschehen nicht durch eine erneute Ausbreitung des Virus beeinträchtigt wird.» Bak Economics befürchtet bereits, dass die Omikron-Variante das Schweizer BIPWachstum nächstes Jahr halbieren wird, von rund 3% auf 1,2%.

In Nordamerika setzt sich der Boom fort. In den USA nahm der Industrie-PMI
des Institute for Supply Management (ISM) gegenüber Oktober minimal auf
61,1 zu. Die Nachfrage ist kräftig. Der Teilindex für die Auftragseingänge legte von
59,8 auf 61,5 zu. Ebenso stieg die Produktion. Aber viele Industrieunternehmen
haben mit Zulieferproblemen zu kämpfen. Ausserdem fehlen Arbeitskräfte, wie
Chris Williamson, Chefökonom von IHS Markit, betont. Der Teilindex nahm 3,3
Punkte auf 85,7 ab. Das ist noch keine Trendwende an der Inflationsfront. «Die
Zahlen deuten darauf hin, dass es im Vergleich zumVormonat doch Lichtblicke sowohl
beim Personalangebot als auch bei den Zulieferungen gibt», teilt das ISM mit.

Kanadas Industrie-PMI fiel zwar im November leicht tiefer aus, aber die Unternehmen
beschleunigten ihre Produktion mehr als in den vergangenen drei Monaten.
Lieferengpässe sind derzeit die einzigen potenziellen Bremsklötze. Die Unternehmen
sind zuversichtlich, dass sich das 2022 bessern wird.

Japan vor Korea

Überraschend kräftig läuft die Industriekonjunktur in Japan. Im November verbesserte sich der PMI auf 54,5, den höchsten Stand seit Januar 2018. Sowohl das
Produktions- als auch das Auftragswachstum beschleunigte sich. Japans Industrieunternehmen stellen zudem mehr Beschäftigte ein.

Sie erhöhen ihrenVorsprung gegenüber den Konkurrenten in Südkorea. Zwar verbesserte sich auch die Stimmung der koreanischen Industrie leicht. Der PMI avancierte im November von 50,2 auf 50,9. Aber die Subkomponenten der Umfrage signalisieren, dass dort der Gegenwind zunimmt. Das wundert wenig angesichts der grossen Bedeutung der Auto- und Halbleiterindustrie, die beide von Angebotsengpässen betroffen sind. Die Produktion nahm den zweiten Monat in Folge ab, wenngleich etwas weniger als im Oktober gemeldet.

In den wichtigsten Schwellenländern ist die Lage unterschiedlich. Während der
PMI in Brasilien im November unter die Schwelle von 50 rutschte und in Russland
auf 51,7 praktisch gleich blieb, schoss er in Indien überraschend von 55,9 auf
57,6 nach oben. 

Chinas Konjunkturzyklus befindet sich indes am Scheideweg. Die Erholung verlor
bereits vor Monaten an Fahrt. Lieferengpässe und Stromausfälle bremsten die Dynamik. Im Industriesektor stehen die Zeichen auf Stagnation. Der PMI des Medienunternehmens Caixin ist im November auf 49,9 gefallen, der offizielle PMI aus Peking dagegen von 49,2 auf 50,1 gestiegen.

Die beiden Umfragen unterscheiden sich in ihrer Stichprobe: Im Caixin-Index
sind kleinere, exportorientierte Betriebe besser vertreten. Der Mittelwert der beiden
Indizes liegt exakt auf der Wachstumsgrenze von 50. Allerdings signalisieren
beide Indizes, dass die Produktion erstmals seit Monaten leicht zunimmt, weil
sich die Situation bei der Stromversorgung entspannt hat. Allerdings fallen die Neubestellungen und die Exporte leicht.

Quelle: Finanz und Wirtschaft vom 4. Dezember 2021