Wie Astronauten die Kunst des Möglichen meistern
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Laura, du sprichst ja an der Frühjahrstagung 2024 zum Thema «from perfection to excellence». Wie unterscheidest du Perfektion und Exzellenz?
Perfektion und Exzellenz sind grundverschieden, obwohl sie oft verwechselt werden. Perfektionismus ist das Streben nach einem fehlerfreien Zustand, einer utopischen Idee, die in der Realität schwer zu erreichen ist. Perfektionisten neigen dazu, sich auf Fehler und Mängel zu konzentrieren, oft zulasten des Gesamtbildes. Sie richten ihre Aufmerksamkeit nach aussen und suchen die Schuld bei anderen, wenn etwas nicht nach Plan läuft. Exzellenz hingegen ist ein realistischeres Konzept. Es geht nicht darum, fehlerfrei zu sein, sondern das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Exzellenz bedeutet, die eigenen Stärken zu erkennen und zu nutzen, kontinuierlich zu lernen und sich zu verbessern. Es akzeptiert, dass menschliche Fehler und Unvollkommenheiten Teil des Wachstums- und Lernprozesses sind. Im Kontext der Astronautenauswahl suchen wir nach Individuen, die Exzellenz anstreben, die bereit sind, aus Fehlern zu lernen und sich ständig zu verbessern, anstatt nach unerreichbarer Perfektion zu streben.
Wie hält man sich hier auf Kurs?
Exzellenz zu verfolgen bedeutet, kontinuierlich an sich selbst zu arbeiten und sich an Veränderungen anzupassen. Nehmen wir das Beispiel des Fliegens eines Helikopters: Ein Pilot muss ständig auf Veränderungen reagieren, kleine Steuermanöver durchführen und auf unvorhergesehene Ereignisse eingehen. Dies erfordert Flexibilität und die Fähigkeit, schnell zu denken und zu handeln. In ähnlicher Weise müssen wir im Leben und in der Arbeit diese Anpassungsfähigkeit zeigen. Es geht darum, proaktiv zu sein statt nur auf Herausforderungen zu reagieren. Bei der Exzellenz geht es um das Erkennen der eigenen Verantwortung in jeder Situation und um die Fähigkeit, Herausforderungen als Gelegenheiten zur Verbesserung zu sehen. Dies bedeutet, dass man offen für Feedback sein muss, bereit, aus Fehlern zu lernen und ständig nach Wegen sucht, sich selbst und die eigenen Prozesse zu verbessern.
Siehst du Unterschiede zwischen Firmen und Raumfahrt im Risikomanagement?
Risikomanagement in der Raumfahrt und in Unternehmen unterscheidet sich grundlegend durch die unmittelbaren Konsequenzen von Fehlern. In der Raumfahrt sind die Auswirkungen von Fehlentscheidungen oft sofort spürbar und können gravierende, manchmal sogar lebensbedrohliche Konsequenzen haben. Im Gegensatz dazu werden Fehler in Unternehmen oft nicht sofort erkannt und ihre Auswirkungen manifestieren sich meist erst über einen längeren Zeitraum. Daher ist in der Raumfahrt eine akribische Planung und Vorsicht unerlässlich. Jede Entscheidung, jede Handlung muss sorgfältig abgewogen und auf mögliche Risiken hin untersucht werden. Diese Art von Risikobewusstsein und die Fähigkeit, vorausschauend zu denken, wären auch in der Geschäftswelt von grossem Nutzen, insbesondere in Bereichen, wo Entscheidungen langfristige Auswirkungen haben können.
Was fasziniert dich an der Raumfahrt?
Die Raumfahrt fasziniert mich auf mehreren Ebenen. Es ist die ultimative Grenze der menschlichen Erkundung und Innovation. Als Physikerin fasziniert mich die Komplexität der Herausforderungen in der Raumfahrt. Es geht nicht nur darum, fortschrittliche Technologien zu entwickeln, sondern auch darum, wie Menschen in extremen, ausserirdischen Umgebungen überleben und arbeiten können. Das erfordert Kreativität, Anpassungsfähigkeit und eine ständige Bereitschaft zu lernen. Zudem bietet die Raumfahrt eine einzigartige Perspektive auf unseren Planeten und unser Verständnis vom Universum. Sie zwingt uns, über unseren Tellerrand hinauszublicken und erinnert uns an unsere Verantwortung, unseren Planeten zu bewahren. Darüber hinaus ist es die Zusammenarbeit über Grenzen und Kulturen hinweg, die die Raumfahrt besonders macht. Sie vereint Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Fähigkeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Wie wichtig ist Diversität in Raumfahrtteams?
Diversität ist von entscheidender Bedeutung. Unterschiedliche Perspektiven und Hintergründe bringen neue Ideen und Ansätze mit sich, die für die Lösung komplexer Probleme unerlässlich sind. In der Vergangenheit waren Raumfahrtteams oft sehr homogen, was zu einer gewissen Einseitigkeit in Denk- und Problemlösungsansätzen führte. Heute erkennen wir, dass Teams, die verschiedene Geschlechter, Kulturen und Disziplinen repräsentieren, besser gerüstet sind, um kreative und innovative Lösungen zu finden. Diese Vielfalt bereichert nicht nur das Team, sondern trägt auch zu einer inklusiveren und repräsentativeren Raumfahrt bei.
Gibt es spezielle Trainingsstandards in der Raumfahrt, die im Geschäftsleben nützlich sein könnten?
Ja, es gibt mehrere Aspekte des Astronautentrainings, die auch für das Geschäftsleben relevant sind. Ein zentraler Punkt ist das Konzept des le-
benslangen Lernens. Astronauten müssen bereit sein, ständig neue Fähigkeiten zu erlernen und ihr Wissen kontinuierlich zu erweitern. Diese Einstellung könnte auch in der Geschäftswelt von grossem Vorteil sein, insbesondere in einer sich schnell verändernden Welt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Training in Stressmanagement und Teamarbeit. Astronauten lernen, in Hochdrucksituationen effektiv zu kommunizieren und zusammenzuarbeiten. Diese Fähigkeiten sind auch in jeder Arbeitsumgebung von grosser Bedeutung. Darüber hinaus fördert das Astronautentraining die Fähigkeit zu Problemlösung und Kreativität, indem es die Teilnehmer herausfordert, über traditionelle Methoden hinauszudenken und innovative Lösungen für komplexe Probleme zu finden.
Was können Astronauten von anderen Fachkräften lernen?
Eine spannende Frage, die mir so noch nie gestellt wurde. Ein wichtiger Lernbereich ist die interkulturelle Kompetenz. Astronauten arbeiten in internationalen Teams, wo jede Person ihre eigene Kultur, ihre Werte und Arbeitsweisen mitbringt. Die Fähigkeit, kulturelle Unterschiede zu verstehen und zu respektieren, ist nicht nur für die Harmonie innerhalb des Teams wichtig, sondern auch für die erfolgreiche Durchführung von Missionen. Ein weiterer Aspekt ist die emotionale Intelligenz. Astronauten müssen in der Lage sein, ihre eigenen Emotionen zu verstehen und zu regulieren sowie empathisch auf die Emotionen ihrer Kollegen reagieren zu können. Das kann in stressigen Situationen, wie sie im Weltraum häufig vorkommen, entscheidend sein. Auch die Fähigkeit zur Konfliktlösung ist von immenser Bedeutung. Kleinere Meinungsverschiedenheiten können in der isolierten Umgebung eines Raumschiffs schnell eskalieren. Astronauten können von Führungskräften, Mediatoren oder sogar von Kindern lernen, wie man Konflikte auf eine Weise löst, die für alle Beteiligten akzeptabel ist. Schliesslich ist auch Kreativität ein wichtiger Lernbereich. In einer Umgebung, in der man nicht einfach einen Techniker rufen kann, wenn etwas kaputtgeht, müssen Astronauten lernen, kreativ mit den verfügbaren Ressourcen umzugehen und Probleme eigenständig zu lösen. Hier können sie von Künstlern, Ingenieuren oder Handwerkern lernen, die oft mit begrenzten Mitteln Grosses erreichen. Diese Vielfalt an Lernerfahrungen trägt dazu bei, sie nicht nur zu besseren Astronauten, sondern auch zu vielseitigeren und resilienteren Menschen zu machen.
Welches ist deine zentrale Erkenntnis, basierend auf deinen Erfahrungen und Lernprozessen als Astronautentrainerin?
Dass wir alle Teil eines viel grösseren Universums sind. Die Perspektive vom Weltraum lässt eine Sicht auf das «grosse Ganze» zu und zeigt uns, wie eng verbunden und abhängig wir voneinander und von unserem Planeten sind. Meine zentrale Erkenntnis wäre daher, dass Kooperation, Respekt für unsere Umwelt und für einander, über kulturelle und nationale Grenzen hinweg, der Schlüssel für eine nachhaltige Zukunft sind. Wir sollten die Kreativität und Anpassungsfähigkeit, die wir im Weltraum lernen, nutzen, um auf der Erde Lösungen für globale Herausforderungen zu finden.