Wettbewerbsvorteil: Kaizen im Einkauf

Wettbewerbsvorteil: Kaizen im Einkauf

Publiziert am Autor: Marc Helmold, Tracy Dathe

Auch Sushi wird in Japan nach dem Kaizen-Prinzip hergestellt.

Global ausgerichtete Lieferketten – das zeigen die vergangenen Monate schonungslos auf – müssen zwingend transparent sein, um neuralgische, existenzbedrohende Risiken ausfindig zu machen und diese auszumerzen. Das gelingt jedoch nur, wenn alle im Beschaffungsnetzwerk eingebundenen Partner ein gemeinsames Verständnis von Zielen, Projekten und Vorgehen haben. Kaizen ist hierfür ein vielversprechender Lösungsansatz.

Sei es Covid-19 oder aktuell der Krieg in der Ukraine – immer wieder wird uns aufgezeigt, wie verflochten und damit volatil der globale Handel ist. Die dementsprechende Fragilität der weltweiten Lieferketten ist eine logische Folge davon.

Die zunehmende globale und vor allem ­digitale Verknüpfung entlang der Wert­schöpfungsketten vom Abnehmer bis zum Rohstofflieferanten, eingeschlossen aller zentralen Wertschöpfungsteilnehmer bzw. der Stakeholder, ermöglicht einen nahezu uneingeschränkten Austausch von Daten und Informationen. Das wiederum ergibt eine damit einhergehende maximale Transparenz über einen Grossteil der wertschöpfenden Aktivitäten innerhalb von weltumspannenden Lieferketten. 
Das wirft die Frage nach der zukünftigen Generierung von Wettbewerbsvorteilen von Produktions-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen auf.

Kaizen als Wettbewerbsvorteil

Natürlich ist es wünschenswert, dass diese Wettbewerbsvorteile nachhaltig ausgelegt sind. Doch noch existenzieller sind kurzfristige Lösungsansätze, denn viele Unternehmen kämpfen auch aktuell wieder mit gewaltigen Einbrüchen bei Auftragseingang und Umsatz. Das wiederum hat dramatische Folgen, wenn es um die Liquidität geht. Um aber die Liquidität zu sichern, müssen Massnahmen zur kurzfristigen Kostensenkung eingeleitet werden.

Neben der Transparenzmachung von Lieferketten durch Wertstromanalysen sind Kaizen oder die schlanken Prinzipien entlang der Lieferanten- und Wertschöpfungsketten geeignete Tools, um die Unternehmensziele zu erreichen. Kaizen und Lean Management umfassen zahlreiche Tools, mit denen Verschwendung – also Prozesse, Aktivitäten oder Produkte, für die der Kunde nicht bereit ist zu zahlen – eliminiert wird. Dazu gehören beispielsweise das 5S-Konzept, das Ziehprinzip, das Taktprinzip, die Null-Fehler-Philosophie oder das Fliessprinzip. 

Kaizen ist sowohl eine japanische Lebens- und Arbeitsphilosophie als auch ein methodisches Konzept, in deren Zentrum das Streben nach kontinuierlicher und unendlicher Verbesserung steht. Die Verbesserung erfolgt in einer schrittweisen, punktuellen Perfektionierung oder Optimierung eines Produkts oder eines Prozesses. 

Und im Einkauf?

Gerade im Einkauf und auch auf der Lieferantenseite (upstream) ist es für Unternehmen zwingend notwendig, das Kaizen-Prinzip als Einkaufstool und Wettbewerbsvorteil anzuwenden. Das ermöglicht ihnen, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren und Randkompetenzen an Wertschöpfungsnetzwerke auszulagern. Daher müssen die Lieferanten in den Kaizen-Prozess miteinbezogen werden. 

Der integrative Ansatz von der Kunden­bestellung über die Planung, Beschaffung, Produktion und Logistik bis hin zum umgekehrten Logistikprozess ermöglicht es den Unternehmen, Entscheidungen für das Management ihrer Geschäftshandlungen zu treffen. 

Darüber hinaus entstehen – aufgrund der Konzentration auf Kernkompetenzen und der Zuordnung von nicht zum Kerngeschäft gehörenden Wertschöpfungsaktivitäten zu Versorgungsnetzwerken – neue Prozesse und Abläufe, die auch bewältigt werden müssen. 

Schrittweiser statt radikaler Prozess

Ein bedeutender Unterschied zwischen Kaizen und westlich geprägten Managementmethoden besteht darin, dass Kaizen automatisch mit einer prozessorientierten Denk­weise verbunden ist. Verbesserungen werden in kleinen Schritten kontinuierlich erzielt. 

Kaizen ist daher eine Methode inkrementeller Verbesserungen, indem die Mitarbeitenden aufgefordert werden, laufend kleine Änderungen in ihrem Arbeitsbereich vorzunehmen. Der kumulative Effekt dieser vielen kleinen Änderungen im Laufe der Zeit kann sehr bedeutend sein, insbesondere dann, wenn alle Mitarbeitenden eines Unternehmens und seine Führungskräfte Kaizen verpflichtet sind. 

Obwohl Kaizen zuerst verwendet wurde, um die Effizienz von Herstellungsprozessen zu steigern, ist es nicht nur auf diese Anwendung beschränkt. Das Konzept gilt gleichermassen für viele Arten von Organisationsfunktionen wie etwa Einkauf, Vertrieb, Buchhaltung, Engineering und Kundendienst sowie für die Verbesserung der Effizienz von Geschäftsmodellen und Lieferketten, die über das Unternehmen hinausgehen. 

Kaizen wird schrittweise vollzogen, während Innovationen als radikale Änderungen angesehen werden, die daher auch grössere finanzielle Mittel und Ressourcen benötigen. Investitionen sind deshalb meist mit grösseren Anschaffungskosten verbunden, die vom Management genehmigt werden müssen. Entgegen der Kaizen-Philosophie (Bottom-up) werden Innovationen gezielt vom Management geplant und angewiesen, oft mithilfe von Projektteams oder auch Beratern (Top-down).

Lieferanten einbinden

Durch die Konzentration auf Kernkompetenzen und Leistungsverlagerungen auf Lieferantennetzwerke, die im Wettbewerb zueinanderstehen, entstehen neue Leitbilder, Strategien und Abläufe. Der Fokus liegt somit schon lange nicht mehr innerhalb der eigenen Produktion, sondern auf die Anwendung der schlanken Prinzipien entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 

Kaizen kann mithilfe der Lieferantenentwicklung in Kollaboration mit Lieferanten durchgeführt werden. Steht das Unternehmen erst am Anfang dieser Entwicklung, so empfiehlt es sich, Schlüssellieferanten in die eigene Wertschöpfungskette mit einzubinden. Als Lieferantenentwicklung wird der direkte Eingriff, beispielsweise eines Autoherstellers bei einem Zulieferbetrieb, bezeichnet. Die Lieferantenentwicklung dient der Leistungsverbesserung innerhalb der Wertschöpfungskette.

Integrativer Teil des Lean Management 

Das Lean Management zielt ab auf die Optimierung und Implementierung schlanker Fertigungsmethoden und die Reduzierung von Durchlaufzeiten entlang der gesamten Wertschöpfungskette. 

Durchlaufzeiten werden so aufgrund der vollständigen Eliminierung von Verschwendung (japanisch Muda) reduziert. Verschwendungsarten lassen sich unterteilen in offene und versteckte Verschwendung. 

Offensichtliche (offene) Verschwendung beinhaltet alle Tätigkeiten und Aktivitäten, die offensichtlich nicht notwendig sind, um dem Produkt einen Mehrwert hinzuzufügen. Der Kunde ist nicht bereit, für diese ­Aktivitäten ein Entgelt zu entrichten und diese zu bezahlen.

Die verdeckte Verschwendung umfasst Tätigkeiten, die keinen Wertzuwachs bringen, aber unter den gegebenen Umständen getan werden müssen. Auch für diese Aktivitäten sieht der Kunde keinen Grund, zu bezahlen. Alle anderen Aspekte (dem Produkt Wert zuführende Aktivitäten) stellen wertschöpfende Tätigkeiten dar und werden vom Kunden getragen. 

Marc Helmold

Der Autor ist Unternehmensberater und Professor für Allgemeine BWL, Strategisches Management, Produktion, Qualität, Performance Management und internationale Verhandlungen an der IU Internationale Hochschule am Campus Berlin. 

Tracy Dathe

Die Autorin ist Unter­nehmensberaterin und Professorin für Business Management an der Hochschule Macromedia am Campus Berlin.