Vorbereitungen auf Energiemangellage sind weit fortgeschritten

Vorbereitungen auf Energiemangellage sind weit fortgeschritten

Publiziert am Autor: Claude Maurer

In der Schweiz dürfte das Wachstum schwächeln, aber eine Rezession vermieden werden. Insbesondere der private Konsum bleibt robust, während die Industrie durch das schwierige internationale Umfeld ausgebremst wird. Das Risiko einer Energiemangellage hat zumindest abgenommen – auch dank der bereits ergriffenen Massnahmen.

Die Schweizer Wirtschaft präsentiert sich im internationalen Vergleich als robust und Vorlaufindikatoren wie der Einkaufsmanagerindex deuten nach wie vor auf Wachstum hin. Aufgrund der Vollbeschäftigung ist die Erwerbssituation der Haushalte trotz verbreiteter Konjunktursorgen weiterhin gut – und Erstere ist in der Regel entscheidend für den Konsum. 

Darüber hinaus vermag die Inflation die Kaufkraft hierzulande insgesamt nicht zu schmälern. Zudem beschleunigt die Zuwanderung wieder, was das Konsumwachstum stützt. 

Derweil schlagen die hohen Grossmarktpreise für Energie aufgrund der Preisregulierung und der geringen Bedeutung der Energie am Haushaltsbudget nur abgeschwächt auf das Konsumverhalten durch. Die Inflation dürfte im Sommer ihren Höhepunkt überschritten haben, was es der Schweizerischen Nationalbank erlauben wird, ihren Zinserhöhungszyklus bald zu beenden. Die Industriekonjunktur wird derweil durch das schwierige internationale Umfeld, die Unsicherheiten bezüglich Versorgungslage und die hohen Energiepreise ausgebremst. 

Strommangellage weniger akut 

Die hohen Lagerbestände an Gas in der Eurozone, die hohen Preise sowie die milde Witterung haben zumindest das Risiko einer Mangellage im europäischen Gasmarkt verringert, was auch dem Strommarkt auf dem alten Kontinent zum Vorteil gereicht. 

Hinzu kommt, dass die französischen Kernkraftwerke auf absehbare Zeit wieder ans Netz kommen, während Deutschland doch noch einige Werke weiterhin am Netz lässt und damit den Atom-Ausstieg verschoben hat. 

In der Schweiz laufen die Vorbereitungen auf eine mögliche Energiemangellage auf mehreren Ebenen. So beschafft der Bund Reserven an Wasserkraft und Generatorleistung von Gas- und Ölturbinen. 

Das Risiko einer Energiemangellage ist folglich gesunken, aber die Lage bleibt weiterhin angespannt. Vieles hängt von den Temperaturen im Winter ab, welche nicht prognostizierbar sind. 

Viele Unternehmen wären vorbereitet

Die Antworten auf Spezialfragen in der Oktoberumfrage unter Schweizer Einkaufs­managern (PMI-Umfrage) geben zudem aufschlussreiche Informationen zu den Vor-
bereitungen der Wirtschaft bezüglich einer möglichen weiteren Eskalation der Energiekrise. 

Unter den Industrieunternehmen hat rund ein Drittel bereits Massnahmen für eine drohende Mangellage ergriffen. Nur jedes fünfte teilnehmende Industrieunternehmen hat sich mit dem Thema gar nicht auseinandergesetzt. Beim Strom ist die Lage noch deutlicher: Die Hälfte aller teilnehmenden Betriebe hat sich bereits auf eine Mangellage vorbereitet, sowohl in der Industrie als auch im Dienstleistungssektor. 

Die am häufigsten ergriffene Massnahme ist dabei eine generelle Reduktion des Stromverbrauchs. 18 Prozent der Unternehmen haben zudem Notstromaggregate oder Batterien angeschafft, auch die Installation von Photovoltaikanlagen gehört zum Massnahmenkatalog. Zudem wird häufig der Kontakt mit den Lieferanten gesucht, um die Beschaffungssituation zu überprüfen oder Zusatzverträge zu schliessen. 

Für die Vorbereitung auf eine Gasmangel­lage haben 40 Prozent der Industriebetriebe ihre Anlagen auf den Betrieb mit Öl umgerüstet oder umgestellt. Die Raumtemperatur reduzieren dagegen nur 7 Prozent der teilnehmenden Industrieunternehmen, was im Dienstleistungssektor mit 14 Prozent verbreiteter ist. Positiv stimmt, dass nur 4 Prozent der Industrieunternehmen explizit angeben, wegen der Lage am Gasmarkt Teile der Produktion eingestellt zu haben. 

Die hohen Strompreise scheinen derweil wirtschaftsschädigender zu sein: Immerhin haben fast 10 Prozent der teilnehmenden Industriebetriebe die Produktion reduziert.

Beschleunigte Energiewende

Insgesamt hat die Energiekrise aber wohl durchaus das Potenzial, grosse Fortschritte bei der Energieeffizienz einzuleiten. Denn die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen in Industrie und Dienstleistung gibt an, beim Strom Einsparpotenzial von über 5 Prozent des Verbrauchs zu haben, ohne dass die Wertschöpfung darunter leidet. 

Weitere 30 Prozent sehen immerhin ein geringes Potenzial von bis zu 5 Prozent des Verbrauchs. Nur jedes siebte teilnehmende Unternehmen gibt an, dass jegliche Reduktion des Stromverbrauchs die Wertschöpfung reduzieren würde. 

Auch bei den Investitionen in die Energiewende hat der Preisschub der vergangenen Monate einen Sprung ausgelöst. Gaben im Januar vor Kriegsbeginn in der Ukraine noch 14 Prozent der teilnehmenden Industriebetriebe an, keinerlei Investitionen zu planen, ist dieser Anteil nun auf 7 Prozent gefallen. Einen starken Zuwachs haben vor allem Energieeffizienzmassnahmen in der Produktion und Investitionen in erneuerbare Energien erfahren. 

Dies sind nicht nur gute Nachrichten für die Resilienz in der aktuellen Energiekrise, sondern auch für die Bewältigung des Klimawandels  

Portrait Claude Maurer

Claude Maurer

Der ehemalige Profisportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) ist Chef­ökonom Schweiz bei der Credit Suisse.