Vollautomatisches Replenishment dank KI

Vollautomatisches Replenishment dank KI

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Volle Warenverfügbarkeit ohne Überbestände – Händler verbessern ihr Ergebnis dank KI.

Die Optimierung des Replenishments – des Warennachschubs, der Nachbestellung – ist im Detailhandel ein wichtiger Faktor für nachhaltigen Erfolg. KI-Tools können bessere Prognosen abgeben und darum vollautomatisch nachbestellen. Wirklich? Praxiserkenntnisse aus einem Live-Case beim Warenhaus Globus. Mit überraschenden Resultaten.

Unternehmen sind seit jeher bestrebt, Artikelnachbestellungen zu automatisieren. Sie möchten ihre Mitarbeitenden viel lieber für strategische und gewinnbringende Tätigkeiten einsetzen als für repetitive Berechnungs- und Fleissarbeiten. 

Regelbasierte Replenishment-Systeme mit statischen Berechnungsformeln und manuell definierten Parametern können gewisse Einflüsse und Zusammenhänge bei der Bedarfsermittlung nicht korrekt berücksichtigen. Das führt oft zu unbefriedigenden Resultaten. 

Der Mensch muss ran. So prüfen Einkaufsmitarbeitende wöchentlich jede Position, prognostizieren nach ihrem Gutdünken und entscheiden final über den Bestellbedarf. Fünf Sekunden pro Position, mehr Zeit bleibt dazu nicht. Die Qualität ist personenabhängig, der Aufwand ab einer gewissen Anzahl Artikel beträchtlich. 

Machine Learning

«Künstliche Intelligenz» ist für viele eine Blackbox, verbunden mit übermässigen Erwartungen oder Skepsis. Hier besteht Aufklärungsbedarf. Künstliche Intelligenz (KI) in Form von Machine Learning (ML) kann «Muster» erkennen. Ein Beispiel: Sagt die Wetterprognose sonniges Weekend-Wetter voraus, wird Grillfleisch am Samstag x-mal stärker verkauft, als wenn es regnet.

Solche Erkenntnisse, auch komplex verknüpfte Muster, werden einerseits zur Interpretation der Absatzdaten jedes einzelnen Artikels genutzt, andererseits prospektiv in die Absatzprognosen integriert. Die Bedarfsermittlung wird dadurch realitätsnah – auch bei neuen Artikeln ohne Vorjahreszahlen.

Dank Cloud Computing

Je mehr klar definierte Produktattribute (wie Produktkategorie, Marke, Farbe) und mit dem Verkaufszeitpunkt verknüpfte Informationen (wie Promotionen, Wetter) vorhanden sind, desto mehr Muster sind erkennbar. Und je mehr historische Daten dazukommen, desto präziser wird das System. Es «lernt». 

Machine Learning benötigt kurzzeitig enorm viel Rechenleistung. Erst durch
Cloud Computing ist dies seit kurzem für alle Unternehmen wirtschaftlich nutzbar. 
Replenishment-Software mit Machine Learning läuft deshalb fast zwingend in einer Cloud-Umgebung mit Importschnittstellen zu verschiedenen Datenquellen (ERP, PIM, Onlineshop, Wetterdienste) und mit direktem Zugriff auf die ML-Funktionen und Rechenpower einer Cloud. Als Output werden fixfertige Bestellungen ins ERP zurückgeschrieben. Alle relevanten Stamm-, Dispo- und Steuerungsdaten können so weiterhin im ERP oder in den entsprechenden Quellsystemen gepflegt werden. 

Neue Technologie

Eine Technologie soll nicht eingesetzt werden, weil sie neu ist. Sondern weil sie Mehrwert bringt! Die Absicherung einer nachhaltig hohen Warenverfügbarkeit bei clever gesteuerten, möglichst tiefen Beständen muss sich positiv auf Umsatz, Abschriften, Kapitalbindung und Kosten auswirken. Und – ML allein reicht nicht! Wer sich in einer Software darauf fokussiert, eine um zwei Prozent genauere Prognose zu schaffen, dabei aber branchentypische Business-Funktionen vergisst, schafft weder die Automatisierung noch den angestrebten Mehrwert. 

Damit Replenishment-Software wirklich die manuellen Prozesse ablösen kann, brauchts vor allem die Integration des ge-samten Business-Know-hows. In der Disziplin «Realitätsnahe Absatzprognose» hingegen ist Machine Learning dann Gold wert.

Vertrauen der Benutzer

In einem Live-Case bei Globus zeigten wir anhand von einfachen Beispielen mit realen Daten auf, wie ML funktioniert, welche Zusammenhänge aus den Vergangenheitsdaten zu welchen Einflüssen auf die Prognose führen. Eine Mitarbeiterin bemerkte: «Scheint mir nicht so kompliziert. Das System entscheidet ja nach den genau gleichen Überlegungen wie wir sie uns machen.» So simpel, so treffend. Nur dass Machine Learning jede Position detailliert durchrechnet, wo der Mensch nur noch ungefähr schätzen kann. 

Neben voller Einbindung in Customizing und Validierung – Berücksichtigung von Mindesthaltbarkeitsfristen, Promotionen, Lieferantenferien, intelligent differenzierte Sicherheitsreserve im Bestand und vieles mehr – war auch die starke «Edge Case»-Funktionalität sehr vertrauensbildend. Sprich: Das System bestellt in «unklaren» Einzelfällen nicht einfach, sondern bittet den Mitarbeiter mittels Push-E-Mail um seine Entscheidung. Das alles führte in der Praxis rasch zu hohem Vertrauen ins System. 

Eine schrittweise, agile Herangehensweise führte nicht nur zu einer schnellen produktiven Implementierung, damit konnten auch die bereichsspezifischen Inputs effizient und rollierend in der Software umgesetzt werden. Also schnelle Implementierung der einfachen Sortimentsbereiche, auch wenn hier möglicherweise noch nicht der grösste Nutzen liegt. Danach kontinuierlicher Ausbau auf Bereiche mit höherer Komplexität. Konkret wurden zuerst die Fashion, dann die Accessoires, Parfümerie, Heim/Haushalt und am Schluss die Lebensmittel aufgeschaltet. 
Ein hilfreicher Nebeneffekt der agilen Herangehensweise war, dass sich Mitarbeitende bei ihren Kolleginnen und Kollegen über den tatsächlichen Nutzen informieren konnten. 

Die Ergebnisse

In Live-Case stieg der Umsatz um knapp zwei Prozent, getrieben durch eine höhere Warenverfügbarkeit der Topseller. Die Lagerbestände pendelten sich auf einem rund 15 Prozent tieferen Niveau ein. Weniger Abschriften sowie Auflösung von Lagerfläche in der zentralen Logistik waren die direkte Folge. Ins-
gesamt resultierte eine jährlich wiederkehrende Ergebnisverbesserung von mehreren Millionen Franken – was für ein ROI! 

Quasi als Nebenprodukt wurden die in der Cloud vorhandenen Daten und die ML-Prognosen für eine kostensenkende Optimierung der E-Commerce-Warenflüsse genutzt. Weitere Nutzungsideen kamen hinzu: Sale-Pricing und Promotionsoptimierung. Mit dem Essen kommt der Appetit – Machine Learning und Cloud Computing eröffnen tatsächlich neue Möglichkeiten. 

Michael Strahm

Michael Strahm hat mehrere Innovationen in der Schweiz und den USA vorangebracht. Er hat einen Master HSG in Business Innovation und verantwortet das Business Development bei der NEBU GmbH.

Daniel Sieber

Daniel Sieber hat langjährige Einkaufsplanning-Erfahrung im Detailhandel und war als Leiter Business Controlling für die Digitalisierung der Einkaufsprozesse bei Globus zuständig.