«Vernetzter Einkauf – die Schlüsselrolle im Unternehmen von morgen»
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Herr Jungo, Sie sind nun seit knapp zehn Jahren Präsident von procure.ch. Was waren Ihre grössten Herausforderungen und Erfolge in dieser Position?
Adrian Jungo: Zunächst muss ich sagen, dass ich damals, als ich das Amt übernommen habe, einen gesunden und gut geführten Verband vorgefunden habe. Meine Vorgänger haben ausgezeichnete Grundsteine gelegt. Trotzdem gab es für mich die Herausforderung, den Verband in eine neue Richtung weiterzuentwickeln – nicht nur in der Industrie, sondern auch im Dienstleistungs- und Handelssektor. Wir durften verschiedene Meilensteine verzeichnen. Auch die Pandemiezeit haben wir dank vorbereiteten «Blended Learning»-Tools gut überstanden. Diese neuen Lehrgangskonzepte, kombiniert mit einem Ausbau unserer Online-Events und Social-Media-Präsenz, haben uns erlaubt, die Verbindung zu unseren Mitgliedern zu halten und sogar zu stärken. Insgesamt hat sich die Mitgliederzahl in bestimmten Bereichen verdoppelt, und ist gesamthaft von rund 1'200 Mitgliedern auf deren 2'000 gewachsen. Das Angebot unserer Vorbereitungslehrgänge für eidgenössische Abschlüsse, wie auch verschiedene Spezialisierungslehrgänge mit Zertifikat wurde deutlich erweitert. Das zeigt, dass unser Angebot gut ankommt und wir den Nerv der Zeit treffen.
Welche Ziele haben Sie sich für die verbleibende Zeit als Präsident gesetzt?
Ich würde mir wünschen, dass das Leistungsangebot von procure.ch weiter ausgebaut und die Vernetzung der Einkaufsfachleute zunehmend gefördert werden – was wir übrigens schon heute mit rund 70 Anlässen pro Jahr tun. Ende 2024 haben wir zum Beispiel einen Planungsworkshop für die regionalen Events in Thun abgehalten, um das Jahr 2025 vorzubereiten. Ein wichtiges Ziel ist ausserdem, einen neuen Standort für procure.ch zu finden, eine Art «Home-Base», wo unsere Mitglieder physisch mit dem Verband in Kontakt treten können. Dieser Ort soll ein Zentrum sein für Aus- und Weiterbildung, Informationsveranstaltungen und für den Austausch mit unserem Team. Die Eröffnung dieses Standorts liegt mir besonders am Herzen, und ich hoffe, dieses wichtige Vorhaben noch vor dem Ende meiner Amtszeit verwirklichen zu können.
Wie hat sich der Verband unter Ihrer Führung entwickelt, und was sind Ihre Hoffnungen für die Zukunft von procure.ch nach Ihrer Amtszeit?
Neben dem starken Mitgliederwachstum und der stärkeren Fokussierung auf Themen wie öffentliche Beschaffung und Aussenhandel – speziell durch die Integration der Höheren Fachschule für Aussenwirtschaft (HFA) – ist es uns gelungen, procure.ch in der Schweiz als führenden Ansprechpartner «rund um die Beschaffung» zu etablieren. Unsere stark ausgebaute Social-Media-Präsenz hat wesentlich dazu beigetragen, das Netzwerk zu erweitern und unsere Sichtbarkeit zu vergrössern. Finanziell steht der Verband auf gesunden Beinen, und wir konnten zudem unser Angebot in der Westschweiz gezielt stärken. Unsere engen Kooperationen mit anderen Verbänden, unter anderem im Dachverband SwissSupply -wo wir Gründungsmitglied sind - werden uns auch in Zukunft eine breite Unterstützung und die Möglichkeit zur Weiterentwicklung bieten.
Die Bereiche Einkauf und Supply Management sind einem ständigen Wandel unterworfen. Welche Trends und Entwicklungen sind aktuell besonders wichtig?
Wir erleben derzeit viele Herausforderungen in den internationalen Lieferketten, ausgelöst durch Handelsbeschränkungen, geopolitische Konflikte, Rohstoffknappheit, Cyberrisiken und andere Faktoren. Durch diese Entwicklungen hat die Bedeutung der Lieferketten nochmals zugenommen, da mittlerweile 60 bis 70 Prozent der Wertschöpfung an Lieferpartner ausgelagert werden. Der Einkauf spielt hier eine strategisch wichtige Rolle und kann massgeblich zur Wertschöpfung beitragen. Die bedeutendsten Trends sehe ich im technologischen Wandel, in der Nachhaltigkeit und in der Stärkung der Resilienz von Lieferketten. Themen wie Digitalisierung, datenbasierte Analytik und ein strategisches Lieferantenmanagement sind zentral, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und effizient zu bleiben.
Nachhaltigkeit ist, wie Sie sagen, ein grosses Thema in der Beschaffung. Wie begegnet procure.ch dieser Herausforderung, und was können Unternehmen tun, um ihre Supply Chains nachhaltiger zu gestalten?
Vorab muss ich betonen, dass Nachhaltigkeit heute viel mehr als nur ökologische Aspekte umfasst; sie umfasst auch soziale und Governance-Faktoren, also die gesamte ESG-Dimension. Resiliente Lieferketten und verantwortungsvolle Einkaufspolitiken sind in diesem Kontext essenziell. Der Fachverband procure.ch fördert aktiv nachhaltige Praktiken durch Informationsangebote, Aus- und Weiterbildungen und die Bereitstellung von Best Practices. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Zertifikatslehrgang «Certified Sustainable Procurement Manager», der speziell auf Nachhaltigkeit in der Beschaffung abzielt. Unternehmen können ihre Supply Chains beispielsweise nachhaltiger gestalten, indem sie Lieferantenbewertungen nach Nachhaltigkeitskriterien vornehmen, CO₂-Reduktionsmassnahmen fördern und sich auf Kreislaufwirtschaftsmodelle fokussieren. Diese Schritte können helfen, die Wertschöpfungsketten umweltfreundlicher und sozial verantwortlicher zu gestalten.
Die Digitalisierung revolutioniert viele Bereiche des Einkaufs. Welche Technologien halten Sie für zukunftsweisend?
Technologien wie künstliche Intelligenz, Blockchain, IoT, erweiterte Analytik, Augmented Reality und digitale Zwillinge bieten dem Einkauf völlig neue Möglichkeiten. Diese Technologien helfen nicht nur bei der Prozessoptimierung und Effizienzsteigerung, sondern ermöglichen es dem Einkauf auch, Innovationen und digitale Geschäftsmodelle ins Unternehmen einzubringen. Einkaufsabteilungen sollten als strategische Partner im Unternehmen agieren und eng mit dem Chief Digital Officer zusammenarbeiten, um die Digitalisierung voranzutreiben. Dabei ist es unerlässlich, dass Unternehmen eine klare digitale Strategie verfolgen und einkaufsseitig die Kompetenzen für agile Methoden und interdisziplinäre Zusammenarbeit vorhanden sind.
Welche Rolle spielt die Weiterbildung in Bezug auf Digitalisierung und technologische Innovationen im Bereich Beschaffung?
Weiterbildung ist entscheidend, da die Beschaffung zunehmend technologische und strategische Kompetenzen erfordert. Neben dem Wissen über neue Technologien müssen Einkaufsprofis heute auch in agilen Arbeitsmethoden, digitaler Transformation und Change Management geschult sein. Dazu gehören die Fähigkeit zur Vernetzung mit verschiedenen Abteilungen, strategisches Denken in neuen Geschäftsmodellen und die Rolle des Einkäufers als Moderator und Impulsgeber.
Was hat Sie persönlich dazu bewogen, eine Karriere im Bereich Beschaffung und Logistik einzuschlagen?
Der Einkauf verbindet Unternehmen sowohl intern als auch extern – das hat mich von Anfang an fasziniert. Auf der einen Seite ist der Einkauf die Schnittstelle zum Beschaffungsmarkt, auf der anderen orchestriert er die internen Bedarfsträger. Der Umgang mit Menschen spielt in diesem Bereich eine zentrale Rolle, und diese Schnittstellenfunktion macht den Einkauf zu einem dynamischen, vielseitigen Beruf. Zudem gibt es in diesem Feld diverse Gestaltungsmöglichkeiten, was mich bis heute begeistert.
Was raten Sie jungen Fachkräften, die in die Beschaffungsbranche einsteigen möchten?
Sie sollten sich intensiv mit der Unternehmensstrategie auseinandersetzen, gezielte Weiterbildungen in Einkauf und Supply Management verfolgen und sich aktiv in Netzwerken wie procure.ch oder der Swiss Sourcing Group engagieren. Erfolgreiche Fachleute in diesem Feld zeichnen sich durch unternehmerisches Denken, strategische Ausrichtung und die Fähigkeit zur Vernetzung aus. Nur wer diese Eigenschaften und ein entsprechendes Mindset in einer sich ständig wandelnden Umgebung mitbringt, wird langfristig erfolgreich sein.
Welche Rolle wird procure.ch Ihrer Meinung nach in der Entwicklung der gesamten Branche spielen?
Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, das Berufsbild des Einkaufs zu stärken und zu entwickeln. Unsere Rolle als Netzwerk und Vernetzer wollen wir zunehmend ausbauen, damit procure.ch auch in Zukunft bei CPOs, Einkaufsverantwortlichen aber auch bei CEOs und CFOs als zentraler Ansprechpartner für alle Fragen rund um das Einkaufs- und Supply Management verankert ist.