Ukraine-Krise bremst, aber Erholung nach Corona-Pandemie überwiegt
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Das Coronavirus hat nicht mehr annähernd so viel Einfluss auf die Wirtschaft, wie dies noch vor einigen Monaten der Fall war. Dies ist nicht zuletzt der weitgehenden Aufhebung der Eindämmungsmassnahmen zu verdanken.
Der Krieg in der Ukraine trübt jedoch die konjunkturelle Lage in Europa deutlich, was sich auch auf die Schweiz auswirkt.
Putin und der Schweizer Aussenhandel
Die direkten Auswirkungen des Russland-Ukraine-Konflikts auf die Schweiz schätzen wir als eher gering ein, denn die Handelsverflechtungen der Regionen sind schwach. So entfallen nur rund 1.2 Prozent des Schweizer Exportvolumens auf Russland, noch geringere 0.2 Prozent auf die Ukraine. Auch bei den Importen ist die Rolle der beiden Länder mit jeweils 0.1 Prozent marginal. Selbst im Tourismus sind russische und ukrainische Gäste für unter 1 Prozent der Logiernächte verantwortlich; den grössten Anteil verzeichnet hier Genf mit 1.5 Prozent.
Nur wenig russisches Gas
Ein Viertel des Schweizer Energiebedarfs wird mit Gas gedeckt, die Hälfte davon stammt aus Russland.
Im Gegensatz dazu ist die Rolle Russlands als wichtiger Rohstoffexporteur mit Blick auf die Auswirkungen des Konflikts wesentlich entscheidender als der reguläre Aussenhandel. Die grösste Bedeutung kommt dabei dem Erdgas zu, weil dessen Substitutionsmöglichkeiten kurzfristig am stärksten eingeschränkt sind.
Für die Schweiz sind Gas und Öl für die Stromerzeugung zwar relativ unwichtig, Gas dient aber auch zur Wärmeerzeugung. Insgesamt dürfte gemäss unseren Schätzungen rund ein Viertel des gesamten Energiebedarfs der Schweiz im Jahresdurchschnitt mit Gas gedeckt werden, wovon rund die Hälfte davon ursprünglich aus Russland kommt.
Inflation steigt
Die weltweit massive Verteuerung von Erdgas und Öl, die wir in den letzten Monaten gesehen haben, hat hierzulande zudem einen direkten Einfluss auf die Teuerung. In der Tat kollidieren die jüngsten Inflationszahlen mit der bis heute kaufkraftschonenden Preisentwicklung. Im Februar stieg die am Landesindex der Konsumentenpreise gemessene Inflationsrate auf 2.2 Prozent und damit auf den höchsten Wert seit Oktober 2008.
Gemäss unserer Prognose wird die Inflationsrate einige Monate auf über 2 Prozent verharren, bevor sie langsam wieder abnimmt (Jahresdurchschnitt 2022: 1.8 Prozent).
SNB-Zinserhöhungen erst Mitte 2023
Das Überschiessen der Inflation über das Zielband der Schweizerischen Nationalbank (SNB) von 0 Prozent bis 2 Prozent dürfte indes nicht zu einer unmittelbaren Änderung der Geldpolitik führen.
Die SNB wird bis auf Weiteres den Franken-Wechselkurs im Fokus haben und bei Bedarf am Devisenmarkt intervenieren, zumal der Konflikt in der Ukraine zu Aufwertungsdruck geführt hat.
Sollte sich die Lage stabilisieren, wird die Interventionsbereitschaft indessen abnehmen, weshalb der Franken durchaus unter die Euro/Franken-Parität auf-
werten kann.
Mitte 2023 dürfte die SNB die erste Leitzinserhöhung vornehmen, der im Dezember 2023 voraussichtlich eine zweite folgen wird.
Geringe Bremswirkung der Inflation
Unsere Analysen der Preiselastizitäten der Konsumnachfrage zeigen derweil, dass sich die bremsende Wirkung der Inflation auf die Konsumdynamik in Grenzen halten sollte.
Ein Anstieg der Inflationsrate um einen Prozentpunkt reduziert den privaten Konsum im Durchschnitt seit 1982 um 0.11 bis 0.13 Prozent (je nach Schätzungsmethode).
Die positive Dynamik infolge der weitgehenden Aufhebung der Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus dürfte somit in den kommenden Monaten der Haupttreiber der Konjunkturentwicklung bleiben, weshalb das Wirtschaftswachstum dieses Jahr nochmals überdurchschnittlich stark ausfallen sollte (+2.5 Prozent). Weil diese Sondereffekte aber zusehends nachlassen, erwarten wir für 2023 eine Verlangsamung der Wachstumsdynamik auf 1.6 Prozent.
Claude Maurer
Der ehemalige Profi-sportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) ist Chefökonom Schweiz bei der Credit Suisse.