Transformationspotenzial im Einkauf erkennen

Transformationspotenzial im Einkauf erkennen

Publiziert am Autor: Axel Butterweck

Die Organisations- und Personalentwicklung im digitalisierten Einkauf und in der Supply Chain wird immer existenzieller. Gesundes Gedeihen bedingt jedoch eine passende Umgebung. Organisationen müssen ihren Reifegrad kennen, bevor sie ihre Beschaffungsprofis zu kommunikationsstarken, gut vernetzten Botschaftern für den Einkauf 4.0 weiterbilden können.

Pacific Vegetable Oil, Riegel Textile oder Studebaker – als 1955 erstmals die «Fortune 500»-Liste die umsatzstärksten Unternehmen der USA auflistete, waren diese jedem Strassenkind ein Begriff. Heute mögen sich Autonostalgiker allenfalls noch an Studebaker erinnern. Fakt ist: Bald neun der zehn führenden Unternehmen des Jahres 1955 existieren heute nicht mehr. Ihr Platz wurde von Amazon, Airbnb, Netflix , Uber und Konsorten eingenommen. Die Erkenntnis ist keine Neue: «Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit» – soll der grosse Friedrich Schiller vor bald einem Vierteljahrhundert gesagt haben.

Strukturwandel hat schon immer Gewinner und Verlierer hervorgebracht. Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung haben dramatisch zugenommen. Und – die disruptiven Veränderungen betreffen alle Unternehmensfunktionen, insbesondere aber Einkauf und Supply Chain als zentrale Schnittstellen zu internen und externen Partnern in der Wertschöpfungskette. Unternehmen, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen, werden abgehängt oder – schlimmer noch – gehen daran zugrunde.

Abschied aus der Komfortzone

«Herr Müller, wie ist eigentlich Ihr Einkauf für die Zukunft gerüstet?» Stellt die Geschäftsleitung diese Frage, tut jeder Einkaufsleiter gut daran, sich schon seit Längerem aus der Komfortzone verabschiedet und sich für die anstehenden digitalen Herausforderungen gewappnet zu haben.

Strategische Einkäufer und Supply-Chain-Manager werden ein zunehmend digitalisiertes Beschaffungsportfolio managen. Vernetzung in der Wertschöpfungskette bedingt Prozess-orientierung und hohes technisches Verständnis. Einkäufer werden zu Schnittstellenmanagern mit der Erwartung, aussagekräftige Information «in Echtzeit» zu liefern.

Welche Skills erfordert diese neue Rolle? Einen Königsweg gibt es bei der Beantwortung dieser Frage nicht. Gerade mittelständische Unternehmen sollten pragmatisch und Schritt für Schritt an die Fragestellung herangehen.

Der erste Schritt

Der erste Schritt zur Beantwortung umfasst eine kritische Bestandsaufnahme, wie es um die eigene digitale Kompetenz in Einkauf und Supply Chain steht.

Es empfiehlt sich, diese mit einem externen Sparringpartner durchzuführen, der Erfahrungen aus der Praxis anderer Unternehmen und Branchen mitbringt. Ziel ist es, sich der eigenen Wissenslücken und Handlungsfelder, aber auch der Chancen und Herausforderungen, welche die Digitalisierung und Vernetzung bietet, bewusst zu werden. Auf dieser Basis kann dann eine erste Digitalisierungsroadmap erstellt werden.

Aber Achtung: Die Digitalisierung hat nur dann Sinn, wenn die Prozesse vorher verschlankt und durchgängig gestaltet worden sind.  Erst dann können neue IT-Systeme und -tools ihr volles Potenzial entfalten, um Transparenz und Benutzerfreundlichkeit zu verbessern sowie zeitaufwendige manuelle Tätigkeiten zu reduzieren.

Ab diesem Zeitpunkt muss der Mitarbeiter ins Zentrum der Transformation gestellt werden.

Der zweite Schritt

Deswegen besteht der nächste Schritt in der Festlegung der zukünftig erforderlichen Skills.

Heisst das, jeder Mitarbeiter muss bald ein «halber» Informatiker sein? Sicher nicht, aber um die Transformation einzuleiten und voranzutreiben, werden wir in der Organisation an bestimmten Stellen Kenntnisse der neuen Technologien, ihrer Möglichkeiten, Grenzen und Voraussetzungen benötigen. Wie umfassend diese Kenntnisse sein müssen, hängt davon ab, inwieweit man im eigenen Unternehmen oder extern auf entsprechendes Know-how zurückgreifen kann und will.

Im Kern geht es um die Fähigkeit, strukturierte und unstrukturierte, interne und externe Daten zu kombinieren und zu bewerten (Data Analytics). Zum anderen werden solide warengruppenspezifische Kenntnisse der Beschaffungsprozesse und -verantwortlichkeiten im eigenen Unternehmen erforderlich sein – über alle beteiligten Bereiche hinweg – «from purchase to pay».

Bis hierhin haben wir die digitalen und fachlichen Kompetenzen für eine erfolgreiche Transformation beleuchtet, letztlich kommt es aber auf die Bereitschaft der aktuellen Mitarbeiter an, sich neuen Aufgaben zu stellen und in veränderte Rollen hineinzuwachsen. Dies gilt insbesondere für das Management, das den unternehmerischen Mut haben muss, Veränderungen anzustossen und als kommunikationsstarker und gut vernetzter Botschafter für den «Einkauf 4.0» zu agieren.

Um das Rad bei der Festlegung der Sollprofile nicht neu zu erfinden, empfiehlt es sich, auf bewährte Kompetenzmodelle zurückzugreifen sowie die Best Practice und Erfahrungen anderer Unternehmen zu berücksichtigen. Natürlich müssen diese auf die Gegebenheiten des eigenen Hauses angepasst werden. Einmal erstellt, können sie sowohl für interne Kandidaten wie für die externe Rekrutierung herangezogen werden.

Der dritte Schritt

Es folgt der vorletzte Schritt: In einem Kompetenzcheck müssen die vorhandenen Skills der Leistungsträger systematisch erfasst werden.
Dazu kann man als erste Indikatoren die vorhandenen Leistungs- und Verhaltensbeurteilungen heranziehen. In der Regel erlauben sie aber keine dezidierte Aussage im Hinblick auf die für 4.0 erforderlichen Skills. Eine zusätzliche unabhängige Einschätzung mit externer Unterstützung in Form eines individuellen Assessments ist deshalb empfehlenswert. Idealerweise durchgeführt von erfahrenen Beobachtern aus Einkauf, Supply Chain und Personaldiagnostik, um sowohl fachliche wie überfachliche Aspekte abzudecken.

Das Ergebnis ist eine quantifizierte Bewertung der Istkompetenzen des Mitarbeiters im Vergleich zum Sollprofil für fachliche und überfachliche Kompetenzfelder.

Der vierte Schritt

Die Einstellung neuer «digital natives» ist keineswegs immer die beste Lösung. Weshalb es noch den vierten Schritt benötigt: Welche Weiterbildungsangebote zum Thema Digitalisierung gibt es für unsere Mitarbeiter und wie gut sind sie geeignet? Die Auswahl ist allerdings nicht ganz einfach, um gezielt das für das eigene Unternehmen richtige Thema anzugehen und Frustrationen bei den Teilnehmern zu vermeiden.

Startrampe zur digitalen Firma

Eine Raupe entwickelt sich nicht aus reiner Lust an der Transformation zum Schmetterling. Es steckt eine Strategie dahinter. Selbiges sollte auch für die Transformation Ihrer Organisation gelten, dann sollte einem geglückten Start als digitales Unternehmen nichts mehr im Weg stehen.

 

Portrait Axel Butterweck

Axel Butterweck

Der Ökonom ist Geschäftsführer der TALENT-net (CH) GmbH mit den Schwerpunkten Personalvermittlung und Personalentwicklung. Er verfügt über mehr als 30 Jahre Berufserfahrung in leitenden Einkaufs- und Logistikpositionen in der Bau- und Uhrenbranche sowie als CPO der Schweizerischen Post.