Starke Exportwirtschaft trotz starkem Franken
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Die Schweizer Warenexporte haben sich gut vom pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020 erholt und im vierten Quartal 2021 ihren höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen erreicht. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass in dieser Zeit Schweizer Exporte für Abnehmer aus der Eurozone mit einem durchschnittlichen Kurs von 1.05 so teuer waren wie seit der Aufhebung des Mindestkurses nicht mehr.
Die Industrie trotzt dem Franken
Drei Gründe waren für diese auf den ersten Blick erstaunliche Entwicklung verantwortlich: Erstens nimmt der Wert der Exporte bei einer Aufwertung des Frankens zumindest kurzfristig automatisch zu. Zweitens spielt für zahlreiche Exportgüter, wie beispielsweise diejenigen der Pharmaindustrie, der Preis für die Nachfrager eine sekundäre Rolle. Und drittens hilft die in der Schweiz tiefere Inflation, da geringere Kostensteigerungen die wechselkursbedingten preislichen Wettbewerbsnachteile abfedern. Um die Veränderung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Branchen zu analysieren, verwenden wir branchenspezifische Fair-Value-Wechselkurse, die auf einem Kaufkraftparitätsansatz basieren. Konkret verglichen wir die Produzentenpreisentwicklung in den Branchen zwischen der Schweiz und dem Euroraum gegenüber der Referenzperiode 2003 und 2004 (vereinfachte Annahme: CHF war damals fair bewertet). Solchermassen berechnet ist der aktuelle EUR/CHF-Wechselkurs für den Maschinenbau etwa ein Viertel überbewertet und für die Papier- und Papierprodukte-Branche um ein Fünftel – für die Pharmabranche hingegen bloss um 5 Prozent und für die Chemiebranche ist der aktuelle Kurs sogar günstig. Der Schweizer Franken ist somit für einige Branchen gar nicht so unerschwinglich.
Exportnachfrage dürfte hoch bleiben
In die Zukunft blickend gehen wir davon aus, dass der starke Franken stark bleiben wird, aber auch nicht mehr weiter aufwertet; unsere Prognose für Dezember 2022 liegt bei 1.06.
Gleichzeitig bremsen die Schwierigkeiten in den Lieferketten die Industrie bis mindestens Mitte des Jahres. Paradoxerweise bleibt die Nachfrage nach Schweizer Exporten aber gerade wegen der Lieferschwierigkeiten noch länger hoch. Aufgrund der langen Lieferfristen kann nämlich die globale Güternachfrage noch längere Zeit nicht gestillt werden. Der Auftragsbestand in der Industrie dürfte deshalb noch länger hoch bleiben, wobei die Engpässe in der Produktion und höhere Preise im Einkauf vielerorts auf den Margen laste.
Ausfälle wegen Einkaufsproblemen
Die Inflationsrate in der Schweiz sollte ihren Höchststand bei rund 1.5 Prozent gegenüber dem Vorjahr im ersten Quartal 2022 erreichen. Im Durchschnitt wird das Preisniveau dieses Jahr gemäss unserer Prognose um ein Prozent über seinem Vorjahresniveau liegen.
Für das Jahr 2023 rechnen wir mit einer durchschnittlichen Teuerungsrate von einem Prozent, was bedeutet, dass der Preisauftrieb bis auf Weiteres höher ist als vor der Pandemie, dabei aber immer noch komfortabel im Zielband der Schweizerischen Nationalbank SNB (zwischen 0 Prozent und 2 Prozent) liegen wird. Der Inflationsausblick rechtfertigt damit unseres Erachtens keine baldigen Zinserhöhungen der SNB.
SNB muss wählen
Während wir dementsprechend eine Zinserhöhung in diesem Jahr für unwahrscheinlich halten, ist die Prognose für 2023 unsicher und von zahlreichen Faktoren abhängig. So wird die Europäische Zentralbank (EZB) voraussichtlich im nächsten Jahr mit einer Erhöhung des Leitzinses beginnen, womit eine grosse Hürde, welche die SNB daran hindert, ihren eigenen Leitzins anzuheben, wegfallen dürfte. Die Festlegung des Leitzinses 2023 wird für die SNB demnach zu einer Abwägung zwischen der Bereitschaft, die Negativzinspolitik zu beenden, einerseits und der Höhe des Franken-Wechselkurses andererseits werden.
2023 wohl keine Leitzinserhöhung
Gegen baldige Leitzinserhöhungen spricht, dass die SNB immer wieder betont hat, dass sie eine positive Zinsdifferenz zwischen dem Euroraum und dem Franken wahren muss (das heisst die Zinsen in der Schweiz im Vergleich zum Ausland relativ tief halten), um den Aufwertungsdruck auf den Franken zu reduzieren. Dieses Argument steht seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie zwar nicht mehr so stark im Fokus, es ist aber einer der Hauptgründe für die Einführung der negativen Leitzinsen in der Schweiz gewesen.
Sollte die EZB ihren Leitzins im Jahr 2023 tatsächlich zweimal um insgesamt 0.5 Prozentpunkte anheben, könnte die SNB die Differenz gegenüber dem Hauptrefinanzierungssatz in der Eurozone tatsächlich von den derzeitigen 0.25 Prozentpunkten auf 0.75 Prozentpunkte ansteigen lassen, indem sie ihren Leitzins 2023 bei –0.75 Prozent belässt.
Hinzu kommt, dass die SNB den Franken seit September 2017 als «hoch bewertet» einstuft. Mit diesem Unbehagen bezüglich Wechselkursniveau hat die SNB regelmässig ihre sehr expansive Geldpolitik verteidigt. Für die Nationalbank dürfte es daher logisch sein, mit einer Erhöhung des Leitzinses so lange zu warten, bis sich der Kurs des Frankens abgewertet hat.
Dieses Wechselkursniveau im Voraus genau zu bestimmen, ist jedoch sehr schwierig, da die SNB bisher nie klargemacht hat, auf welchem Niveau sie den Schweizer Franken nahe seines Gleichgewichtskurses sieht. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Inflationstrends, die seit März 2018 in der Eurozone und in der Schweiz herrschen, kommen wir zum Schluss, dass die SNB nur dann eine baldige Leitzinserhöhung signalisieren könnte, wenn der EUR/CHF-Wechselkurs das Niveau von 1.08 deutlich und über längere Zeit überschreitet.
Insgesamt gesehen gehen wir im Rahmen unserer Prognose davon aus, dass die SNB ihren Leitzins 2023 unverändert bei – 0.75 Prozent belassen wird.
Claude Maurer
Der ehemalige Profi-sportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) ist Chefökonom Schweiz bei der Credit Suisse.