Schweizer Handel im Sog der internationalen Lieferketten

Schweizer Handel im Sog der internationalen Lieferketten

Publiziert am Autor: Andreas Steffes

Fast 700 000 Menschen arbeiten im Gross- und Detailhandel. Die Herausforderungen sind gewaltig, Lieferketten müssen aufrechterhalten und Lager bewirtschaftet werden, viele Händlerinnen und Händler sind an Verkaufspunkten exponiert. Der Schweizer Handel bewährt sich in der Krise. Das ist auch einer klugen Politik der offenen Grenzen zu verdanken.

Gähnend leere Supermarktregale und geschlossene Filialen von Banken und Detaillisten in der Schweiz zeigen überdeutlich, in welcher Krise die Schweiz steckt. Auch am Grosshandel geht die Coronakrise nicht spurlos vorbei. Lieferschwierigkeiten von Waren aus Übersee, blockierte Ware am deutschen Zoll oder gestörte Prozessabläufe sind die Konsequenzen. 

Die Schweizer Wirtschaft beweist wieder einmal ihre Flexibilität in Krisenzeiten. Zwar sind Teile des Detailhandels lahmgelegt, Industrie, Bau und Handel arbeiten aber weitgehend weiter. Doch auch hier machen sich Schwierigkeiten bemerkbar. Baustellen werden behördlich geschlossen und die produzierte Ware einzelner Industrieunternehmen wird nicht mehr abgerufen. Hinzu kommen organisatorische Umstellungen aus gesundheitlichen Gründen, die Herausforderungen, wenn grosse Teile der Belegschaft ins Homeoffice wechseln, oder Mitarbeiter aus dem In- und Ausland, die nicht mehr zur Arbeit kommen können. Die Liquiditätslage der Unternehmen wird zunehmend angespannter. Und wohl einiges mehr. 

Aber es besteht eine grosse Einigkeit: Die Wirtschaft muss weiterlaufen und dafür unternehmen alle Wirtschaftsakteure grosse Anstrengungen. Die Hygiene- und Distanzregelungen des BAG wurden schnell und frühzeitig in den Unternehmen umgesetzt. Die Wirtschaft unterstützt trotz der einschneidenden Massnahmen den Bundesrat in seiner schwierigen Aufgabe. 

Grosshandel sichert Lieferketten

Für den Schmierstoff, dass die Wirtschaft weiterlaufen kann, sorgt der Handel. Von den Produkten des täglichen Bedarfs für die Bevölkerung bis hin zu den Waren für die geschäftliche Tätigkeit der unterschiedlichsten Firmen – alles muss möglichst reibungslos und termingerecht zur Verfügung stehen. Dies gilt auch angesichts gestörter Lieferketten aufgrund von COVID-19.

Probleme bereiten vor allem Lieferungen aus China und anderen Märkten in Fernost. Durch den Stillstand in China standen auch die Hafenlogistik und die Verteilung der Waren von und zu den Häfen weitgehend still. Container wurden nicht abgeladen und standen dementsprechend nicht mehr zur Beladung mit Waren nach Europa zur Verfügung. Weil aber wegen des Coronavirus die Werke geschlossen waren, stand die Produktion in China wochenlang still. Die Folgen wird auch die Schweiz bald spüren. 

Da viele chinesische Fabriken über Wochen stillstanden und auch derzeit nur eingeschränkt arbeiten, fehlen Vorprodukte, Teile oder komplette Erzeugnisse, die hierzulande verarbeitet beziehungsweise verkauft werden. Betroffen ist unter anderem die Elektronikbranche, industrielle Vorprodukte oder Rohmaterialien, beispielsweise für die Kunststoffproduktion. Gestört sind nicht nur Importe, sondern auch Lieferungen nach China.

Wichtige Produktionsteile fehlen, weil Lieferketten unterbrochen sind. Dies hat auch Auswirkungen auf die nachgelagerte Produktion: Fehlende Ersatz- und Bauteile für Maschinen führen ebenfalls zu Lieferschwierigkeiten mit Auswirkungen auf die weitere Wirtschaft. So verzögern sich die Arbeiten auf Baustellen, weil die Auslieferung neuer Baumaschinen auf sich warten liess.

Doch erst in den nächsten Wochen – der Seeweg für Ware aus China dauert rund 6 Wochen – werden sich die Produktionsausfälle in China voll bemerkbar machen. Dann ist die Ware angekommen, die bereits unterwegs war, die Lager der Grosshändler werden leer sein und die Preise könnten merklich steigen. Was dies bedeutet, ist bereits spürbar. 

Lieferschwierigkeiten aufgrund von COVID-19

Der Lockdown unseres Nachbarlandes Italien schlägt aufgrund der räumlichen Nähe vergleichsweise schneller zu. Noch sind viele Produkte lieferbar. Doch die Werksschliessungen im Norden des Landes führen dazu, dass bereits erste Lieferungen von Vorprodukten ausfallen. Industrieprodukte wie Stahlrohre oder Legierungsbestandteile sind schwieriger verfügbar. Auch in anderen Branchen spürt man diesen Engpass in Italien bereits. Weitere europäische Länder könnten sich diesem Beispiel anschliessen. 

Der Handel in der Schweiz reagiert allerdings. Dies ist vor allem den 680 000 Mitarbeitenden im Schweizer Handel zu verdanken. Der Grosshandel reagiert schnell und flexibel auf die sich laufend ändernden Rahmenbedingungen und Lieferprobleme. Er ist mit seinen langjährigen Zulieferpartnern das Rückgrat der Warenverfügbarkeit in der Schweiz. Die weiterhin gute Erreichbarkeit der Händler und die doch noch immer hohe Lagerverfügbarkeit vieler Produkte, das engmaschige Netzwerk von Standorten und die zahlreichen Onlineshops auch im B2B sichern die Versorgung der Industriekunden und Bauunternehmungen. Hinzu kommt die weiterhin starke Logistik des Grosshandels. 

Lieferengpässen und -verzögerungen kann der Handel so eine Zeitlang begegnen. Dies gibt die Möglichkeit, auf neue und andere Lieferantenländer in Asien auszuweichen oder andere europäische Lieferanten zu suchen.

Handel sichert die Wirtschaft ab

Denn selbst um diesen aktuellen «Stillstand» geordnet aufrechtzuerhalten, braucht es im Hintergrund unzählige wirtschaftliche Aktivitäten des Handels. So können die Lebensmittelversorgung, die Logistik und das Gesundheitswesen ihren Betrieb aufrechterhalten. In unserer arbeitsteiligen, hochkomplexen Gesellschaft ist es undenkbar, die ganze Wirtschaft einfach stillzulegen – zu gross sind die wechselseitigen Abhängigkeiten. 

Es wäre vielmehr wichtig, jetzt Unsicherheiten abzubauen: Eine offene und transparente Information ist essenziell, erhöht die Planbarkeit und reduziert entsprechend die Kosten für Unternehmen und Staat. Hinzu kommt eine sinnvolle Exit-Strategie mit Augenmass, die frühzeitig zu kommunizieren ist. Auf Dauer ist die eingeschränkte Logistik auf lebensnotwendige Güter Gift für die komplexen Lieferketten. Bereits heute führt der Fokus auf die Onlinehändler dazu, dass sich klassische Paketkunden der Post einer Kontingentierung gegenübersehen. 

Aus Sicht von Handel Schweiz ist die Krise aber auch eine Chance, mehr Verständnis für anspruchsvolle Lieferlogistik zu erhalten. So sollte auf Bundesebene die Diskussion über die Logistik aufgenommen werden. Es muss zum Beispiel  noch einmal die Zulieferung an Sonn- und Feiertagen unter Einbezug der Post- und Paketzustellungen betrachtet werden und kantonale Unterschiede müssen für die flächendeckende Logistik abgebaut werden.

Diese einfachen Massnahmen würden auch den Weg aus der aktuellen Krise kostengünstig einebnen. 

Andreas Steffes

Der Autor ist Mitglied der Geschäftsführung bei Handel Schweiz, dem nationalen Dachverband des Handels. Diesem gehören 33 Branchenverbände mit insgesamt 3700 Unternehmen und rund 680 000 Mitarbeitenden an. Der Volkswirt betreut unter anderem das Wirtschaftsdossier des Verbandes. Er ist zudem als Geschäftsführer des Schweizerischen Stahl- und Haustechnikhandelsverbandes und von metal.suisse tätig.