Schweiz: Alternative Lieferketten im Handel

Schweiz: Alternative Lieferketten im Handel

Publiziert am Autor: Kaspar Engeli

Unterbrüche bei der Seefracht zählen aktuell zu den grössten Risiken im Schweizer Handel.

Der Krieg in der Ukraine versetzt einen Teil der Schweizer Händler in den Krisenmodus. Die Betroffenen nutzen deshalb alternative Transportrouten und weichen auf Lieferanten in anderen Ländern aus. In Polen, dem grössten Logistikzentrum Europas und wichtiger Handelspartner der Schweiz, stoppt der Krieg den Handel. Es fehlen 400 000 Lastwagenfahrer sowie Mitarbeitende auf Fähren und Frachtschiffen.

Der Welthandel und die Weltwirtschaft erhalten durch den Ukraine-Konflikt einen erheblichen Dämpfer und Insolvenzen steigen, insbesondere in Europa. Der Hamburger Kreditversicherer Euler Hermes rechnet in seiner aktuellen Studie nur noch mit einem Wachstum des Welthandelsvolumens um vier Prozent für 2022 und damit mit konfliktbedingten Einbussen um mindestens zwei Prozentpunkte. 

Beim globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) gehen die Volkswirte laut einer Pressemitteilung vom 22. März von einem Zuwachs um 3,3 Prozent für 2022 aus (0,8 Prozentpunkte weniger als vor Beginn des Konflikts) und um 2,8 Prozent für 2023. 

Der Krieg in der Ukraine zeigt selbstredend auch Auswirkungen auf den Schweizer Handel. Stark betroffen sind vor allem einzelne Sektoren. Insgesamt funktionieren die Lieferketten; die Märkte sind offen. Der russisch-ukrainische Luftraum muss jedoch gemieden werden, was zu etwas längeren Flügen aus Asien führt. Auch die geschlossenen ukrainischen Häfen verlangen nach angepassten Lieferketten. 

Für den Schweizer Handel liegt das grösste Risiko in möglichen Unterbrüchen bei der Seefracht. Fehlende oder langsamere Lieferungen könnten kurzfristig Engpässe und steigende Preise zur Folge haben. Benzin und Gas sind bereits teurer. Auch die Preise für Brot und andere Waren könnten steigen. 

Produktionen aus der Ukraine

Die höheren Preise hängen zum Teil mit den Verschiebungen im Rohstoffhandel zusammen. Zum anderen fehlen auch Waren, die die Ukraine produziert. So stammt ein Grossteil der weltweiten Getreideexporte aus der Ukraine – Weizen (12 Prozent), Mais (16 Prozent) und Gerste (18 Prozent). Die ukrainische Landwirtschaft rechnet damit, dass sie in diesem Jahr nur 50 Prozent des Getreides aussäen und ernten kann. 

Auch andere Branchen sind betroffen. Für die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) war die Ukraine bis vor dem Krieg ein beliebter Ort für Nearshoring. Diese Auslagerungen sind jetzt infrage gestellt oder unterbrochen. Auch Glashütten haben Produktionen in die Ukraine verlagert und können nun nicht mehr liefern. Eine Folge: Der Schweizer Weinhandel verfügt über zu wenig Flaschen.
Die Ukraine liefert zudem viele Vorprodukte für europäische Gerbereien, was sich negativ auf den Handel mit Lederwaren auswirkt. Auch Kabelstränge für die Herstellung von Autos kommen aus der Ukraine. Diese fehlen nun zusätzlich in der Industrie. Bereits seit Monaten können manche Marken wegen Chipmangel keine Fahrzeuge mehr bauen. 

Logistisches Puzzle

Andere Händler sind vor allem mit logistischen Herausforderungen konfrontiert. Diese Situation ist nicht neu. Seit Beginn der Pandemie führen geschlossene Häfen, fehlende oder massiv teurere Container wie auch fehlende Lastwagenfahrer zu Unterbrüchen der Logistikkette und zu einer allgemeinen Verlangsamung der Lieferungen. 

Das zeigt sich zum Beispiel im Handel mit Spielwaren. Und auch die Arbeitsbühnen-Branche erlebt Logistik- und Lieferprobleme, was zu höheren Transportkosten und sinkenden Margen führt. Im Textilhandel kann versandbereite Ware zum Teil nicht verschifft werden, da für die Verpackung kein Papier und Karton vorhanden ist. Auch Händler von Verpackungs- und Druckmaschinen beobachten derzeit, dass ihre 
Kunden grössere Probleme bei der Versorgung mit Papier haben. 

Rohstoffe – rar und teuer

Weitere Handelsbereiche sind besonders von fehlenden Rohstoffen betroffen. Das gilt für den Handel mit Motorrad-Zubehör, Maschinen und Werkzeug, Elektrotechnik sowie Medizinaltechnik. So kostet Aluminium seit Anfang 2022 rund 50 Prozent mehr. Der Preis für Nickel, das für Legierungen gebraucht wird, hat sich seit Januar um den Faktor 30 erhöht. Die Londoner Metallbörse LME hat daher den Handel ausgesetzt. Der Einkauf ist heute wesentlich aufwendiger. 

Fehlendes Personal 

Auch die Flüchtlingsströme aus der Ukraine wirken sich auf das Leben und den Handel einiger Länder sehr stark aus – zum Beispiel auf Polen, dem wichtigsten Logistikzentrum Europas. Polen ist ein wichtiger Handelspartner der Schweiz. In den letzten zehn Jahren wurde der Handel zwischen den beiden Ländern von 500 Millionen Euro auf über 2,5 Milliarden Euro gesteigert.

Die Investitionen von Schweizer Unternehmen in Polen sind höher als diejenigen in Italien. Grundsätzlich sind die Herausforderungen für die Handelsunternehmen in der Schweiz und in Polen sehr ähnlich. Doch hat Polen jetzt eine Ostgrenze, die in ein Kriegsgebiet mündet. Der Handel unterliegt damit einem massiven Stop.

Aktuell fehlen rund 400 000 Lastwagenfahrer. Das bedeutet einen Notstand in der Logistik, für den in kürzester Zeit Lösungen gefunden werden müssen. Auf Fähren und Frachtschiffen gibt es zu wenig Personal.

Vor einigen Tagen konnte ich persönlich in Polen beobachten, mit welchem Engagement und welcher Professionalität die logistischen Fragen wie auch der Flüchtlingsansturm bewältigt werden. Allein in der Stadt Warschau leben innerhalb weniger Wochen etwa 400 000 Menschen mehr als üblich; das entspricht rund einem Viertel der regulären Einwohnerzahl der Stadt.  

Lagerbewirtschaftung als Schlüssel

Die betroffenen Schweizer Handelsunternehmen arbeiten auf Hochtouren, damit die hohe Zuverlässigkeit bei den Lieferketten gesichert bleibt. Diese Händler befinden sich im Krisenmodus. Sie müssen zum einen ihre Lager genau überwachen, just-in-time alternative Routen nutzen und auf Lieferanten in anderen Ländern umstellen.

Insgesamt wird die Lagerbewirtschaftung noch einmal anspruchsvoller. Die Corona-krise hat jedoch gezeigt, dass der Handel sehr resilient, agil und anpassungsfähig ist. 
Die Liefer- und Lagerbereitschaft des Detail- und des Grosshandels ist auch heute immer gegeben. Die wirtschaftliche Landesversorgung und die Privatwirtschaft halten in der Schweiz bei verschiedensten Produkten grosse Bestände an Lager. Diese müssen kon­stant bewirtschaftet werden und ständig rotieren. Die sehr komplexe Aufgabe tätigt der Handel für die Gesamtheit der Volkswirtschaft. 

Was tun im Krisenmodus?

Jeder Händler muss sich fragen, inwieweit er betroffen ist. Wenn dies der Fall ist oder in Zukunft sein könnte, dann muss diese Firma sehr rasch in den Krisenmodus schalten und überlegen, welche Handlungsoptionen sie hat. Das können alternative Routen oder alternative Sourcing-Länder und neue Lieferantenkanäle sein. Sind diese bereits bekannt oder müssen sie erst gefunden werden? 

Die Kernfrage lautet: Wo hat das Unternehmen noch einen Markt? Das ist die grosse Herausforderung bei rasanten Veränderungen. Der Handel ist jedoch Experte im Wandel – deshalb werden die kompetenten Akteure im Handel neue Chancen entdecken und nutzen.  

Kaspar Engeli 

Der Autor ist Direktor von Handel Schweiz, dem Dachverband des Handels, dem 33 Branchenverbände mit insgesamt 4000 Unternehmen angehören. Der Handel ist mit 680 000 Mitarbeitenden der wich­tigste private Arbeitgeber der Schweiz.