Risikomanagement im International Sourcing
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Am 21. Juni 2017 trafen sich 24 Teilnehmende zu einem Workshop im Hauptbahnhof Zürich. Der neue Geschäftsführer des Verbandes, Andreas Kyburz, begrüsste die Anwesenden mit der Feststellung, dass der starke Franken die Bedeutung der internationalen Beschaffung erhöht hat, die Herausforderungen im internationalen Sourcing gestiegen sind und eine Zusammenarbeit unter Schweizer Unternehmen zur Bewältigung dieser Herausforderungen wünschbar ist.
Umfrage zur internationalen Beschaffung
Paul Ammann, Leiter des Studiengangs «Executive MBA in International Management» an der Berner Fachhochschule, fasste die Ergebnisse der Umfrage zum Thema International Sourcing zusammen, die procure.ch Anfang 2017 durchgeführt hatte und an der sich 350 Mitgliedunternehmen beteiligt hatten.
Die Umfrage zeigte, dass über die Hälfte der befragten Firmen mehr als 40 Prozent der Beschaffungen im Ausland tätigen, Tendenz steigend. Bei den Herkunftsländern wurde Deutschland mit 86 Prozent am häufigsten genannt. Auf den beiden nächsten Plätzen folgen China und Italien.
Der wichtigste Grund für die internationale Beschaffung sind die damit erzielten Kosteneinsparungen. Danach folgen Motive wie die Konzentration auf Kernkompetenzen, die fehlende Verfügbarkeit von Materialien in der Schweiz, der Zugriff auf neue Technologien, die Lokalisierung der Produkte, Produktivitätsverbesserungen und die Flexibilisierung des Kerngeschäftes.
Herausforderungen bei der internationalen Beschaffung entstehen für die Unternehmen im strategischen, operativen und politischen Bereich.
Die grössten strategischen Herausforderungen sind der grundsätzliche Entscheid, ob die Leistungserstellung im Inland oder die Beschaffung im Ausland erfolgen soll und die Auswahl der Länder, aus denen die Leistungen beschafft werden sollen.
Im operativen Bereich liegen die anspruchsvollsten Aufgaben in der Sicherstellung der nachhaltigen Qualität und Lieferfähigkeit, im Auffinden und Beurteilen ausländischer Lieferanten, beim Start der Geschäftsbeziehung, in der interkulturellen Zusammenarbeit und deren rechtlicher Absicherung. Als grösste politische Herausforderungen bezeichneten die Unternehmen die Einhaltung von ethischen Standards sowie die Akzeptanz der internationalen Beschaffung bei den eigenen Mitarbeitenden und in der Öffentlichkeit.
Die Risiken der internationalen Beschaffung liegen gemäss den befragten Unternehmen vor allem im Bereich von Wechselkursschwankungen und in der erhöhten Komplexität der Wertschöpfungskette. Die Preise von ausländischen Lieferanten können sich kurzfristig verändern. Zölle können erhoben und erhöht werden. Streiks und Unruhen können die Beschaffung aus dem Ausland erschweren. Lieferantenbeziehungen können durch Übernahmen verloren gehen und eigenes Know-how kann kopiert werden.
Gespräche mit Mitgliederfirmen
Ralph Lehmann, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur zeigte den Workshop-Teilnehmenden auf, welche Resultate eine anschliessende qualitative Befragung von zehn procure.ch-Mitgliedfirmen ergeben hat.
Gemäss den Aussagen dieser Firmen liegen die grössten Herausforderungen in der internationalen Beschaffung in den Bereichen Lieferantenmanagement, Risikomanagement, Preistransparenz, Total Cost of Ownership, Lagerhaltung, Zölle und Gesetze. Die Suche und Beurteilung von Lieferanten in ausländischen Märkten ist aufwendig und mit grossen Unsicherheiten behaftet. Die Zusammenarbeit wird durch sprachliche und kulturelle Unterschiede behindert. Die Sicherstellung der erforderlichen Qualität und Lieferbereitschaft ist anspruchsvoll. Das Erkennen, Bewerten und Kontrollieren von Risiken wie Wechselkursschwankungen, Streiks, politischen Unruhen, Transportschäden, Know-how-Verlusten und ethischen Imageeinbussen stellt eine grosse Herausforderung dar.
Schweizer Unternehmen bezahlen gemäss den befragten Unternehmen zum Teil höhere Preise im Ausland, weil sie als zahlungskräftig gelten. Der Vergleich der totalen Kosten von international im Vergleich mit national beschafften Gütern fällt den Firmen oft nicht einfach. Es stellt sich die Frage, wie die Lagerung der beschafften Güter organisiert werden muss, um die Zoll- und Transportkosten zu optimieren und schliesslich bedeuten die unterschiedlichen Zertifikate, Zollverfahren und gesetzlichen Vorschriften in verschiedenen Auslandmärkten einen hohen Informationsbedarf.
Lancierung eines KTI Projektes
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops haben die aus den Befragungen resultierenden Herausforderungen der internationalen Beschaffung aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen ergänzt, kategorisiert und deren Eignung hinsichtlich eines gemeinsamen KTI Projektes beurteilt.
Die Kommission für Technologie und Innovation des Eidgenössischen Departementes für Wirtschaft, Bildung und Forschung fördert Projekte von Hochschulen in Kooperation mit Unternehmen. Der Anspruch der KTI ist es, dass die Projekte einen wissenschaftlichen Innovationsgehalt und eine hohe praktische Relevanz aufweisen.
Beteiligt an solchen Projekten sind Unternehmen, die ihre Erfahrungen mit der gewählten Thematik einbringen, untereinander Erfahrungen austauschen und die Ergebnisse des Projektes anwenden.
Die Aufgabe der Hochschulen ist es, die Erfahrungen der Unternehmen wissenschaftlich auszuwerten und Methoden zur Lösung von praktischen Problemen zu entwickeln. Sogenannte Umsetzungspartner sorgen für die Verbreitung der Erkenntnisse in der schweizerischen Wirtschaft. Als Erkenntnisse resultiert für die beteiligten Unternehmen ein konkreter Nutzen in Form von gesteigerten Umsätzen, reduzierten Kosten oder verminderten Risiken.
Themenrangliste
Als Ergebnis des sehr engagierten Workshops resultierte die folgende Rangliste von Themen, die die Unternehmen in Form eines KTI-Projektes angehen würden:
- Internationales Beschaffungsrisiko-Management: Ermittlung der Risiken, mit denen Schweizer Unternehmen bei der internationalen Beschaffung konfrontiert sind, Methoden zur Einschätzung der Risikopotenziale, Massnahmen zur Risikokontrolle.
- Auswahl internationaler Beschaffungsmärkte: Bezug zur Absatzmarktstrategie, Informationsquellen zur Ermittlung von Lieferanten im Ausland, Lieferanten Cluster in Beschaffungsmärkten, Methoden zur Evaluation potentieller Zulieferer.
- Internationale Qualitätssicherung: Methoden zur langfristigen Sicherstellung der Zulieferqualität, Institutionen und Einrichtungen zur Prüfung von Produkten und Verpackungen ausländischer Lieferanten.
- Internationales Lieferanten-Management: Umgang mit sprachlichen und kulturellen Unterschieden, Aufbau langfristiger Kooperationen, Ansätze zur Lieferanten-Qualifizierung.
- Sicherstellung Lieferfähigkeit: Methoden zur Sicherstellung von Lieferterminen, Flexibilisierung von ausländischen Lieferanten, Einsatz von Industrie 4.0, Nutzung von Konsignationslagern.
Das grösste Potenzial für ein KTI-Projekt scheint aus der Sicht der praktischen Relevanz das Thema Internationales Beschaffungsrisiko-Management aufzuweisen, vor allem wenn man bedenkt, dass die Themen Qualitätssicherung und Lieferfähigkeit darin integriert behandelt werden könnten.
Die nächsten Schritte
Die beiden beteiligten Fachhochschulen werden deshalb als nächsten Schritt das wissenschaftliche Innovationspotential dieses Themas abklären. Danach werden die Teilnehmer des Workshops und die Mitglieder des Verbandes procure.ch eingeladen, sich an der Entwicklung des KTI-Projektes zu beteiligen.
Geplant ist eine Eingabe des Projektantrages bis Ende September 2017. Entsprechend könnte der Projektstart Ende Oktober dieses Jahres erfolgen. Das Projekt umfasst eine Laufzeit von 18 Monaten. Es erfordert eine gleichwertige Beteiligung der Hochschul- und Wirtschaftspartner und bietet die Möglichkeit, Erfahrungen zum Management von internationalen Beschaffungsrisiken mit anderen Unternehmen auszutauschen, Methoden zur Analyse von Risikopotenzialen zu entwickeln und Massnahmen zur Risikominderung zu erarbeiten – mit dem Ziel, die Risikoexposition des Unternehmens im Bereich der internationalen Beschaffung zu kontrollieren.
Drei Stunden hat der Workshop im Bahnhof Zürich gedauert. Die Beschäftigung mit dem Thema International Sourcing war intensiv, die Temperaturen hoch. Resultiert ist eine konkrete Stossrichtung zur Zusammenarbeit im Rahmen eines KTI-Projektes und eine erste Erfahrung, wie interessant der Austausch mit anderen Unternehmen in diesem Themenbereich ist.
Paul Amman
Paul Ammann leitet den Forschungsbereich International Management der Berner Fachhochschule.
Ralph Lehman
Ralph Lehmann ist Professor für International Business und Leiter des Masterstudienganges New Business an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur.