Risiko und Hirn

Risiko und Hirn

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Selbst ein ausgeklügeltes Risikomanagement müsste ins Nichts führen, nimmt man die neurologische Forschung zum Massstab: Das menschliche Gehirn sei gar nicht in der Lage, Risiken zu quantifizieren. Präziseres als die Kategorien «gut» und «schlecht» stünden uns für Zukunftseinschätzungen gar nicht zur Verfügung.

Dazu fällt mir eine Anekdote aus der Schulzeit ein: Obschon man ihn verlachte, hielt einer meiner Klassenkameraden beharrlich an der Behauptung fest, die Wahrscheinlichkeit, heute vom Blitz erschlagen zu werden, liege bei 50 Prozent. Denn entweder es passiere oder eben nicht.

Diese Schwarz-Weiss-Wahrnehmung von Risiko ist verbreitet und vermutlich von der sonstigen Intelligenz abgekoppelt. Problematisch sind positive Szenarien mit einer relativ hohen Eintrittswahrscheinlichkeit. Angenommen, eine Investition von 100 Franken vermehrt sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 Prozent auf 140 Franken, mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent verliert man jedoch alles. Obschon dieses Geschäft zwar im Durchschnitt das Vermögen von 100 auf 105 Franken erhöht, besteht bei einmaliger Durchführung ein erhebliches Risiko, mit Nichts dazustehen. Leider macht das Hirn aus den 75 Prozent Gewinnwahrscheinlichkeit ein «Sicher».

Ist die Erfolgswahrscheinlichkeit klein, kann das Hirn bei einem sehr hohen Gewinnbetrag locker ein «Durchaus-möglich» daraus machen. Die Wahrscheinlichkeit eines Haupttreffers bei Euromillions steht pro Tipp bei eins zu sechzig Millionen. Objektiv betrachtet, kann man das Geld gerade so gut verbrennen. Dennoch verlieren Tausende sonst vernünftige Menschen Woche für Woche ihren ganzen Einsatz …

Leicht beunruhigend das alles, schliesslich werden an den Rohstoff- und Finanzmärkten die Entscheide aufgrund von Risikowerten gefällt – die erschreckenderweise kaum jemand versteht. Untersuchungen belegen, dass selbst professionelle Vermögensverwalter nicht einmal die elementarsten Risikoparameter zu deuten wissen …

Die Verbindung zwischen den Risikomodellen und den interpretierenden Menschen ist also wenig fruchtbar. Börsenentscheide sollten demnach entweder nur mit der Maschine (der Algorithmus versteht die Risikomasse) oder aber nur mit dem Bauch (respektive dem Hirn) gefällt werden. Dass das Bauchgefühl durchaus richtig liegen kann, zeigt wieder Euromillions: Irgendjemand hat die 150 Millionen geholt, die diese Woche im
Jackpot waren. Ich wars nicht …

Roland Wirth

Roland Wirth

Der promovierte Volkswirtschaftler kennt die Bildungswelt aus unterschiedlichen Funktionen und ist als Dozent für Volkswirtschaftslehre am Puls der Wirtschafts­politik. Er ist Geschäftsführer und Rektor der Kaderschule Zürich, welche die Anbieterin des PWA-Wirtschaftsprogramms und der Lernplattform elob ist.

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