Revidiertes Beschaffungsrecht: Eine faustdicke Überraschung?

Revidiertes Beschaffungsrecht: Eine faustdicke Überraschung?

Publiziert am Autor: Marc Steiner

Marktöffnung und Geld sind wichtig, aber nicht allein prägend, wenn es um die Regulierung des öffentlichen Einkaufs geht. Neue Gesetzesziele wie die Korruptionsprävention und die Nachhaltigkeit spielen auch eine Rolle, wenn der Ständerat im Dezember das neue Beschaffungsgesetz behandelt.

Für viele Firmenmitglieder von procure.ch gehört die Bewerbung um öffentliche Aufträge zum täglichen Geschäft. Sie offerieren schweizweit bei entsprechenden öffentlichen Beschaffungen.

Öffentliche Beschaffungen durch schweizerische Vergabestellen werden auf drei Stufen geregelt: Auf internationaler völkervertragsrechtlicher Ebene ist insbesondere das WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA 1994) einschlägig. Der Bund hat «nur» die Kompetenz, das Beschaffungswesen auf Bundesebene umfassend zu regeln, was mit dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) geschehen ist.
Für die Kantone gelten die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) sowie kantonale und kommunale Vorschriften. Die zersplitterten Beschaffungserlasse von Bund und Kantonen sorgten immer wieder für Kritik.

Harmonisierung als Hauptziel

Das Hauptziel der parallelen Totalrevision des BöB (und der IVöB) ist die Harmonisierung der Beschaffungsordnungen von Bund und Kantonen. Ergänzend dazu hat der Bundesrat auch die Botschaft zum revidierten WTO-Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen von 2012 (GPA) verabschiedet. Die Harmonisierungszielsetzung ist inzwischen unbestritten. Der Weg dazu ist nicht (mehr) ein Rahmengesetz, sondern im Rahmen des Möglichen sind es gleichlautende Texte von BöB und IVöB.

Damit wird namentlich den Interessen der Wirtschaft an der Vermeidung sogenannter «Rechtszersplitterung» Rechnung getragen. Es soll vermieden werden, dass die Akteure auf kleinstem Raum mit mehreren Rechtsordnungen konfrontiert sind. Das ist umso wichtiger vor dem Hintergrund der volkswirtschaftlichen Bedeutung des öffentlichen Einkaufs.

Bund, Kantone und Gemeinden sowie nicht zu vergessen die unterstellten Sektorenunternehmen aus dem Energie- und Verkehrsbereich kaufen pro Jahr für über 40 Milliarden Franken ein, wovon ungefähr die Hälfte Bauleistungen sind.

Derzeitiger Stand

Das inzwischen epische Gesetzgebungsprojekt erreicht jetzt langsam, aber sicher die Ziellinie. Der Nationalrat hat die bundesrätliche Botschaft für ein neues Beschaffungsgesetz des Bundes am 13. Juni 2018 beraten, und gemäss Medienmitteilung vom 2. November 2018 hat inzwischen auch die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) die Detailberatung zum BöB abgeschlossen.
Die Vorlage kommt nach der Sessionsplanung im Dezember ins Ständeratsplenum. Erfreulicherweise gibt es  keine Hinweise, wonach widerstreitende Interessen das gesamte Projekt gefährden könnten. Der Ständerat könnte aber in durchaus nicht unwesentlichen Punkten zu anderen Lösungen kommen als der Nationalrat, was ein parlamentarisches Differenzbereinigungsverfahren notwendig machen würde. Sobald das Bundesgesetz – hoffentlich in der ersten Jahreshälfte 2019 – steht, wird die Revision der IVöB fortgesetzt.

Mehr als Marktöffnung

Als Anfängerinnen und Anfänger haben wir Mitte der 90er-Jahre gelernt, die vier klassischen Ziele Wirtschaftlichkeit, Förderung des wirksamen Wettbewerbs, Gleichbehandlung und Transparenz aus dem Schlaf geweckt auswendig aufzuzählen. Dies versteht sich vor dem Hintergrund, dass im Beschaffungsrecht im Wesentlichen ein Marktöffnungsinstrument gesehen wurde. Das ist es immer noch, aber nach dem neuen BöB wird diese Funktion nicht mehr in gleicher Weise absolut gesetzt wie früher. Vielmehr werden die bisherigen Ziele breiter ausformuliert, und es treten neue Gesetzesziele hinzu. Das gilt insbesondere für die Korruptionsprävention. In den 90er-Jahren war klar, dass die Korruptionsbekämpfung ausserhalb des Mandats der WTO liegt und aus derselben Logik gedacht nicht Thema des öffentlichen Wirtschaftsrechts ist. Das hat sich mit dem revidierten Government Procurement Agreement 2012 gründlich geändert. Und wir haben auch in der Schweiz mit Blick auf die jüngsten Urteile des Bundesstrafgerichts zur Korruption im öffentlichen Auftragswesen allen Grund, diese neue Stossrichtung ernst zu nehmen.

Qualität und Nachhaltigkeit

Gemäss Art. 2 des neuen Gesetzes sind sich Bundesrat und Parlament einig, dass dieses den wirtschaftlich, ökologisch und sozial nachhaltigen Einsatz der öffentlichen Mittel bezweckt.

Dabei möchte der Nationalrat zusätzlich die volkswirtschaftliche Dimension betonen. So oder anders ist da etwas nach der ökonomischen und wirtschaftsrechtlichen Denke der 90er-Jahre keineswegs Selbstverständliches beziehungsweise aus der Optik der Bundesverfassung von 1999 eben doch Selbstverständliches geschehen. Der Gesetzgeber erklärt die Nachhaltigkeit, die aus Sicht der reinen Marktöffnungslogik der 90er-Jahre störend und darum vergabefremd oder gar blosses Feigenblatt zur Tarnung von Protektionismus war, zum Gesetzesziel. Das ist ein Paradigmenwechsel. Indessen ist nicht zu leugnen, dass die Auftraggeberseite in der Abwägung zwischen verschiedenen öffentlichen Interessen mit Zielkonflikten konfrontiert sein wird. Diesen wird im Rahmen der Spielräume, die das Gesetz der Verwaltung ganz bewusst bietet, Rechnung zu tragen sein. Aber wie kam es dazu?

Schon im bekanntesten Werk von Erich Maria Remarque ist die philosophische Frage gestellt worden, wie Kuhscheisse aufs Dach kommt. Die Lösung liegt in der Parole «Qualitätswettbewerb». Bundesrat Ueli Maurer hat dazu in seiner Regierungserklärung vor dem Nationalrat zutreffend festgestellt, dass der Zweckartikel Preis und Qualität auf die gleiche Stufe stellt. Und diese Parole hat die Mehrheit des Parlaments hinter sich, welche zugleich erkannt hat, dass es Synergieeffekte gibt zwischen Qualitätswettbewerb, Innovationsförderung und Nachhaltigkeit.

Fazit

Nach dem soeben Gesagten ist die Nachhaltigkeitszielsetzung (und der Korruptionspräventionsgedanke ohnehin) auch aus vergaberechtspolitischer Sicht nicht mehr «aus der linken Ecke» gedacht.

Übrigens: Die Vergabekultur lässt sich schon vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes anpassen, denn auch Art. 21 des geltenden BöB fragt nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis und nicht nach dem günstigsten Preis. Es gibt einfach immer noch viele Einkäuferinnen und Einkäufer im öffentlichen Sektor, die denken, dass die Berücksichtigung des günstigsten Angebots gegenüber Vorgesetzten, Juristinnen und Politikern der Weg des geringsten Widerstandes ist. Der neue Merkspruch muss demgegenüber heissen: Geiz ist nicht geil.

Marc Steiner

Der Rechtsanwalt amtet seit 2007 als Richter am schweize­ri­schen Bundes­verwaltungs­gericht in St. Gallen. Die Abteilung, der er angehört, befasst sich unter anderem mit Fällen aus den Bereichen Vergabe-, Marken- und Kartell­recht. Marc Steiner äussert hier seine persönliche Meinung.