Reimer macht sich seinen Reim auf «Marshmallows»

Reimer macht sich seinen Reim auf «Marshmallows»

Publiziert am Autor: Markus Reimer

Die Welt wird doch recht gern vergessen, nicht nur, aber auch beim Marshmallow-Essen.

Was hat die beliebte amerikanische Schaumzuckerware mit Nachhaltigkeit zu tun? Mehr als Sie denken. Die ursprünglich aus dem aus dem Saft von Eibischwurzeln hergestellte Süssigkeit musste für ein legendäres Psychologie-Experiment herhalten. Dieses zeigte auf, wo die Hürden für nachhaltiges Handeln liegen.

Kennen Sie Walter Mischel? Aber vielleicht kennen Sie das Marshmallow-Experiment. Kurzgefasst: Entweder jetzt ein Marshmallow oder später zwei Marshmallows. Es gilt noch heute als eines der berühmtesten Experimente aus dem Bereich der Psychologie überhaupt. Kindern wurde ein Marshmallow vor die Nase gesetzt. Und dann galt es – trotz Erlaubnis! – auf den Verzehr dieses Marshmallows zu verzichten, um später dafür zwei Marshmallows zu erhalten. Das gelang dem einen Kind besser als dem anderen. Und Walter Mischel leitete daraus dann allerhand Erkenntnisse für die Zukunft dieser Kinder ab. Wer erst mal verzichten konnte, um dann später die Belohnung zu erhalten, der sollte dann später im Leben auch erfolgreicher sein. So weit zu Walter Mischel. 

Und nun zu uns. Wir leben schon seit vielen Jahrzehnten im Marshmallow-Schlaraffenland. Wir können jedes uns vorgesetzte Marshmallow ohne nachzudenken sofort und auf der Stelle vertilgen; weil wir wissen, dass der nächste Sack Marshmallows im nächsten Migros steht und wir auf diesen unbeschränkten Zugriff haben. Warum also sollten wir den Genuss, die Belohnung aufschieben? Es ist alles da. In Hülle und Fülle. Das ist bei uns und in vielen westlichen Ländern so. Das ist gut so. Aber das ist in vielen anderen Ländern nicht so. Und das ist nicht gut so. Dort stellt sich nicht die Frage nach dem ersten oder zweiten Marshmallow; dort weiss man noch nicht einmal, was das ist.

Sollte es aber nicht so sein, dass wir rund um den Globus Marshmallows zur Verfügung haben? Dass diese für alle auch erreichbar sind? Unabhängig davon, ob man die nun mag und isst oder nicht. Wenn wir Marshmallows gleichsetzen mit Nahrung, dann ist das natürlich noch viel einleuchtender. 

Nun wissen wir schon seit Jahrzehnten, dass das mit der Nahrung nicht so gleich verteilt ist, wie es sein sollte. Und es wird schlimmer. Dürren, Stürme, Schädlinge, Viren, Überschwemmungen sorgen dafür, dass immer noch grössere Teile der Weltbevölkerung nicht mehr vor die Frage gestellt werden, welche Nahrung, sondern, ob überhaupt Nahrung erreichbar ist.

Deswegen wird bei uns mittlerweile allüberall von Nachhaltigkeit gesprochen und zum Teil danach gehandelt. Nachhaltigkeit bedeutet so zu handeln und zu wirtschaften, dass wir immer genau so weitermachen können, ohne dass heute und zukünftig jemand und etwas darunter leiden muss. Mit anderen Worten: Es geht um sozial verantwortliches, um ökologisch ausgerichtetes und um weltumspannend ökonomisches Denken, Handeln und damit auch Einkaufen. Es geht nicht nur um Klimaschutz. Wir werden auf das erste Marshmallow verzichten müssen, ohne dass wir ein zweites angeboten bekommen. Nur so können wir die Voraussetzungen für Marshmallows für alle zu jeder Zeit schaffen. 

Bei Walter Mischel hat sich später herausgestellt, dass der Verzicht auf das erste Marshmallow für die Zukunft der Kinder doch nicht so aussagekräftig war. Bei unserem Verzicht dürfte das anders sein. 

Markus Reimer

Markus Reimer ist Bayer, Autor, Managementexperte, Unternehmer und gefragter Keynote-Speaker. Der promovierte Philosoph beschäftigt sich mit Innovation, Agilität, Qualität und Wissen. Freuen Sie sich auf einen Blick vom Tellerrand.