Optimaler Reifegrad für digitale und globale Lieferketten

Optimaler Reifegrad für digitale und globale Lieferketten

Publiziert am Autor: Jacqueline Klaiss Brons

Kundenbedürfnisse ändern sich, und Unternehmen müssen darauf reagieren, indem sie ihre Wettbewerbsfähigkeit stärken und auf die Herausforderungen mit Markt-, Kunden- oder Technologieentwicklungen antworten. Wie viel trägt das Supply Chain Management überhaupt dazu bei – und wie kann dessen Reifegrad gesteigert werden, um langfristig am Markt zu überleben?

Dem ersten Anschein nach ist alles perfekt! Firma A hat eine Beschaffungsstrategie implementiert. Doch bei näherem Hinschauen fällt auf: Es ist keine zeitgemässe Supply-Chain-­Management-Strategie – bestehend aus sich ergänzenden und aufeinander abgestimmten Entwicklungs-, Beschaffungs-, Logistik-, Produktions- und Marktstrategien.
Und wie sieht es bei den Zielen der Supply-Chain-Man­a­gement-Funktionen aus? Bei Firma A soll der Einkauf die Beschaffungskosten reduzieren, die ­Logistik die Kapitalbindungskosten minimieren und die Produk­tion ihre Durchlaufzeit senken. Es gibt jedoch keine funktionsübergreifenden Ziele.

Ausgangslage

Kommt Ihnen diese Beschreibung ­bekannt vor? Wenn Ihre Antwort «Ja» lautet, dann sind Sie sehr wahrscheinlich keine Ausnahme. Denn in den meisten Unternehmen sieht die Handhabung von Supply-Chain-Management (SCM) ähnlich aus. Obwohl SCM zunehmend einen höheren ­Stellenwert gewinnt, fokussieren viele Firmen noch immer auf einzelne Funktionen. Der Grund liegt auf der Hand: SCM ist immer noch nicht verankert.

Hintergrund und Relevanz

Der Begriff SCM besteht seit über 30 Jahren. Ein einheitliches Verständnis davon gibt es jedoch nicht. Firmen haben unterschiedliche Sichtweisen bezüglich des Umfangs, des Ablaufs, der Stakeholder und der Organisation von SCM sowie bezüglich der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten, die damit verbunden sind. Gleiches gilt für SCM-Projekte und -Systeme sowie für das mit SCM einhergehende Change-Management.
Hingegen ist man sich einig, dass SCM ein Ansatz ist, der die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen stärkt. Trotzdem bleibt der Fokus vieler Unternehmen auf Funktionen wie zum Beispiel Entwicklung, Einkauf, Produktion, Logistik und Verkauf. Jede Funktion hat Ziele, die sie unabhängig von den anderen Funktionen festlegt und umsetzt. Zudem übt jede Funktion ihre Arbeit aus respektive setzt ihren Teilprozess um, ohne die Auswirkungen auf andere Funktionen, Teilprozesse oder gar auf den Gesamtprozess ausreichend zu berücksichtigen. Dies kann verheerende Folgen für die Wettbewerbs- und letztlich für dieÜberlebensfähigkeit von Unternehmen haben.

Erarbeitung des Modells

Die Beobachtung, dass das SCM-Denken und -Handeln bei Firmen und Institutionen nach wie vor noch nicht sehr ausgeprägt ist, war letztlich ausschlaggebend dafür, die abschliessende Masterarbeit im Studiengang «MAS Internationales Logistik-Management» an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) zu dieser Thematik zu verfassen.
Mit dem durch die Masterarbeit entwickelten SCM-Reifegradmodell können Firmen ihren heutigen SCM-Reifegrad feststellen. Das Modell ent­hält vier Reifegrade, nämlich «1-Tradi­tio­nell-25%», «2-Einsteiger-50%», «3-Aufsteiger-­75%» und «4-Best Practice-100%». Zudem wurde eine Vorgehensweise definiert, die es Unternehmen erlaubt, sich von ihrem heutigen zu einem höheren SCM-Reifegrad zu entwickeln.
Das SCM-Reifegradmodell stützt sich einerseits auf die Schwerpunktthemen «Strategie», «Prozesse», «Organisation», «Projekte, Systeme und Controlling» und «Kultur», die oft in der Fachliteratur vorzufinden sind.
Zudem sind die Rückmeldungen mehrerer Firmen auf den erstellten Fragebogen zu den oben erwähnten Schwerpunktthemen in das Modell eingeflossen. Das entstandene Reifegradmodell zeigt eine schrittweise Entwicklung vom herkömmlichen funktionalen und firmen­internen Fokus zu einem Ansatz, der die funktions- sowie firmenübergreifende Zusammenarbeit betont.
Das SCM-Reifegradmodell und die ebenfalls beschriebene Vorgehensweise zur Steigerung des SCM-Reifegrads erlauen es Firmen, sich von der Funktions- respektive einer Teilsicht zu verabschieden und sich zu einer Prozess- beziehungsweise Gesamtsicht hin zu entwickeln. Der Nutzen ist eine nachhaltige Verankerung von SCM.

Durchspielen des Modells

Nun zurück zu der erwähnten Fir­ma A – sie hat den Reifegrad respektive die Reife «Traditionell». Dies, weil der Fokus bei allen fünf Schwerpunktthemen auf dem Einkauf liegt. Die Steigerung der Reife von «Traditionell» zu «Einsteiger» setzt voraus, dass der Fokus auf alle innerhalb der Firma von SCM betroffenen Strategien respektive Prozesse und Funktionen gelegt wird. Diese Entwicklung findet jedoch immer noch firmenintern statt. Firma A würde von der Steigerung profitieren, da die Zusammenarbeit aller entlang der Wertschöpfungskette betroffenen Funktionen innerhalb des Unternehmens abgestimmt wäre. Das Resultat wäre nicht nur eine Senkung der Beschaffungskosten, sondern unter anderem auch eine Reduzierung der Durchlaufzeiten und Kapitalbindungskosten.

Weg zu einem höheren Reifegrad

Der Aufwand, der bei Firmen und Institutionen für die Steigerung ihres SCM-Reifegrads anfällt, kann hoch sein. Deswegen müssen sie entscheiden, welche der fünf Schwerpunkt­themen in welcher Reihenfolge und mit welchen Ressourcen anzugehen sind. Nachdem der heutige SCM-Reifegrad festgestellt wurde, ist es wichtig, dass die für Firmen entscheiden, was ihnen fehlt, um den nächsthöheren SCM-Reifegrad erreichen zu können, was sie inhaltlich tun müssen, welche personellen Ressourcen und finan­ziellen Mittel benötigt werden, wie viel Zeit sie brauchen, um die nächste Stufe zu erreichen, bei welchem SCM-Reifegradelement sie den grössten Nutzen zu den niedrigsten Kosten erzeugen und last, but not least, wie der Umsetzungsplan aussieht. Auch für Firma A ist es wichtig, zu entscheiden, welche SCM-Reifegradelemente durch welche Massnahmen mit welchen Verantwortlichkeiten und in welchem Zeitraum angegangen werden.

Portrait Jacqueline Klaiss Brons

Jacqueline Klaiss Brons

Die diplomierte Chemikerin und Betriebswirtschafterin hat langjährige internationale Berufserfahrung im SCM-Bereich und leitete zuletzt den Konzerneinkauf bei der SBB AG. Anfang 2017 schloss sie ihren MAS «Internationales Logistik-Management» an der FHNW ab.