Nette Wirtschaft
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2020 ist auf der ganzen Welt ein Unruhejahr ohnegleichen, kein lebender Mensch hat je Ähnliches erlebt. Die Schweiz jedoch erweist sich auch in der Krise als Hort der Ruhe. Keine bösen Diktatoren oder irre Präsidenten, die sich an der Macht halten wollen, kein Hunger, keine Unruhen, keine Plünderungen, keine schiessenden Polizisten, keine Bürgerwehren. Am Ende des Monats ist der Lohn trotz Kurzarbeit und BIP-Einbruch auf dem Konto. Und die topsoliden Lieferketten halten uns zu konstanten Preisen im materiellen Überfluss.
Wir haben im Unglück Corona das grosse Glück, in einer stabilen Gesellschaft zu leben. Was läuft in der Schweiz anders?
Gewöhnlich werfe ich der Politik fehlende Problemlösefähigkeit und Schwätzerei vor. Den ersten Pfeiler gesellschaftlichen Grundvertrauens jedoch setzte Anfang Lockdown der Bundesrat. Er hat mit der Finanzierung der Kurzarbeit einen konjunkturellen Stabilisator aus dem Hut gezaubert, der uns wirtschaftlich den Hintern rettet. Klar, es hat Notrecht dafür gebraucht, aber nichtsdestotrotz: Vielen Dank, Bern.
Ein zweiter Pfeiler der Stabilität besteht in einer grundsätzlich freundlichen gesellschaftlichen Stimmung, gerade auch in der Wirtschaft. Unsere im Alltag wahrnehmbaren Unternehmen sind fast ausnahmslos «Good Guys». Die Firmen verstehen sich als Gesellschaftsmitglieder, die sich engagieren und ihren Gewinn auf legitimer Grundlage erwirtschaften. Ich rede dabei keines der tausend Gegenbeispiele schön. Aber im Unterschied zu anderen Gesellschaften sind Konzerne selten, die systematisch Kunden übers Ohr hauen, Angestellte ausbeuten, Lieferanten auf null drücken und die Umwelt zerstören.
Viele Firmen sind im Gegenteil Lokomotiven des gesellschaftlichen Fortschritts und der Nachhaltigkeit, nicht Bremsen wie anderswo. Die Biologisierung der Landwirtschaft geht auf Initiativen von Coop und Migros zurück, die beiden Detailhändler engagieren sich auch in anderen Bereichen vorbildlich. Sogar Aldi und Lidl müssen auf nett machen, um im Schweizer Markt zu bestehen. Die vermeintlich langweiligen Versicherungen etablieren neue Arbeitsmodelle, integrieren Benachteiligte und streben die CO2-Neutralität an. Die KMU stützen die Berufslehre und bringen damit die Jungen gut ausgebildet in den Arbeitsmarkt.
Unsere Wirtschaft ist unter dem Strich ein recht gutes Mit- und nicht ein Gegeneinander. Dem Menschen wird mit Grundrespekt begegnet, was uns viel angenehmer durch die Krise bringt.
Roland Wirth
Der promovierte Volkswirtschaftler kennt die Bildungswelt aus unterschiedlichen Funktionen und ist als Dozent für Volkswirtschaftslehre am Puls der Wirtschaftspolitik. Er ist Geschäftsführer und Rektor der Kaderschule Zürich, welche die Anbieterin des PWA-Wirtschaftsprogramms und der Lernplattform elob ist.