Nachhaltigkeit: Innovations- statt Kostenfokus

Nachhaltigkeit: Innovations- statt Kostenfokus

Publiziert am Autor: Christian Schmalz

Die Bemühungen um eine grüne Transformation werden durch schärfere ESG-Regulierungen und das Streben nach Innovationen im Einkauf und in der Lieferkette angetrieben.

Umstellung auf Nachhaltigkeit braucht Zeit. Mögliche Mehrkosten in unbekannter Höhe machen Sorgen. Unpassend in Zeiten, in denen sich das Geschäftsklima merklich abkühlt. Kann ein Fokus auf Innovation neue Argumente für eine Investition in Nachhaltigkeit gerade jetzt liefern?

Als Ende Februar die Abstimmung über das EU-Lieferkettengesetz im Rat der EU-Staaten (vorerst) scheiterte, dürften auch einige Mitarbeitende in Einkaufs- und Supply-Chain-Funktionen in der Schweiz erleichtert aufgeatmet haben.

Unternehmen in der Schweiz, die ihrerseits Zulieferer von Grossunternehmen in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden sind und damit indirekt den Anforderungen der dort geltenden neuen Lieferkettengesetze unterliegen, haben sich möglicherweise bereits eine Harmonisierung gewünscht.

Schärfere ESG-Regulierungen

Die Lieferkettengesetze sind dabei nur ein Teil der sich weltweit verschärfenden ESG-Regulierung. Angefangen bei den grundlegenden Konzepten wie den SDGs (Sustainable Development Goals der UN) oder der SBTi (Science Based Target Initiative), über Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung wie SASB oder GRI bis hin zu den eigentlichen Gesetzen wie eben dem LkSG, der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder der neuen Verordnung zur Klimaberichterstattung (basierend auf den Empfehlungen der TCFD).

Die Schwerpunkte der einzelnen Standards sind unterschiedlich. Zusammengefasst und stark vereinfacht bedeutet dies aber für eine stetig wachsende Zahl von Unternehmen weltweit, dass die Anforderungen an die Transparenz über den direkten und indirekten Ressourcenverbrauch (inklusive CO2) und die Kenntnis über mögliche Risiken in der Lieferkette steigen.

Darüber hinaus wird die Besteuerung von CO2-Emissionen bestimmte Produkte und Produktionsverfahren langfristig weniger rentabel machen. Unternehmen, die zudem auf Fremdkapital angewiesen oder börsennotiert sind, sehen sich neuen Bewertungskriterien von Banken, Investoren und Rating-Agenturen ausgesetzt. Die Verzinsung des Fremdkapitals wird immer enger an die Nachhaltigkeitsperformance eines Unternehmens gekoppelt.

Der Anteil des «3rd Party Spends» an den Gesamtausgaben eines Unternehmens liegt in der Regel bei rund 70 Prozent. Laut einer gemeinsamen Studie von BCG und WEF aus dem Jahr 2021 entstehen in den meisten Branchen 80 bis 90 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in der Supply Chain.

The Hackett Group hat in aktuellen Studien ermittelt, dass der Einkauf im Durchschnitt 63 Prozent der Ausgaben kontrolliert («Managed Spend»), bei den weltweit besten Unternehmen sind es sogar 95 bis 97 Prozent.

Selbst wenn der Einkauf in einem Unternehmen noch nicht zu den «Besten» gehört, wird daraus deutlich, dass der Einkauf nicht nur die in den letzten Jahren vielfach geforderte Schlüsselposition im Kostenmanagement einnimmt, sondern vor allem auch eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen und der Implementierung eines nachhaltigen Supply Chain Managements einnehmen kann und muss.

Nachhaltigkeit treibt Innovationen an

In der derzeit sehr kontrovers geführten Diskussion um das geplante neue CO2-Gesetz in der Schweiz zeichnet sich ein Verzicht auf konkrete Vorgaben zur Umsetzung von CO2-Einsparungen im Inland ab. Auf den ersten Blick mag die Umsetzung von CO2-Reduktionsmassnahmen im Ausland derzeit noch kostengünstiger erscheinen.

Der fehlende Fokus auf die eigenen Anstrengungen zur Erreichung von CO2-Einsparungen schiebt aber auch die damit verbundenen Innovationen auf die lange Bank. In der Folge könnten Schweizer Unternehmen als Zulieferer in globalen Lieferketten in Zukunft nicht nur unter der Frankenstärke, sondern auch unter einer Schwäche bei der Erreichung von Nachhaltigkeitszielen leiden und an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Dem Einkauf bietet sich damit die Chance, eine strategische Rolle zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit einzunehmen. Wenn ein Unternehmen den Fokus auf Nachhaltigkeit und Innovation noch weitertreibt, können zum Beispiel mit neuen Serviceangeboten in der Umsetzung zirkulärer Geschäftsmodelle völlig neue Produkte und Dienstleistungen und damit Wettbewerbsvorteile und daraus resultierend neue Kunden und Märkte erschlossen werden.

Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Transformation von Geschäftsmodellen und die Umstellung auf eine grüne Supply Chain schlichtweg Zeit brauchen.

Grüne digitale Transformation

Die Aufgaben des Einkaufs in einer Firma, die Nachhaltigkeitsziele ernsthaft verfolgt, gehen künftig weit über die vorbildliche Beschaffung von «grünem» Strom oder die Verwendung von ESG-Kriterien in Ausschreibungen und Lieferantenverträgen hinaus.

So müssen beispielsweise die Lieferantenstammdaten weitaus umfangreichere Informationen zur ESG-Performance oder zu Zertifikaten und Ratings eines Lieferanten enthalten und aktuell gehalten werden. Neue Gesetze führen regelrecht zu Kampagnen, in denen Lieferanten in «ESG-Fragebögen» um zusätzliche Informationen gebeten werden.

Im Materialstamm müssen in Zukunft zusätzliche Informationen über das CO2-Äquivalent eines Bauteils oder eines Rohstoffs zur Verfügung gestellt werden. Neue Softwarekategorien rund um ESG-Reporting und Carbon Measurement reifen heran.

Die meisten Unternehmen haben in den letzten Jahren bereits Initiativen zur Digitalisierung des Einkaufs durchgeführt oder befinden sich mittendrin. Einige werden wahrscheinlich feststellen, dass die Datenqualität in den neuen Systemen noch verbesserungswürdig ist. Dazu hatten diese Projekte oft einen internen Fokus auf die Verbesserung der (Prozess-)Effizienz im Einkauf selbst oder auf die Einhaltung interner Vorgaben zur Compliance und Kostenkontrolle bei der Genehmigung von Ausgaben.

Steigende Anforderungen an Transparenz und Nachhaltigkeit in der Lieferkette haben die Notwendigkeit verstärkt, enger und digitaler mit Lieferanten zusammenzuarbeiten. Daraus resultieren Fragen für eine Bestandsaufnahme:

  1. Ist Ihre «Procurement Technology Map» auf dem neuesten Stand? Besteht Bedarf an Anpassungen oder Erweiterungen, um die Benutzerfreundlichkeit auch für Lieferanten zu gewährleisten?
  2. Verfügt Ihr Unternehmen über die erforderlichen Tools und Kompetenzen, um komplexe Datenmengen effektiv zu analysieren?
  3. Kennen Ihre Einkaufsmitarbeiter die Anforderungen der Nachhaltigkeitsberichterstattung und sind sie in der Lage, als «Sustainability Advisor» zu agieren?

Für die Umsetzung einer nachhaltigen Transformation kann die Beantwortung dieser Fragen als Hürde erscheinen, es lässt sich daraus aber auch ein «Business Case» für die Umsetzung von Nachhaltigkeit ableiten.

Verbindet der Einkauf Nachhaltigkeit, Digitalisierung und den Fokus auf die Supplier Experience, kann er nicht nur den regulatorischen Anforderungen begegnen, sondern hilft dem Unternehmen dabei, Innovation zu ermöglichen und Wettbewerbsvorteile zu generieren: Einen besseren Zeitpunkt und bessere Voraussetzungen, um einen echten Wertbeitrag zu leisten, gab es wahrscheinlich noch nicht!

Neue Studie

Studierende des Teilzeit-Bachelors in Digital Supply Chain Management führen eine Umfrage zur Umsetzung von Nachhaltigkeit im Einkauf in der Schweiz durch. Ziel ist, ein besseres Verständnis für die Bedeutung von Nachhaltigkeit und den Einsatz der Digitalisierung dafür in Beschaffungsfunktionen zu erhalten. Im Abgleich mit den Ergebnissen der Studie lassen sich Anhaltspunkte für den Reifegrad des eigenen Unternehmens ableiten.

Die Teilnahme an der Studie ist bis zum 12. Mai 2024 möglich.

Studie

Christian Schmalz

Nach Stationen in Unternehmensberatungen und der Finanzindus­trie und Rollen in strategischer Funktion, im Cost Management und im Einkauf berät und begleitet Christian Schmalz heute Unternehmen bei der digitalen Transformation im Einkauf. An der FH Graubünden ist er zudem als Lehrbeauftragter für Nachhaltiges Supply Chain Management tätig.

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