Marktausblick für Einkäufer #5: Nur kurzer Zwischenspurt
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Im zweiten Quartal ist das Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz in historisch beispiellosem Ausmass eingebrochen.
Mit der Aufhebung der meisten Covid-19-Massnahmen und einer als gering wahrgenommenen Ansteckungsgefahr erholt sich die Wirtschaft unmittelbar. Der Schweizer Einkaufsmanagerindex (PMI) für den Dienstleistungssektor sowie dessen Pendant für die Industrie sind wieder über die Wachstumsschwelle geklettert und deuten auf eine bislang V-förmige Erholung hin.
Auch die Detailhandelsumsätze lagen im August bereits wieder um rund
10 Prozent über dem Vorkrisenniveau, wobei das Plus in den Bereichen «Haus», «Freizeit» und «Garten» am grössten war (während umgekehrt «Bekleidung und Schuhe» noch deutlich im Minus lagen).
Schub dank Nachholkäufen
Der aktuelle Erholungsschub des Konsums wird auch durch die hohen Ersparnisse von rund acht Milliarden Franken getragen, die ein Grossteil der Haushalte während des Lockdowns angehäuft hat.
Gemäss unseren Schätzungen dürften rund zwei Drittel der Ersparnisse aus dieser Zeit mit beschränktem Angebot in den Folgemonaten wieder ausgegeben werden. Zudem flossen insbesondere in den Zeiten der geschlossenen Grenzen weniger Einkäufe ins Ausland ab, was sich auf eine geschätzte Zusatznachfrage von zwei Milliarden Franken summiert. Sinkende Preise sowie der Wunsch, Verpasstes nachzuholen, verschaffen zusätzliche Konsumanreize.
Arbeitsmarkt bremst Erholung
Die Nachholeffekte schwächen sich indessen zusehends ab, sodass die Konsumerholung in den kommenden Monaten ebenfalls an Schwung verlieren dürfte. Die wichtigste Determinante des privaten Konsums ist in der Regel die Arbeitsmarktlage. Die Zuwanderung beispielsweise, die im Durchschnitt mehr als ein Viertel zum Konsumwachstum beisteuert, ist dank dem Personenfreizügigkeitsabkommen eng mit der Nachfrage nach Arbeitskräften verbunden. Des Weiteren beeinflusst die Einschätzung der Arbeitsplatzsicherheit die Konsumentenstimmung stark, und zwischen Beschäftigungs- und Lohnentwicklung besteht zumindest theoretisch ebenfalls ein enger Zusammenhang.
Die Arbeitsmarktlage dürfte indes bis weit in das kommende Jahr hinein angespannt bleiben. Trotz Kurzarbeit wird die Arbeitslosenquote in den kommenden Monaten wohl steigen. Konkret rechnen wir mit einem Anstieg von heute 3,2% auf rund 4,0% bis Mitte 2021 (Durchschnitt 2020: 3,2%; 2021: 3,9%). Ein solcher Anstieg wird das Konsumwachstum erfahrungsgemäss bremsen, wenn auch nicht abwürgen. Der Migrationssaldo dürfte sich derweil weiter verringern, dies sollte dem Konsumwachstum im kommenden Jahr ebenfalls Grenzen setzen.
Magere Lohnrunde
Es ist zudem zu erwarten, dass die Unternehmen in den kommenden Monaten in erster Linie bestrebt sein werden, ihre Gewinnsituation wieder zu verbessern. Folglich sind für das kommende Jahr eine beträchtliche Zurückhaltung bei den Neueinstellungen, ein bereits erwähnter Anstieg der Arbeitslosigkeit sowie nur marginale Lohnsteigerungen zu erwarten. Wir gehen für 2021 entsprechend von einer Quasi-Nullrunde bei den Nominallöhnen aus (+0,1%). Weil gleichzeitig das Preisniveau nicht weiter sinken sollte (Inflation 2021: +0,3%; nach –0,7% im Jahr 2020), wird die Kaufkraft der Löhne im nächsten Jahr sogar leicht abnehmen.
Das Konsumwachstum dämpfen dürfte darüber hinaus der Umstand, dass das Coronavirus die Wirtschaft noch länger beschäftigen wird. Zwar gehen wir nicht von einem erneuten flächendeckenden Lockdown aus, zumal die Medizin Fortschritte machen dürfte; regional muss aber mit zeitweilig wieder stärkeren Einschränkungen gerechnet werden.
Auch das Investitionsklima dürfte angesichts der schwierigen Gewinnsituation der Unternehmen noch eine Weile verhalten bleiben. Die Nachfrage nach Investitionen in Ausrüstungen und Maschinen sollte aber dank der Erholung der Industriekonjunktur zumindest wieder etwas anziehen. Bis dato haben Investitionen der Pharma- und Chemieindustrie sowie Investitionen in die IT-Infrastruktur den anderswo beobachteten Einbruch des Investitionsvolumens gedämpft. Die Bauinvestitionen waren im ersten Halbjahr 2020 trotz tiefer Zinsen und zumeist offener Baustellen ebenfalls rückläufig. Hier wirkte die allgemeine Verunsicherung dämpfend, und das Erholungspotenzial dürfte aufgrund steigender Leerstände im Mietwohnungssegment bis auf Weiteres beschränkt bleiben.
Pharma stützt Exporte
Der Einbruch der Warenexporte ist bislang ebenfalls durch das hohe
Gewicht des Pharma- und Chemiesektors (50 Prozent der Exporte) und dessen geringe kurzfristige Konjunktursensitivität gedämpft worden. Vieles spricht dafür, dass dieser Sektor auch in Zukunft eine verlässliche Stütze der Aussenhandelsentwicklung bleiben wird. Derweil haben die zyklischen Branchen, wie etwa die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) oder die Uhrenindustrie, die Talsohle durchschritten. Wir gehen davon aus, dass ihre Erholung andauern sollte.
Pessimismus ist nicht angebracht
Die Erholung vom historischen Absturz im ersten Halbjahr verläuft derzeit insbesondere in den auf den hiesigen Konsum ausgerichteten Binnenbranchen äusserst rasch. Die weitere Konjunkturerholung wird aber wohl eher schleppend verlaufen. Entsprechend dürfte die Entwicklung des BIP in den Jahren 2020 und 2021 einem schiefen V ähneln. Wir bleiben folglich bei unserer im Vergleich zu anderen Instituten optimistischen Einschätzung für dieses Jahr, wonach das BIP um im internationalen Vergleich geringe vier Prozent einbrechen wird. Zudem gehen wir nach wie vor davon aus, dass die Erholung 2021 nicht kräftig genug sein wird, um das BIP vor dem Jahresende 2021 wieder auf das Vorkrisenniveau steigen zu lassen (Prognose 2021: +3,5%).
Claude Maurer
Der ehemalige Profisportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) leitet bei der Credit Suisse ein Team von Ökonomen, das sämtliche Prognosen und Analysen zur Schweizer Konjunktur- und Geldpolitik erstellt.