Marktausblick für Einkäufer #6: Rückschlag und Fortsetzung
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Die zweite Welle der Corona-Infektionen ist stärker und rascher als auch von uns erwartet gekommen. Der Bundesrat hat am 28. Oktober schärfere nationale Massnahmen erlassen und diverse Kantone gehen ihrerseits über dieses Massnahmenpaket hinaus. Die Erfahrungen aus der ersten Welle zeigen, dass sich Eindämmungsmassnahmen gegen das Coronavirus unmittelbar negativ auf das Wirtschaftswachstum (gemessen am BIP-Wachstum) eines Landes auswirken. Es besteht generell eine hohe Korrelation zwischen der Strenge solcher Massnahmen (gemessen am Stringency Index der Universität Oxford) und der Entwicklung des BIP.
Zweischneidige Massnahmen
Eindämmungsmassnahmen sind derweil wohl auch wirtschaftlich notwendig, weil sie das Verhalten der Bevölkerung im «richtigen» Ausmass verändern können. Eine detaillierte Analyse des Wirtschaftsnobelpreisträgers Michael Spence auf Basis umfassender globaler Daten kommt nämlich zum Schluss, dass nicht die Stringenz der Massnahme an sich, sondern die Abnahme der Mobilität ursächlich für den Rückgang der Wirtschaftsleistung ist. Die Mobilität kann demnach bei «zu schwachen» Massnahmen sogar stärker als vorgesehen abnehmen, nämlich dann, wenn hohe Ansteckungs- und Todesfallzahlen die Konsumenten verunsichern. Die Erfahrung aus der ersten Welle hat aber auch gezeigt, dass sich die Mobilität mit der Aufhebung der meisten Covid-19-Massnahmen und einer als gering wahrgenommenen Ansteckungsgefahr rasch normalisiert.
Wachstumsdelle im 4. Quartal
Angesichts der heftigeren zweiten Welle dürfte die Wirtschaftsleistung im 4. Quartal im Vorquartalsvergleich gemäss unserer aktuellen Prognose sogar wieder abnehmen (um ca. 0,5% gegenüber dem Vorquartal). Sollte es indes gelingen, die Fallzahlen mit den derzeit gültigen Massnahmen zu stabilisieren und zu senken, dürfte sich die Erholung insbesondere im kommenden Frühling wieder fortsetzen.
Fünf Gründe sprechen unseres Erachtens dafür, dass der Wirtschaftseinbruch in der zweiten Welle generell geringer sein wird als in der ersten – und warum übertriebener Pessimismus nicht angebracht ist.
- Die Massnahmen zur Eindämmung der Corona-Infektion sind weniger einschneidend als damals. Während des Lockdowns im Frühling war gemäss unseren Berechnungen rund ein Drittel aller Güter und Dienstleistungen für die Konsumenten nicht oder nur stark erschwert erhältlich oder zugänglich. Derzeit sind es rund fünf Prozent. Zudem ist die internationale Mobilität deutlich einfacher als in Zeiten der geschlossenen Grenzen, und Lieferengpässe aus Asien und anderen Ländern scheinen weniger ein Problem zu sein.
- Die Massnahmen zur Abfederung der negativen Folgen des Lockdowns sind bereits etabliert, und sie haben in der ersten Welle bewiesen, dass sie rasch und effizient wirken. Insbesondere die Kurzarbeitsentschädigunge dürften den stark betroffenen Branchen Entlastung und eine gewisse Planungssicherheit geben. Zudem bedeutet die «Bekanntheit» des Virus, dass negative Vertrauenseffekte sowohl auf Seite der Haushalte wie auch der Unternehmen wesentlich geringer sein sollten.
- Derzeit befindet sich nicht mehr die ganze Welt in einem synchronen Abschwung. Während der ersten Welle befanden sich mehr als 90 Prozent aller Länder in einer Rezession. Mittlerweile hat Nord-Asien, allen voran China, die Pandemie gut unter Kontrolle. Das Reich der Mitte, in dem rund ein Drittel der globalen Industrieproduktion stattfindet, dürfte sich somit weiter erholen.
- Der Stress im Finanzsystem ist wesentlich geringer als damals, unter anderem dank neu eingeführten beziehungsweise aufgestockten Instrumenten der Zentralbanken. Dies bedeutet unter anderem, dass eine sprunghafte CHF-Aufwertung weniger wahrscheinlich ist. Und auch die Gefahr einer Kreditklemme im In- und Ausland scheint derzeit wesentlich kleiner zu sein.
- Der medizinische Fortschritt verschafft mehr Spielraum, und das Wissen jedes einzelnen, wie die Verbreitung des Virus eingedämmt werden kann und wie man sich selber schützt, ist grösser. Gleichzeitig steigt die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Impfung, wobei die breite Verfügbarkeit vor Mitte 2021 wohl nicht realistisch ist.
Dienstleister betroffen
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Rückgang im Dienstleistungssektor in den kommenden Monaten abermals markanter ausfallen wird als in der Industrie, spürt dieser doch die Einschränkungen und die Verunsicherung hierzulande umso direkter. Umgekehrt wird aber auch die Erholung im Dienstleistungssektor umso markanter sein als in der Industrie.
Beschleunigtes Wachstum
Im Jahr 2021 ist, dank einer breiten Ausrollung von Corona-Impfungen, eine weltweit graduelle Wachstumsbeschleunigung zu erwarten, mit Wachstumsraten, die vorübergehend merklich über dem normalen Wachstum liegen werden. Im Fall der Schweiz rechnen wir mit einem Wachstum von insgesamt 3,5 Prozent. Das Niveau des gesamtwirtschaftlichen Ausstosses wird jedoch erst Ende 2021 auf das Niveau von Anfang 2020 zurückkehren.
Claude Maurer
Der ehemalige Profisportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) leitet bei der Credit Suisse ein Team von Ökonomen, das sämtliche Prognosen und Analysen zur Schweizer Konjunktur- und Geldpolitik erstellt.