Marktausblick für Einkäufer #4: Der Start war einfach ...
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Mit der Lockerung des Lockdowns erholt sich die Wirtschaft unmittelbar. Die aufgestaute Nachfrage verleiht den Konsumausgaben schnell Auftrieb. So haben hierzulande analog zur Entwicklung in anderen Industrieländern sowohl der Einkaufsmanagerindex für die Industrie als auch dessen Pendant für den Dienstleistungssektor den Einbruch vom Frühling wieder wettgemacht und die Umsätze im Detailhandel liegen vielerorts wieder über dem Vorjahresstand.
Imposant ist auch die Aufholjagd an den Finanzmärkten. Nach dem massiven Ausverkauf Ende Februar und im März um über einen Drittel erreichten die Aktienmärkte Ende März eine Talsohle und erholten sich im April und im Mai deutlich, mit einem Zuwachs von ebenfalls rund einem Drittel auf globaler Ebene. Die Erholung hat damit zwar noch nicht ausgereicht, um den Einbruch wettzumachen. Doch sieht die Entwicklung seit Jahresbeginn gerechnet für etliche Börsen Anfang August schon wieder recht gut aus. Die Schweiz zählt mit einem Minus von rund 5 Prozent im SMI zu den Handelsplätzen, die insgesamt glimpflich davongekommen sind. Ähnlich sieht es auch für den Weltindex oder den S&P 500 aus, während europäische Indizes noch etwas hinterherhinkten. Umgekehrt hat der Technologieindex Nasdaq sogar schon wieder neue Rekordstände erreicht und notierte Anfang August im Vergleich zum Stand von Jahresbeginn um mehr als 10 Prozent im Plus.
Zinsen bleiben noch länger tief
Auch an den Anleihenmärkten war der Stress im Höhepunkt der Coronakrise enorm. Anleger flüchteten derart verbreitet in liquide Mittel, dass sogar die Preise für länger laufende US-Staatsanleihen unter Druck gerieten, die eigentlich zu den global sichersten Anlagen gezählt werden. Nur dank den Massnahmen der Zentralbanken konnte an den Märkten vergleichsweise rasch eine Beruhigung erreicht werden.
Überhaupt wurde uns die Bedeutung der Zentralbanken wieder einmal eindrücklich vor Augen geführt. Diverse Finanzmarkt-Stressindikatoren, unter anderem die Differenz zwischen Interbanksätzen und der Rendite kurzfristiger US-Staatsanleihen, sanken recht bald wieder, und der Kreditrisikoaufschlag zwischen Unternehmens- und Staatsanleihen normalisierte sich ebenfalls. Generell haben die Zentralbanken mit zielgerichteten Massnahmen auf die Coronakrise reagiert und nicht mit Zinssenkungen. Dies insbesondere dort, wo die Zinsen bereits negativ sind und der Spielraum damit geringer war, wie in der Eurozone oder der Schweiz.
Einzig die US-Notenbank hat zu Beginn der Krise den Leitzins massiv gesenkt, seit dieser mittlerweile aber ebenfalls fast null beträgt, stehen Zinssenkungen aber ebenfalls nicht mehr im Fokus. Als Folge davon war global eine starke Konvergenz der Zinsen über alle Laufzeiten um null feststellbar. Dabei dürfte es wohl noch länger bleiben. Insbesondere hierzulande, wo die Schweizerische Nationalbank (SNB) auch weiterhin verhindern will, dass der Franken zu rasch aufwertet. Die Negativzinsen bleiben somit bis auf Weiteres bestehen.
Erholung gleicht «schiefem V»
Der weitere Verlauf der Erholung der Wirtschaft und der Märkte wird nach dem anfänglichen Aufbäumen aber wohl eher schleppend verlaufen.
Der Arbeitsmarkt dürfte sich insbesondere in Ländern, in denen Unternehmen ihre Arbeitskräfte stark abgebaut haben, nur graduell erholen und die Konsumenten bleiben vorsichtig. Aufgrund der zögerlichen Konsumerholung und der dadurch entstehenden Kapazitätsüberschüsse, aber auch wegen der Gewinneinbussen dürften sich die Unternehmen zudem während längerer Zeit bei den Investitionen zurückhalten. Priorität dürfte stattdessen der Aufbau von Reserven haben. Die Phase des Reserveaufbaus wird bei vielen Unternehmen durch die Rückzahlung der Notkredite verlängert werden.
Gewisse Wirtschaftsbereiche, wie etwa der internationale Reiseverkehr und der Tourismus, dürften infolge weiter bestehender Schutzmassnahmen auf längere Zeit beeinträchtigt bleiben. Schliesslich wird die zeitlich verschobene Aufhebung der Lockdown-Massnahmen in verschiedenen Ländern die Erholung des internationalen Handels zusätzlich hemmen, und lokal steigende Infektionszahlen wirken sich ebenfalls wiederholt wachstumshemmend aus. Entsprechend dürfte die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Jahresverlauf einem «schiefen V» ähneln.
Wegen der historischen Einzigartigkeit der Coronakrise sind die Prognoseunsicherheiten allerdings ausserordentlich hoch. Entsprechend dürfte sich die Erholung an den Finanzmärkten zwar ebenfalls tendenziell fortsetzen, zeitweilige Rückschläge sind aber wohl unvermeidbar.
Schuldenanstieg unproblematisch
Wo sich die Schweiz markant vom Ausland unterscheidet, ist bei der raschen Implementierung der staatlichen Unterstützungsmassnahmen und bei der vergleichsweise vorteilhaften Verschuldungssituation von Bund und Kantonen.
So wäre zum Beispiel die Arbeitslosigkeit im Mai ohne Kurzarbeit auf schätzungsweise 14 Prozent angestiegen und die Covid-Kredite wurden im Rekordtempo ausbezahlt. Trotz dem zu erwartenden Anstieg der Schuldenquote des Bundes um 6 bis 8 Prozentpunkte bleibt der Schuldenstand im internationalen Vergleich weiterhin sehr niedrig.
Weil das AAA-Rating des Bundes nicht gefährdet ist und die demografische Entwicklung, die hohe Sparquote und das schwache Produktivitätswachstum auch in Zukunft auf die Zinsen drücken, dürften zudem die Refinanzierungskosten gering bleiben. Bei niedrigen Zinsen und zukünftig wieder ausgeglichenen Budgets würden die Schulden innerhalb von weniger als 20 Jahren «automatisch» auf ihr Vorkrisenniveau sinken. Ein rascherer Abbau des Coronadefizits scheint unnötig und würde der Wirtschaft schaden. Dennoch ist nach dem Ausnahmejahr 2020 eine Rückkehr zum Normalbetrieb der Schuldenbremse sinnvoll: Einerseits «diszipliniert» diese Regel die Politik, andererseits schaffen tiefe Schulden bei zukünftigen Krisen finanzpolitischen Spielraum.
Solide Schweizer Kreditratings
Auch die Kreditqualität der Schweizer Unternehmen ist insgesamt weiterhin solide, wobei sich die Betroffenheit aber je nach Branche stark unterscheidet.
Die meisten Unternehmen sollten die aktuelle Krise gut überstehen. Dies spiegelt sich in einer überschaubaren Anzahl an negativen Ratinganpassungen wider (vier negative Ausblicke und eine Herabstufung). Flughäfen und die generell zyklischen Industriesektoren sind am stärksten von der Krise betroffen, während Unternehmen in defensiven Sektoren wie Nahrungsmittel und Pharmazeutika Widerstandsfähigkeit beweisen.
Es besteht also berechtigte Hoffnung, dass die Schweiz mit einem blauen Auge davonkommen sollte.
Claude Maurer
Der ehemalige Profisportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) leitet bei der Credit Suisse ein Team von Ökonomen, das sämtliche Prognosen und Analysen zur Schweizer Konjunktur- und Geldpolitik erstellt.