Marktausblick für Einkäufer #2: Unvermeidbare Rezession

Marktausblick für Einkäufer #2: Unvermeidbare Rezession

Publiziert am Autor: Claude Maurer

Wegen der drastischen Massnahmen zur Dämpfung der Coronavirus-Pandemie ist weltweit und auch in der Schweiz eine heftige, aber kurze Rezession zu erwarten. Die zeitnahen Stützungsmassnahmen helfen aber, dass danach eine graduelle Erholung eintritt.

Lange (zu lange) ging ich davon aus, dass das Risiko eines starken Einbruchs in der Wirtschaft und an den Aktienmärkten aufgrund des Coronavirus-Ausbruch gering sei – dies, selbst als die ersten Coronafälle in Italien und der Schweiz auftauchten. In der Zwischenzeit haben wir einen der heftigsten Aktienstürze der Nachkriegszeit erlebt und kaum ein Ökonom geht mehr davon aus, dass eine Rezession vermeidbar ist – auch ich nicht. 

Wo liegen die Gründe für diesen Prognosefehler? Erstens der Fokus auf diejenigen Länder, die das Virus am erfolgreichsten bekämpft haben – also Singapur, Hongkong und Südkorea: Bei uns, so die Überzeugung, werde man das Problem doch sicher mindestens so gut in den Griff bekommen. Zweitens ein falsches Vertrauen in die Robustheit der Aktienmärkte: Wenn die Märkte den US-chinesischen Handelskrieg so einfach wegstecken, so wird doch dieses «kleine» Virus dem Markt nichts Besonderes antun können. Hinzu kommt, dass ich die wirtschaftlichen Auswirkungen der Viruspandemie unterschätzt habe. Auch die Schweiz kann sich einer Rezession nicht entziehen – dies selbst unter der Annahme, dass die aktuelle Ausnahmesituation nur bis Ende Mai andauern, sich danach aber wieder graduell entspannen wird.

Die MEM- und die Uhren-Branche

Die globale Rezession trifft die Schweizer Exportwirtschaft unmittelbar. Insbesondere für die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM-Industrie) dürfte der Wachstumseinbruch in Europa und den USA und der starke Franken besonders schmerzvoll sein. Auch Schweizer Uhren sind weniger gefragt in wirtschaftlich schlechten Zeiten. Stützen dürften hingegen die Pharmaexporte, die mittlerweile rund 40 Prozent der Warenexporte ausmachen. Sie reagieren kaum auf kurzfristige konjunkturelle Schwankungen im Ausland und werden derzeit besonders gefragt.

Der private Konsum schrumpft 

Massiv dürfte derzeit der private Konsum innerhalb der Schweiz betroffen sein: Rund ein Drittel der durchschnittlichen Konsumausgaben fliessen schätzungsweise in Güter und Dienstleistungen, die momentan weniger nachgefragt oder deren Konsum gar nicht mehr möglich ist. 

Zudem dürfte sich angesichts der geschlossenen Grenzen und weniger Neueinstellungen die Nettozuwanderung deutlich verlangsamen, was das Konsumpotenzial weiter verringert. Wir rechnen mit einer Nettozuwanderung von noch 35 000 bis 40 000 Personen für das Gesamtjahr 2020 (nach 53 000 im Vorjahr). Der Konsum könnte sich aber zumindest teilweise wieder normalisieren, sobald der Lockdown aufgehoben werden kann. Denn einerseits erhöht die negative Inflation (Prognose: -0,3 Prozent) die Kaufkraft. Anderseits dürfte sich die für die Konsumentenstimmung wichtige Arbeitsmarktlage als den Umständen entsprechend stabil erweisen. 

Dank dem Instrument der Kurzarbeit sollte die Arbeitslosenquote nicht zu stark ansteigen. Trotz aller Massnahmen dürfte der private Konsum im Jahresdurchschnitt zum ersten Mal seit 1993 wieder sinken. 

Selbständigerwerbende stützen

Der Einsatz der Kurzarbeit wird denjenigen von 2009 massiv übersteigen: Gemäss unseren Schätzungen sind alleine in den von der bundesrätlichen Coronavirus-Sperre direkt betroffenen Branchen mehr als eine halbe Million Personen beschäftigt, das sind 10 Prozent aller Beschäftigten. 

Hinzu kommt, dass in diesen Branchen überdurchschnittlich viele Selbständige tätig sind: Gemäss unseren Schätzungen kommen so mehr als 100 000 Betroffene dazu (20 Prozent der Selbständigen). Die zu erwartenden Ausgaben für die Erwerbssicherung von geschätzten 4,6 Milliarden Schweizer Franken pro Krisenmonat sind dank Überschüssen in den vergangenen Jahren sicherlich tragbar.

Schnell, zielgerichtet, bezahlbar

Eine tiefere und vor allem längere Rezession kann nur abgewendet werden, wenn der Coronavirus-Ausbruch rasch unter Kontrolle gebracht wird und die negativen Auswirkungen des dafür notwendigen staatlich verordneten Lockdowns abgefedert werden können. 

Zentral ist, dass Staaten und Zentralbanken rasch, unbürokratisch und in grossem Umfang Gegensteuer geben. Dies scheint in der Schweiz der Fall zu sein: Mit der Kurzarbeit setzt der Bundesrat auf ein bestehendes und bewährtes Instrument, das rasch eingesetzt werden kann. 

Auch die Massnahmen zur Sicherstellung der Liquidität der Unternehmen wurden sehr rasch implementiert. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat diese am 19. März zum ersten Mal erwähnt, bereits am 26. März wurden die ersten garantierten Kredite gewährt. Die Kredite sind eine sehr rasche und effiziente Massnahme, damit die Unternehmen ihre Fixkosten während des Lockdowns decken oder Lieferantenrechnungen begleichen können. Mögliche Zweitrundeneffekte aufgrund von verbreiteten Firmenkonkursen können so abgewendet werden. 

Sollten die Behörden aber die stark einschränkenden Massnahmen verlängern, werden die Kredite vor allem für die kleinsten Unternehmen zu einer Last, da sie sich immer mehr verschulden müssten, um ihre Fixkosten zu begleichen. Machen diese Fixkosten beispielsweise ein Drittel des Umsatzes aus (was gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik beispielsweise in der Gastronomie der Fall ist), so wäre der maximal mögliche Kredit von 10 Prozent des Umsatzes nach dreieinhalb Monaten aufgebraucht. Zudem muss das Unternehmen bei einer angenommenen Cashflow-Marge von 10 Prozent (Gastronomie-Durchschnitt 6,5 Prozent) rund ein Viertel des Cashflows in den kommenden vier Jahren für die Tilgung des Kredits aufwenden. Es ist entsprechend davon auszugehen, dass nicht alle Kredite zurückbezahlt werden. Entsprechend wäre es sinnvoll, Regelungen für die zukünftige Handhabung zu finden.

Zentralbanken unterstützen

Wichtig sind auch die Massnahmen der Geldpolitik: In den vergangenen Wochen hat der Stress an den Finanzmärkten teilweise ähnliche Dimensionen angenommen wie während der Finanzkrise 2008/09, trotz der wesentlich stärkeren Kapitalisierung der Banken. Grund war primär die intensive Flucht diverser Anleger in die Liquidität, welche sogar den Markt für länger laufende Staatsanleihen unter Druck setzte. 

Inzwischen haben jedoch die Notmassnahmen vor allem der US-Notenbank Fed eine Beruhigung eingeleitet, die hoffentlich anhält. Auch die Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) sowie der Schweizerischen Nationalbank (SNB) tragen zur Linderung der Liquiditätsengpässe bei. Zudem verhindert die SNB derzeit aktiv eine weitere Frankenaufwertung. All dies sollte helfen, dass sich auch die Aktienmärkte wieder erholen.

Portrait Claude Maurer

Claude Maurer

Der ehemalige Profisportler (er hat die Schweiz an den Olympischen Spielen in Sydney im 49er-Skiff vertreten) leitet bei der Credit Suisse ein Team von Ökonomen, das sämtliche Prognosen und Analysen zur Schweizer Konjunktur- und Geldpolitik erstellt.