Lieferanten managen ohne Hürden

Lieferanten managen ohne Hürden

Publiziert am Autor: Jan Hendrik Sohn

Um Transparenz in die Lieferketten zu bringen, sind saubere Daten und Vertragsbedingungen zwingend.

In den vergangenen zwei Jahren hat der Einkauf vieler Unternehmen erfahren müssen, wie schwierig es ist, Lieferketten und Geschäftsbeziehungen in Krisenzeiten stabil zu halten. Doch noch immer erhalten viele Lieferanten nicht die Aufmerksamkeit und Unterstützung, die sie eigentlich verdienen.

Wieso eigentlich wissen die meisten Unternehmen mehr über ihre Kunden als über ihre Lieferanten? Oder anders gefragt: Was wäre, wenn sie über ihre Zielgruppen genauso wenig relevante Informationen hätten wie über ihre Lieferanten? 

Vermutlich wären ihre Umsätze deutlich geringer. Deshalb nutzen die meisten Unternehmen ein Customer-Relationship-Management (CRM). Damit versetzen sie Mitarbeitende in die Lage, Informationen über Kunden und Prospects zentral zu erfassen, jederzeit abzurufen und den richtigen Zeitpunkt für eine Kontaktaufnahme zu finden – beispielsweise für eine Marketing-Aktion. Ausserdem können sie ihren Vertriebsprozess organisieren und auf Grundlage der  gewonnenen Erkenntnisse kontinuierlich verbessern. 

Um Lieferketten professionell zu managen und Risiken zu minimieren, bedarf es eines modernen Lieferantenmanagements. Diese Erkenntnis ist keineswegs neu, doch musste der Einkauf in der Vergangenheit oft erst individuelle Business-Cases definieren. Die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg sowie ein immer wahrscheinlicher werdendes EU-Lieferkettengesetz liefern diese nun automatisch. Dennoch gibt es in vielen Unternehmen wesentliche Hürden, die es noch zu überwinden gilt.

Die Perspektive der Geschäftsführung

Die meisten Berührungspunkte zwischen dem Unternehmen und seinen Lieferanten hat zweifellos die Beschaffung: Einkäufer führen Ausschreibungen durch, holen Angebote ein, verhandeln Preise und Produktionskapazitäten und entscheiden, welche Partner am Ende den Zuschlag erhalten. Top-Manager und das Controlling betrachten Lieferanten jedoch häufig nur unter dem Kostenaspekt und setzen den Einkauf unter Druck. Die Folgen sind oft harte Preisverhandlungen. Ein ganzheitliches Lieferantenmanagement verfolgt den Ansatz, gemeinsam mit Partnern das Beste aus einer Geschäftsbeziehung herauszuholen. Enge und vor allem faire Zusammenarbeit, Transparenz und frühzeitige Zahlungen führen nachweislich zu höherer Agilität sowie stabileren Lieferketten. 

Als Voraussetzung für ein vertrauensvolles Verhältnis ist die Schaffung von Transparenz ein guter Startpunkt. Dazu sind saubere Daten und Vertragsbedingungen sowie unterstützende Technik notwendig. Komplexe und in die Jahre gekommene IT-Landschaften, Datensilos und mangelndes Interesse auf Kundenseite erschweren die Zusammenarbeit und vergrössern dadurch unnötig die Distanz zwischen Einkauf und Lieferanten. Hier gilt es dringend nachzubessern.

Mangelndes Vertrauen der Lieferanten

Die Produktionskapazitäten von Lieferanten und die Effizienz des Source-to-Pay-Prozesses haben entscheidenden Anteil daran, dass ein Unternehmen seinen Geschäften unterbrechungsfrei nachgehen kann – Stichwort Business Continuity. 

Diese Erkenntnis hat spätestens mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie auch die Abendnachrichten erreicht. Die derzeitige Weltwirtschaftslage spielt vor allem den Lieferanten in die Hände: Ihre Verhandlungsposition gegenüber den Abnehmern ist deutlich stärker geworden. Oft lassen sich leichter neue Kunden gewinnen als Ersatzlieferanten. Deshalb sollten die Unternehmen lieber ihr Verhältnis zu bestehenden Lieferanten verbessern, als vorschnell oder gar panisch nach neuen Partnern zu suchen.

Lieferantenmanagement bedeutet auch Risikomanagement. Procurement-Teams ar-
beiten derzeit mit Hochdruck daran, mögliche Probleme in Lieferketten frühzeitig zu erkennen und entsprechende Gegenmassnahmen einzuleiten. Dafür reicht es nicht aus, nur Tier 1-Lieferanten zu betrachten. Sie benötigen tiefere Einblicke in die Lieferketten, um mögliche Schwachpunkte und Störungen zu identifizieren und zu beheben – und zwar bevor sie sich negativ auf den Geschäftsbetrieb auswirken. Hilfreich ist hierbei ein sogenanntes «Sub-Tier Mapping»: Es macht die Geschäftsbeziehungen mit ihren Abhängigkeiten und Risiken in Echtzeit sichtbar – auch auf der zweiten und dritten Ebene. 

Dies ist jedoch leichter gesagt als getan: Es existiert zwar bereits entsprechende Software, doch viele Lieferanten dürfen aus vertraglichen Gründen (noch) nicht über bestehende Partnerschaften sprechen.

Unternehmen sollten deshalb mit ihren Lieferanten schnellstmöglich Konsens über veränderte Kunden- und Compliance-Anforderungen herstellen, die Notwendigkeit umfassender Transparenz kommunizieren und verbindlich miteinander vereinbaren. 
Einkäufer sind zudem gut beraten, passende Werkzeuge für den Informationsaustausch und die gemeinsame Problemlösung einzuführen. So können beide Seiten gemeinsame Chancen erkennen, innovative Lösungen finden und dazu notwendige Investitionen sinnvoll steuern.

Die vertrackte Sache mit der Zahlung

Der Teil des Source-to-Pay-Prozesses, der das Verhältnis zwischen Lieferanten und Abnehmern am nachhaltigsten beeinflusst, ist die Bezahlung von Rechnungen. 

Hier stossen gegensätzliche Interessen aufeinander: Die Belieferten versuchen, ihr Cash-Management zu verbessern, indem sie das Zahlungsziel möglichst weit hinausschieben. Die Lieferanten haben wenig Interesse, die Geschäftstätigkeit des Abnehmers zu finanzieren, indem sie mehrere Monate auf die Bezahlung ihrer Rechnungen warten. Ein für beide Seiten tragbarer Kompromiss ist für eine gute Beziehung unabdingbar.

Noch frustrierender als späte Zahlungen sind jedoch schlechte Prozesse, verschleppte Abläufe und Intransparenz auf Kundenseite. Im Licht eines ganzheitlichen Lieferantenmanagements betrachtet, ist es also höchste Zeit für eine Automatisierung des Zahlungsvorgangs. Ausserdem sollten Organisationen Möglichkeiten schaffen, wie sie Rechnungen möglichst früh bezahlen und durch Rabattierung oder Kreditvergabe zusätzliche Einkaufsvor­teile erzielen kön­­nen. Dies befreit die Kre­ditorenbuch­haltung von Rou­tinearbeiten und stärkt das Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Lieferanten enorm.

Gemeinsame Anstrengung

Gerade in Krisenzeiten sind gute und vor allem vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen und ihren Lieferanten von entscheidender Bedeutung. Diese lassen sich jedoch nicht spontan über Nacht herstellen, sondern erfordern strategisches Engagement auf allen Seiten – insbesondere beim traditionell zahlengetriebenen Mana­gement. 

Ganzheitliches Lieferantenmanagement bedeutet nicht zwingend die Anschaffung einer neuen Softwarelösung. Sie zwingt Organisationen jedoch, den Wert jedes einzelnen Lieferanten aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten: Kostenersparnis und Risikominderung, erzielbare Wettbewerbsvorteile, Einhalten von ESG-Vorgaben sowie Transparenz über alle Ebenen der Lieferkette. 

Aber es geht auch um einen Wechsel der Sichtweise: weg von einem System auf Kosten der Lieferanten, hin zu einer Kooperation, von der beide Seiten profitieren. Und genau hier haben viele Unternehmen noch Nachholbedarf.

Jan Hendrik Sohn

Der Autor ist Regional Director DACH und CEE von Ivalua (einem Anbieter von Cloud-
gestützten Spend-Management-Lösungen). Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im E-Procurement-Business und ist Experte für die Einkaufsprozesse 
in Grossunternehmen.  

Themen und Schlagwörter