Kollektiv lernen wir zu langsam, um zu überleben
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Ein Jahresbonus, ein Gesetz oder eine Strafe sind sehr effektive Anreizmodelle. Sie wirken direkt auf das betroffene Subjekt, denn es gibt einen direkten und vor allem zeitnahen Bezug zwischen Handeln und Be-lohnung (oder Strafe).
Das macht uns Menschen wie viele Lebewesen einfach steuerbar: Wir erreichen ein Kostenreduktionsziel – wir erhalten einen Bonus. Jemand stiehlt etwas und wird erwischt, wird er oder sie bestraft. Die zeitliche Korrelationslänge beträgt hier «Monate». Wir kennen die Konsequenzen, die uns treffen, wenn wir etwas tun oder nicht tun, und die Konsequenz trifft uns zeitnah.
«Nachhaltigkeit» hatte bislang nur einen indirekten, langsamen und verschwommenen Bezug zwischen Handeln und Konsequenzen. Nur schon im letzten Jahrhundert gibt es dafür genug Beispiele: Organisation A betrieb ein Kohlekraftwerk, Organisation B produzierte Turnschuhe in einem Sweat Shop, Organisation C machte sich eine Gesetzeslücke zunutze für substanziellen finanziellen Vorteil. Heute sind solche Praktiken nicht mehr ganz so leicht möglich, und wir kennen die eine oder andere politische und aktivistische Bewegung, die dankenswerterweise dazu beigetragen hat.
Allerdings gibt es hier einen Verzug von 25 bis 50 Jahren zwischen Handlung und Konsequenz. Um sich persönlich zu bereichern, sind skrupellose Unternehmer verlockt, billige Arbeitskräfte anzustellen oder Naturrohstoffe unverhältnismässig auszubeuten – sie wissen vermutlich auch, dass es einem nachhaltigen Dasein auf unserem Planeten direkt entgegenwirkt, aber zwischen Beginn der Unternehmung und kommerziell fühlbarer Konsequenz vergehen Jahrzehnte.
Diese verzögerte Korrelation zwischen Handeln und Konsequenz ist einer der Hauptgründe, warum Nachhaltigkeit so langsam in den Vordergrund unserer globalen Prioritäten gerückt ist. Kollektives Bewusstsein und gegenseitige Rechenschaft sind letztendlich die Mittel, die uns helfen, Missstände einzudämmen wie unfreiwillige oder nicht existenzsichernde Arbeitsbedingungen, wie Ausrotten von bedrohten Lebewesen oder wie diverse Formen der Lohnungleichheit. Verbesserung der Nachhaltigkeit durchläuft hier zwei Phasen: das langsame Wachsen der allgemeinen Erkenntnis, dass ein Missstand behoben werden muss, wie auch die darauffolgende ebenso langsame Zeitspanne, bis Konventionen, Indizes oder Normen von einer kritischen Masse gelebt und gefordert werden oder die Gesetzgebung angepasst ist. Die Beschaffung ist hier in einer Schlüsselrolle, diese gegenseitige Rechenschaft von bestehenden und neuen Lieferanten zu fordern.
Die Konsequenzen des übermässigen CO2-Ausstosses in der Neuzeit und die Auswirkung auf unser Klima sind mittlerweile erschreckend deutlich. Agrarunternehmen in Texas beobachten den Wandel von Agrarland zu Dürre binnen weniger Jahre und sind mit dem Bankrott konfrontiert, Fischgründe sind innerhalb dieses Jahrhunderts ertraglos geworden und Fischereien geben sich feindliche Begegnungen in nicht-heimatlichen Gewässern, um dem schwindenden Fischbestand zu folgen, Wintertourismusgebiete schliessen permanent und haben eine Neuordnung von Arbeitnehmer- und Touristenflüssen zur Folge.
In diesen Fällen könnte man mittlerweile davon sprechen, dass im Gegensatz zur eingehenden Bemerkung nun der direkte und zeitlich korrelierte Bezug zwischen nicht-nachhaltigem Handeln und Konsequenz bemerkbar wird.
Ich bin zuversichtlich, dass wir wesentlichen Fortschritt erreichen werden, wie wir auf unserem Planeten leben hinsichtlich Gleichheit, Rücksicht oder Toleranz. Hoffen wir, dass wir die Anreizmodelle finden, um abzusichern, ob wir auf unserem Planeten leben werden hinsichtlich Klima, Artenvielfalt und Freiheit, und dass die Korrelation zwischen Handeln und Konsequenz kürzer ist als die verbleibende Zeit, bis die Effekte unseres Handelns irreversibel sind.
Christopher Kayatz
ChristopherKayatz ist CPO der Post. Seit 2003 beschäftigt er sich mit Procurement in Unternehmen wie McKinsey & Company, Carlsberg oder IWG in Schweden, den USA, Grossbritannien und der Schweiz. Er befasst sich heute mit Beschaffungstransfor-
mationen.