Kein Gärtchendenken mehr für die kommunale Ebene
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Das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen der Welthandelsorganisation (WTO) legt Regeln und Grundsätze für öffentliche Beschaffungen in und zwischen den Vertragsstaaten dieses Abkommens fest.
Ein amerikanischer Professor hat allerdings etwas sarkastisch bemerkt, dass das WTO-Vergaberecht in den Mitgliedstaaten faktisch höchstens auf Bundesebene eine gewisse Bedeutung habe, wogegen auf regionaler oder lokaler Ebene oft «Sodom und Gomorrha» herrsche. So gehört während der Pause anlässlich einer WTO-Weiterbildungsveranstaltung in Genf noch lange vor Inkrafttreten des neuen Beschaffungsrechts in der Schweiz.
Verfehlte Sicht
Diese Sicht auf den rechtlichen Rahmen des öffentlichen Einkaufs darf vor allem in der Schweiz nicht massgebend sein, weil 80 Prozent des jährlichen Beschaffungsvolumens von über 40 Milliarden in der Schweiz durch Kantone und Gemeinden ausgegeben werden.
Ausserdem kommt das Harmonisierungsziel für die Schweiz einerseits in den weitgehend textgleichen neuen Erlassen, also dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) und der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) zum Ausdruck.
Andererseits formuliert die Beschaffungsstrategie Bund die Absicht, dass auch die Umsetzung harmonisiert erfolgt, wozu insbesondere die «kollektive Erarbeitung» des «Gemeinsamen Beschaffungsleitfadens TRIAS» dienen soll.
Ich übersetze mal für Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger anschlussfähig: Wenn die inhaltliche Zielrichtung, nämlich die Neuausrichtung der Vergabekultur, sowie die Leitbegriffe Qualitätswettbewerb, Innovation und Nachhaltigkeit flächendeckend in der Praxis ankommen sollen, dann muss da insbesondere auf kommunaler Ebene vieles anders werden. Dazu braucht es nicht nur das Bereitstellen von Ausbildungsangeboten gemäss der Beschaffungsstrategie Bund, sondern auch die Bereitschaft, diese zu nutzen, insbesondere auf kommunaler Ebene und personell vernünftig ausgestattete Stellen auf kantonaler Ebene, die den Kommunen niederschwellig für rechtliche Auskünfte zur Verfügung stehen.
Nötiger Perspektivenwechsel
Aber es geht nicht nur um eine Ausbildungsoffensive, wie sie auch auf Bundesebene Teil des Reformkonzepts ist, sondern um eine grundsätzliche Neuausrichtung der Denke in Bezug auf die Organisation des Beschaffungswesens auf kommunaler Ebene.
Das kooperationsaverse Gärtchendenken und Gewurstel (innerhalb von Gemeinden wie auch in Bezug auf die interkommunale Kooperation), das die Szene immer noch mehr beherrscht als für das Thema gut wäre, muss neuen Denkmustern weichen.
Und dabei geht es nicht einfach darum, ob die Akteurinnen oder Akteure einer möglicherweise anstehenden Fusion von Gemeinden positiv oder negativ gegenüberstehen. Intelligente interkommunale Kooperation, beispielsweise in der Form von Beschaffungszweckverbänden, kann sogar ein Argument gegen eine Fusion sein, weil Synergien in anderer Form genutzt werden.
Denkaufgabe für kleine Kommunen
Während die Stadt Zürich auch in Bezug auf die Neuorientierung des öffentlichen Einkaufs aufgrund der Möglichkeiten der hinreichenden Spezialisierung der Einkäuferinnen und Einkäufer absolut in der Lage ist, diese Herausforderung zu stemmen, und sogar zum Teil mehr zieht als gewisse Einheiten der Bundesverwaltung, müssen wir uns in Bezug auf die kleinen Kommunen etwas überlegen. Und ich dachte immer, ich sei mit solchen Ideen relativ einsam unterwegs. Aber das stimmt zum Glück nicht (mehr).
Im Rahmen der Abschlussveranstaltung des «Public Procurement Excellence Programme 2022» sass ich in Wien mit den Chefs der zentralen Einkaufsorganisationen von Finnland und Österreich auf dem Podium zu «Entwicklungswegen in Bezug auf die Organisationsstrukturen von zentralen Beschaffungsstellen und der Bedeutung von innovativer und nachhaltiger öffentlicher Beschaffung». Diese beiden obersten Beschaffer haben erzählt, wie die Akzeptanz für eine solche zentrale Einkaufsorganisation hat erreicht werden können.
Das Ergebnis müssen Sie sich auf «Schweizerdeutsch» übersetzt so vorstellen, dass das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) Rahmenverträge vorhält, gestützt auf welche (auf freiwilliger Basis) auch die Kommunen Leistungen abrufen können.
In Finnland ging das über einen Umweg, indem zuerst der Städte- und Gemeindeverband eine eigene zentrale Beschaffungsorganisation aufgebaut und diese dann – wieder für uns übersetzt – mit dem Bundesamt für Bauten und Logistik fusioniert hat.
Ich war sprachlos. Das erzählt unseren Akteurinnen und Akteuren kein Mensch! Dies, weil die Kooperationsaversion natürlich regelmässig mit einer Unlust auf den Blick über den Tellerrand gekoppelt ist.
Was bei uns demgegenüber einigermassen bekannt ist, ist der «Ökobeschaffungsservice» des Gemeindeverbands Vorarlberg, der Einkaufsvolumen bündelt und die ausgehandelten Preisvorteile in Umwelteigenschaften der Produkte investiert.
Alternative: «intelligente Kooperation»
Wie auch immer lässt sich politisch darüber streiten, ob eine zentrale Beschaffungsstelle nach dem Vorbild von Finnland oder Österreich wünschbar ist.
Klar ist jedenfalls, dass die Alternative dazu nicht der Status quo, sondern intelligente Kooperation ist. Und dass die Hausforderungen, vor denen die Kommunen stehen, regelmässig so sind, dass sie nur gemeinsam sinnvoll angepackt werden können, ist ja auch offensichtlich.
Unter anderem kümmern sich die Stiftung Praktischer Umweltschutz Schweiz PUSCH und die Berner Fachhochschule schon um das Zusammentragen von Beispielen. Diese können elektronische Formen von Partizipation der Bürgerinnen und Bürger, Parkbewilligungen, Apps für Informationen betreffend eine Region, Geodaten auf einem interkommunalem Internetportal, gemeinsame IT-Beschaffungen oder zumindest Standardisierungen, digitale Angebote im EGov-Kontext usw. denken.
Die Digitalisierung ist ja auch zu einem nicht unwesentlichen Teil öffentlicher Einkauf!
Fazit
Machen wir eine strategische Auslegeordnung, was an interkommunaler Kooperation sinnvoll ist, und reden wir über die guten Beispiele! Und sagen wir den kommunalen Exekutiven, dass sie dafür verantwortlich sind, dass ihre Leute richtig ausgebildet werden.
Die Alternative, nämlich dass die Vergaberechtsreform in vielen Gemeinden faktisch leerläuft, weil der status quo weitergepflegt wird, ist keine Option. Packen wirs an!
Marc Steiner
Rechtsanwalt Marc Steiner ist seit 2007 Richter am Bundesverwaltungsgericht und publiziert zu beschaffungsrechtlichen Fragen. Am 5. November 2021 hat er anlässlich des Climate Law and Governance Day in Glasgow (Klimakonferenz COP26) ein Panel des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung moderiert.