Herz ist Trumpf: Leadership im Einkauf
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Souveräne Leader aus dem Sport, aus der Musik und aus der (Markt-)Wirtschaft – wir alle könnten wohl aus dem Stegreif einige beeindruckende Leaderfiguren aufzählen. Diese Führungspersönlichkeiten stehen vor derselben Herausforderung wie viele von uns – sie müssen sehr unterschiedliche Mitarbeitende führen und aus diesen ein möglichst schlagkräftiges Team formen. Notabene in einem immer komplexeren und diverseren Umfeld.
Die Unternehmensberatung Boston Consulting Group hat Ende 2020 untersucht, welche Qualitäten Arbeitnehmende an ihren Vorgesetzten schätzen. Gefragt sind vor allem «Führungskräfte mit Herz». Wer als Führungskraft reflektiert und empathisch ist, transparent kommuniziert und Wertschätzung zeigt, steht bei den Arbeitnehmenden hoch im Kurs und avanciert vom mehr oder weniger akzeptierten Vorgesetzten zur respektierten Führungspersönlichkeit.
In den Führungsetagen der Unternehmen verhält es sich umgekehrt. Dort werden Intellekt und klares Handeln gefordert, gefolgt von Tatkraft. Führungskräfte mit Herz geniessen (noch) nicht allzu hohes Ansehen.
Zeitgemässe Führung
Die sich stetig wandelnde Durchmischung der Generationen am Arbeitsmarkt hat diesen in den letzten drei Jahren stark verändert.
Gerade jüngere Arbeitnehmende – damit meine ich längst nicht nur die «Generation Z», sondern «Digital Natives» im Allgemeinen – definieren sich nicht mehr einzig über Leistung und Ergebnis. Da ist die Kollision mit althergebrachten Führungsansätzen schon vorprogrammiert. In Zeiten des vermehrten Fachkräftemangels erhöht man mit der Überzeugung, dass Mitarbeitende vor allem für ihre Vorgesetzten da sein müssen (und nicht umgekehrt) seine Attraktivität für potenzielle Bewerbende ganz sicher nicht.
In einer hochtechnologisierten, von neuen Arbeitsformen geprägten Arbeitswelt trifft man sich auch nicht mehr zwingend täglich «vor Ort», sondern arbeitet vermehrt virtuell und eigenverantwortlich im Homeoffice. Damit das erfolgreich vonstatten geht, braucht es einen Vertrauensvorschuss seitens des Unternehmens.
Vertrauen statt Kontrolle?
Eines hat sich jedoch nicht geändert – trotz aller disruptiven Umbrüche besteht der Hauptzweck eines Unternehmens darin, Gewinn zu erwirtschaften. Und Vorgesetzte haben auch künftig sicherzustellen, dass ihre Mitarbeitenden das Tageswerk so effektiv und effizient wie nur möglich verrichten können. Behalten Sie also das Ziel im Auge, aber haben Sie den Mut, neue und möglicherweise noch ungewohnte Wege zu beschreiten, um die gewünschten Resultate zu erzielen.
Wenn Sie nach Lenins Prämisse «Vertrauen ist gut – Kontrolle ist besser» verfahren, dann befinden Sie sich meist auf dem Holzweg und erreichen das Gegenteil des erhofften Outcomes. Einseitiges, autoritäres, konkurrenzbasiertes Führungsverhalten, schlimmstenfalls noch gepaart mit einem notorischen Hang zum Micro-Management, führt ohne Umweg zum Mangel an Mitarbeitermotivation, zu einem Verlust an Kreativität im Team und letztlich zu weniger Produktivität.
Zeitgemässe Führung beinhaltet nicht nur, den Mitarbeitenden einen modern gestalteten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen, sondern eben genauso auch das zwischenmenschliche Arbeitsumfeld zeitgemäss zu gestalten. Deshalb plädiere auch ich dafür, einen Vorschuss an Vertrauen zu geben.
Führung bedingt Reflexion
Damit meine ich nicht, dass man als Führungsperson einfach unreflektiert und blind jederfrau und jedermann vertraut. Führungskompetenz bedeutet vor allem anderen, sich selbst führen und hinterfragen zu können. Wer sich nicht vorgängig die richtigen Fragen stellt, verbaut sich die Chance, zu einer Führungspersönlichkeit mit Herz heranzuwachsen. Fragen Sie sich vor allem, was Sie dazu beitragen können, dass Ihre Mitarbeitenden die «Extrameile gehen». Befassen Sie sich damit, was Sie persönlich dazu beisteuern können, dass Ihre Mitarbeitenden für die Firma «durchs Feuer gehen», loyal und dem Unternehmen stark verbunden sind. Und Sie sollten sich auch fragen, was Sie von sich aus tun können, um als Führungsverantwortliche(r) und auch als Team mit weniger Aufwand mehr erreichen zu können.
Wenn Sie ihre Mitarbeitenden «stimmig» ansprechen wollen, dann müssen Sie deren Wertehierarchie kennenlernen – und verinnerlichen. Natürlich hat das auch mit «adäquaten» Gesprächstechniken zu tun – aber das sind Hilfstechniken, die Sie beispielsweise in Seminaren erlernen können. Was aber vorhanden sein muss, ist das richtige Mindset und dieses wiederum sollte bei Ihnen als Führungsperson grundsätzlich zum Kompetenzportfolio gehören.
In der Delegation liegt Kraft
Der psychische Druck auf Führungskräfte nimmt stetig zu. Wenn diese dem Druck standhalten und resilienter werden wollen, dann gehört das «Lafere» vor dem «Liefere» zwingend dazu. Aber mit Sachverstand und Augenmass. Führungskräfte müssen priorisieren und delegieren können. Wer ein gutes Team hat, muss längst nicht alles selber tun.
In der Delegation liegt Kraft. Die Kraft des Loslassens. Und Loslassen bedingt Vertrauen. Der erste und wichtigste Schritt ist deshalb, sich bewusst zu machen, dass man sich der Dinge entledigen muss, die zu tragen nicht die alleinige Aufgabe der Vorgesetzten ist.
Wer delegiert, hat die Hände und den Kopf frei für die wirklichen Leadership-Aufgaben. Wer oft und vor allem auch sinnvoll und gut delegiert, der schenkt Vertrauen. Und das zahlt sich aus. Ein ROI in Vertrauen sozusagen. Diese Rechnung ist eigentlich logisch und simpel. Finden Sie nicht auch?
Wer schlecht oder überhaupt nicht delegieren kann, muss sich überlegen, ob sein Vertrauensbild stimmt, das er von seinen Mitmenschen und Mitarbeitenden hat. Wer annimmt, dass jeder Mitmensch grundsätzlich nur Böses will – zumindest bis er das Gegenteil bewiesen hat, positioniert sich selbst die Stolpersteine auf dem Weg zum Ziel.
Es sollte keine Rolle spielen, ob jemand in unser zurechtgezimmertes Weltbild passt oder nicht. Wer nach solch subjektiven Kriterien urteilt, wird oft enttäuscht werden. Enttäuschung wird definiert, als eine negative emotionale Reaktion, wenn Erwartetes oder Erhofftes nicht eintritt oder wenn das Gegenüber nicht das erfüllt, was man erwartet hat. Auch wenn wir da und dort Enttäuschungen erleben werden, ich bleibe dabei – ein Vertrauensvorschuss lohnt sich. Und ja – Kontrollen dürfen selbstverständlich sein, aber eben nicht im Übermass.
Leadership im Einkauf
Als Einkaufsprofi in leitender Funktion sind Sie übrigens bereits Profi in lateraler Führung, die sich auf Kooperation und Zusammenarbeit konzentriert. Nur so gelingt es Ihnen, Prozesse und Schnittstellen zu Bereichen wie Forschung, Entwicklung, Produktion, Logistik und Verkauf zu managen. Nur so können Sie tragfähige Beziehungs- und Kooperationsnetzwerke aufbauen und pflegen. Und genau diese ermöglichen es Ihnen, im vulnerablen wirtschaftlichen Umfeld, schnell und flexibel auf Veränderungen zu reagieren und Ihr Unternehmen so in der Erfolgsspur halten zu können.
Nutzen Sie diese Kraft auch im eigenen Team. Ihre wichtigste Aufgabe als Führungspersönlichkeit besteht darin, ein Umfeld zu schaffen, in dem Ihr Team seine Ideen und Fähigkeiten einbringen kann. So erzielen Sie gemeinsam bessere Ergebnisse.
Ernst Wyrsch
Ernst «Aschi» Wyrsch ist seit elf Jahren Dozent und Projektleiter an der St. Gallen Business School für Leadership. Er begleitet ganze Führungskräfte-Teams über anderthalb Jahre durch diverse Module. Er ist Präsident Hotelleriesuisse GR, Verwaltungsrat. Seit 2003 ist er Ehrenpräsident des Hockey Clubs Davos.