Gewährleistung: Ruinöse Wissenslücken

Gewährleistung: Ruinöse Wissenslücken

Publiziert am Autor: Christian Dueblin

Koordinationsmängel im Unternehmen führen zu finanziellen Schäden.

Um zu wissen, was für die Beschaffungsabteilung und das eigene Unternehmen gut und nicht gut ist, sollten Beschaffungsexperten die grossen Zusammenhänge erkennen können. Sie müssen verstehen, dass sie beim Abschluss von Geschäften das gesamte Unternehmen im Auge haben müssen, insbesondere auch den eigenen Verkauf, was leider oft nicht der Fall ist.

Beschaffungsexpertinnen und Beschaffungsexperten müssen, wie auch alle anderen Experten in einem Unternehmen, insbesondere auch die Rechtsabteilung, wissen, wie man wertschöpfend tätig ist, indem der Hebel dort angesetzt wird, wo für das eigene Unternehmen Vorteile, auch finanzieller Art, entstehen können. Man darf das kurzum mit «unternehmerischem Handeln» gleichsetzen.

Vertragliche Vereinbarungen im Verkauf haben einen Einfluss auf die Beschaffung und umgekehrt. Wer schlecht beschafft, kriegt unter Umständen Probleme beim Verkauf. Wer im eigenen Unternehmen ohne die nötige Koordination mit der Beschaffung verkauft, riskiert ebenfalls Schäden. Das tönt zwar einfach, stellt aber in der Praxis oft eine grosse Herausforderung dar.

Beispiel aus der Praxis

Ein schönes Beispiel aus der Praxis soll zeigen, was geschehen kann, wenn diese Zusammenarbeit und Koordination nicht funktioniert und nicht überwacht wird.
Ein Unternehmen kauft jahrelang mit einer Gewährleistungsfrist von 12 Monaten ab Lieferung ein, muss aber im Verkauf den Kunden bis 36 Monate Gewährleistungsfrist bieten, oft ab Gefahrenübergang und Endabnahme. Beschaffte Produkte liegen in aller Regel noch lange im eigenen Unternehmen herum und müssen noch verbaut werden. Wenn dann die verkauften Endprodukte mit sehr langer Frist und spätem Fristbeginn an die Endkunden verkauft werden, tut sich in Sachen Riskmanagement eine grosse Lücke auf, die sehr kostspielige Konsequenzen haben kann. Diese Lücke kann im Extremfall auch in den Ruin führen. 

Selten werden solche Gaps vom Controlling erkannt, was im Gewährleistungsfall zu grosser Ernüchterung und künftig zu höheren Verkaufspreisen führen kann. Ein höherer Preis bedeutet aber, dass das Unternehmen noch stärker gegen die Konkurrenz anzukämpfen hat, die vergleichbare Produkte zu tieferen Preisen anbietet. 

Solange die Gewinne noch hoch sind, fällt der eben beschriebene rechtliche und vertragliche Missstand nicht auf. Gewährleistungskosten können aus den Gewinnen finanziert werden. Wo die Margen aber kleiner werden, geht die Rechnung nicht mehr auf. Hohe, intransparente Gewährleistungskosten führen immer zu Problemen – und sie sind in vielen technisch denkenden und handelnden Unternehmen an der Tagesordnung. 

Koordinationsfehler und die Folgen

Der Grund für diese Probleme liegt darin, dass der Kunde lange Zeit Mängelansprüche geltend machen kann, die nicht mehr auf die Lieferanten abgewälzt werden können, weil deren Gewährleistungsfrist schon lange abgelaufen ist. Dass dies nicht gut ist, leuchtet zwar ein, wird in der Praxis aber oft nicht berücksichtigt. Das bekommt dann die Beschaffung zu spüren, von der man bei Störfällen verlangt, mit dem Lieferanten Tacheles zu reden. Nur, was nützt das, wenn die vertragliche Situation dermassen schlecht ist? 

Wer so arbeitet, arbeitet wenig wertschöpfend. Es liegt deshalb nicht nur am Management, sondern auch an der Beschaffungsabteilung, solche Missstände zu erkennen, Gegensteuer zu geben und koordinierend einzugreifen. Und natürlich ist auch der Verkauf gefordert. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Rechtsabteilung, die beim Erarbeiten der Verträge Einfluss auf die Gewährleistungsmodalitäten nehmen kann. 

Das Rezept lautet wie folgt: Die Fristen müssen in der Beschaffung möglichst hoch angesetzt werden und im Verkauf möglichst tief. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass das immer möglich ist, wenigstens in der Tendenz. 

Oft ist den verantwortlichen Experten in der Beschaffung und im Verkauf aber nicht genügend oder gar nicht klar, was denn «Gewährleistung» genau bedeutet. An Seminaren zum Thema stelle ich fest, dass Gewährleistung oft mit Produkthaftpflicht verwechselt wird und auch sonst allerlei Halbwissen die Runde macht. Gerade die Gewährleistungsfristen bereiten viel Mühe und Beschaffungsexperten sind sich oft nicht darüber im Klaren, was sie für Ansprüche aus Gewährleistung gegenüber ihren Lieferanten haben. Gewährleistung ist aber keine Hexerei und procure.ch hat in der Vergangenheit immer wieder Beiträge zu diesem spannenden Thema veröffentlicht (diese finden Sie im Online-Magazin, wenn Sie die Rubrik «Recht im Einkauf anklicken). 

Tipps für Beschaffungsexperten

Im Umgang mit der Gewährleistung sollten Sie ein paar Tipps beherzigen:

  1. Vorsicht, wenn ein Lieferant die gesetzlich vorgesehenen Gewährleistungsansprüche im Vertrag eingrenzen will! 
  2. Im Vertrag präzise umschreiben, welche Wahlmöglichkeiten der Käufer unter welchen Voraussetzungen in einem Gewährleistungsfall haben soll. 
  3. Lieferung sofort auf Vertragskonformität (auf offensichtliche Mängel) hin prüfen (Sichtkontrolle). 
  4. Bei Massenware immer Stichproben durchführen. 
  5. Mit der Rüge des offensichtlichen oder versteckten Mangels diesen so gut als möglich beschreiben und zum Beispiel mit Bildmaterial dokumentieren. 
  6. Mängel sofort nach der Entdeckung substantiiert rügen und allenfalls mit Bildmaterial dokumentieren. Aus Beweisgründen per Einschreiben rügen.
  7. Lange Gewährleistungsfristen aushandeln.
  8. Fristen nicht ab Lieferung, sondern, wenn möglich, erst ab Zeitpunkt des Einbaus oder Abnahme durch den Endkunden laufen lassen. 
  9. Gewährleistungsfristen im Einkauf mit den Gewährleistungsfristen im Verkauf des eigenen Unternehmens koordinieren.
  10. Sich, soweit möglich, keine Begrenzung oder Wegbedingung der Haftung für Mangelfolgeschäden gefallen lassen.

Gewährleistung kurz erklärt

Gemäss Art. 197 OR (Schweizerisches Obligationenrecht) haftet der Verkäufer sowohl für das Vorhandensein zugesicherter Eigenschaften als auch dafür, dass der Kaufgegenstand keine Mängel hat, welche seine Gebrauchstauglichkeit vermindern. Der Verkäufer einer Sache soll nach erfolgter Lieferung an den Käufer für die Mängelfreiheit des Liefergegenstandes und die zugesicherten Eigenschaften während einer bestimmten Zeit einstehen müssen, also dann, wenn die Sache nicht dem im Vertrag Vereinbarten entspricht (Beispiel: Lieferung entspricht nicht der Technischen Spezifikation).

In einem Gewährleistungsfall hat der Käufer nach Gesetz grundsätzlich die Wahl, mit der Wandelungsklage den Kauf rückgängig zu machen oder mit der Minderungsklage Ersatz des Minderwertes der Sache zu fordern (Art. 205 OR). Geht der Kauf auf die Lieferung einer bestimmten Menge vertretbarer Sachen, so kann der Käufer auch andere währhafte Ware derselben Gattung fordern (Art. 206 OR). Da Nachbesserung im Kaufrecht des Schweizerischen Obligationenrechts nicht erwähnt ist, macht es gegebenenfalls Sinn, eine solche vertraglich vorzusehen. 

In der Praxis wird oft Nachbesserung vereinbart und gleichzeitig Wandelung und Minderung ausgeschlossen. Zusätzlich zu den genannten Gewährleistungsansprüchen kann der Käufer bei gegebenen Voraussetzungen auch Schadenersatz verlangen.
 

Intensivseminar

Das Thema Gewährleistung und Haftung wird auch im Intensivseminar 2021 (vom 6. September bis 10. September) behandelt. Mit diesem Seminar sprechen wir sowohl Quereinsteiger aus Fachhochschulen und Universitäten an als auch erfahrene Berufsleute aus dem Einkauf, die ihr Wissen auffrischen möchten. Erstklassige Referenten, ein hochkarätiges Teilnehmerfeld und eine Top-Location bilden den optimalen Rahmen für diesen 5-tägigen Wissens- und Erfahrungsaustausch. 

Anmeldung

Referent Christian Dueblin

Christian Dueblin

Der Autor (lic. iur., EMBA HSG) ist Director of Legal & Compliance bei der Güdel Group AG in Langenthal, Dozent für diverse Hochschulen und Wirtschaftsverbände sowie langjähriger Experte und Dozent bei procure.ch. Er ist Mitherausgeber des Praxishandbuchs Legal Operations Management (Springer, 2017).

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