Gestörte internationale Zulieferketten
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Die Schweizer Wirtschaft erholt sich von der Corona-Pandemie. Das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco erwartet für das Jahr 2022 ein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent, reduziert seine Prognose für 2023 aber auf ein Wachstum von 1,9 Prozent. Gründe dafür sind der Krieg in der Ukraine, die Inflation in wichtigen Handelspartnerländern und die Corona-Massnahmen in China, die die internationalen Lieferketten nach wie vor beeinträchtigen.
Die Berner Fachhochschule konnte im Juni 433 Schweizer Unternehmen danach befragen, inwieweit sie von Störungen in ihren Zulieferketten betroffen sind und wie sie damit umgehen. Die befragten Unternehmen sind mehrheitlich KMUs aus der Metall-, Elektro- und Maschinenindustrie sowie der Holz-, Papier- und Druckindustrie.
Ursachen der Störungen
Das Ergebnis dieser Befragung zeigt, dass 56 Prozent der Firmen in den vergangenen 12 Monaten von Störungen in den internationalen Lieferketten beeinträchtigt wurden.
Als Ursache der Störungen gaben sie Produktionsengpässe bei Lieferanten durch die Covid-Pandemie (80 %), Transportverzögerungen und -verteuerungen aus wichtigen Beschaffungsmärkten wie China (69 %), Handelshemmnisse mit Zulieferländern (52 %) und die kriegerischen Ereignisse in der Ukraine (40 %) an. Betroffen waren vor allem elektronische Bauteile (64 %), Metalle (62 %), Kunststoffe (51 %) und Verpackungsmaterialien (35 %), etwas weniger die Versorgung mit Energie (13 %).
Die Frage ist, inwieweit die Unternehmen die entstehenden Lieferengpässe bisher durch ihre Lagerhaltung überbrücken konnten und die Verknappung von Einkaufsteilen erst spürbar wird. So schreibt eines der befragten Unternehmen: «Wir haben die aufkommenden Probleme erkannt und unsere Lager frühzeitig hochgefahren. Aber die Situation bei den Elektronikkomponenten verschärft sich weiter und wird bis Ende 2023 für uns problematisch werden, denn so gross sind unsere Lager nun auch nicht.»
Auswirkungen der Störungen
Als Auswirkungen der Störungen in den Zulieferketten nennen die Unternehmen vor allem eine Verteuerung (92 %) und eine Verknappung (72 %) von Einkaufsteilen, unzufriedene Kunden, weil Liefertermine nicht eingehalten werden konnten (59 %), Umsatzverluste, weil Produkte nicht geliefert werden konnten (51 %), Kunden, die zu anderen Lieferanten abgewandert sind (24 %) und Reputationsschäden durch Lieferverzögerungen (23 %).
Zusätzlich erwähnt wurde der Mehraufwand, der durch das Suchen von alternativen Bezugsquellen, Preisverhandlungen mit Lieferanten und Kunden und der Beschaffung von zusätzlicher Liquidität entstand.
Bewältigung der Störungen
Zur Bewältigung der Störungen in den Zulieferketten setzen die Unternehmen auf die Kommunikation mit ihren Kunden, um sie trotz Lieferproblemen halten zu können (83 %), auf Preiserhöhungen, die sie an die Kunden weitergeben (75 %), auf den Aufbau ihrer Lager (73 %) und auf die Verbesserung des Risikomanagements in der Beschaffung (33 %).
Längerfristig planen sie, Lieferanten in alternativen Beschaffungsmärkten zu suchen (76 %), alternative Materialien (47 %) und recycelte Materialien (28 %) in ihren Produkten zu verwenden, die Produktionskapazität zu reduzieren (13 %) und die Produktion an andere Standorte zu verlagern (6 %).
Insgesamt zeigt die Umfrage, dass die Schweizer Industrie durch die Störungen in den internationalen Zulieferketten massgeblich betroffen wurde, diese bisher aber durch eine verstärkte Lagerhaltung und Preiserhöhungen abfedern konnte. Die Frage ist, wie lange diese Massnahmen noch wirksam sind. Irgendwann sind die Lager erschöpft und die Preisobergrenzen erreicht.
Lieferanten in alternativen Märkten zu finden, fällt vielen Unternehmen schwer, weil die Produktionskapazitäten in den asiatischen Märkten nicht einfach ersetzbar sind.
Das Re-Engineering von Produkten und der Ersatz von Spezialteilen durch Standardteile stösst an Grenzen, wenn dadurch Alleinstellungsmerkmale verloren gehen. Das Recycling von Materialien unterstützt die Nachhaltigkeit der Produkte, kann mengenmässig wohl aber nur einen Teil der Einsatzstoffe ersetzen. Helfen würde den Unternehmen eine Entspannung der internationalen Zulieferketten, wie sie der «Economist» kürzlich im Bereich der Mikrochips festgestellt hat, wo sich die Produktionskapazität der Hersteller erhöht und die Nachfrage nachgelassen hat. Unklar ist, wie lange diese Entspannung anhält und welche Bereiche sie umfasst.
Beschaffungsrisiko-Management
Wichtig scheint es für die Unternehmen deshalb zu sein, das Risikomanagement in die strategische Beschaffung zu implementieren. Dazu gehört es, die kritischen Einkaufsteile zu erkennen, die einen grossen Einfluss auf die Lieferfähigkeit des Unternehmens haben und deren Beschaffung eine hohe Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten aufweist.
Diese Einkaufsteile müssen danach analysiert werden, welche potenziellen Risiken mit ihrer Beschaffung verbunden sind.
Die Risiken müssen bezüglich ihres Schadenpotenzials und ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit eingeschätzt werden, um die Risikoexposition des Unternehmens bei der Beschaffung als Ganzes zu erkennen und geeignete Massnahmen zur Risikoprävention und -bewältigung entwickeln zu können.
Als Ergebnis kann eine geografische Diversifikation der Beschaffungsmärkte und Transportwege, die verstärkte Pflege von Lieferantenbeziehungen, die Integration der Produktion von kritischen Teilen, die Abkehr von der Just-in-time-Fertigung, eine längerfristig ausgerichtetes Bestellwesen oder der Abschluss von Versicherungen resultieren – je nach Risiken, denen das Unternehmen bei der Beschaffung ausgesetzt ist.
Ein solches Risikomanagement muss systematisch betrieben werden und es benötigt Ressourcen – Ressourcen, deren Verhältnismässigkeit im Vergleich zu den Schäden bewertet werden muss, die aus Störungen in Zulieferketten entstehen können.
Ralph Lehmann
Ralph Lehmann ist Professor für International Business an der Fachhochschule Graubünden.
Paul Ammann
Paul Ammann leitet den Forschungsbereich International Management der Berner Fachhoch-schule.