Gefundenes Fressen für Papiertiger

Gefundenes Fressen für Papiertiger

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Selbstverständlich ist Controlling notwendig und sinnvoll, damit Kosten nicht aus dem Ruder laufen, eine hohe Qualität des Produkts garantiert wird und die Kundenzufriedenheit hoch ist. Aber Controlling lässt sich auch übertreiben. So hat der Bund eine beeindruckende Maschinerie hochgefahren, die sicherstellen soll, dass die höhere Berufsbildung praxisnah und dem Niveau der Teilnehmenden gerecht ist.

Für die von procure.ch angebotenen Lehrgänge zum Fachausweis und zum eidg. Diplom bedeuten praxisnah, dass man Berufssituationen defi niert, in denen das vermittelte Wissen nützlich ist. Daraus werden Leistungskriterien abgeleitet, die den Inhalt genauer umschreiben. Gut gedacht am Bürotisch, die Praxis funktioniert jedoch umgekehrt. Die Unterrichtspraktiker fragen zuerst, was noch «geil» wäre zu vermitteln, um im zweiten Schritt eine entsprechende Arbeitssituation zu erfinden. Merken sie in Bern nicht…

Noch lächerlicher ist die Niveaukontrolle. Es wird ein europäischer Kognitionsrahmen verwendet, der acht Stufen hat. Jeder Stufe sind zwingend Verben zugeordnet, die bei der Formulierung der Leistungskriterien verwendet werden müssen. «Interpretieren» ist einer tieferen Stufe zugeordnet als «lösen», und «analysieren» gilt kognitiv weniger als «auswählen». Der Bund (das SBFI) prüft nun Abertausende Seiten eingereichter Leistungskriterien, ob die Verben der geforderten Stufe entsprechen. Dieser Prozess ist komplett vom Produkt (einer hochstehenden beruflichen Weiterbildung) entfremdet, die vom Bund bestätigten Leistungskriterien überzeugen weder inhaltlich noch ästhetisch. Die Teilnehmenden «leiten konkrete Szenarien erfolgreicher Unternehmen ab» oder «erläutern das Prinzip der Geldmengen». In beiden Fällen sträuben sich des Fachmanns Haare, denn logisch ergibt weder das eine noch das andere Sinn.

Die Wurzel des Übels liegt in einem übersteigerten ISO-Denken, gemäss dem Prozesse in einem Umfang dokumentiert und protokolliert werden, dass man schier im Papier erstickt. Das Produkt selbst hingegen bleibt davon unberührt. In der Bildung liesse sich das Produkt mit Vorher-Nachher-Vergleichen (in Prüfungsform) oder dem Besuch von Unterrichtsstunden bestens «controllen». Lieber hiessen wir Dozierende SBFI-Leute in einem procure- Kurs willkommen, statt sinnlos Papier zu produzieren.

Roland Wirth

Roland Wirth

Der promovierte Volkswirtschaftler kennt die Bildungswelt aus unterschiedlichen Funktionen und ist als Dozent für Volkswirtschaftslehre am Puls der Wirtschafts­politik. Er ist Geschäftsführer und Rektor der Kaderschule Zürich, welche die Anbieterin des PWA-Wirtschaftsprogramms und der Lernplattform elob ist.