Finanztagung 2017: digitale Finanzprozesse im Einkauf

Finanztagung 2017: digitale Finanzprozesse im Einkauf

Publiziert am Autor: Alwin Locker

Die Digitalisierung hat auch für den Einkauf hohe Relevanz. Das Thema «Digitale Finanzprozesse im Einkauf» wurde an der ausgebuchten, dritten Finanztagung von procure.ch am 28. Juni durch ausgewiesene Experten aus Wissenschaft, von Technologieanbietern und namenhaften Unternehmen facettenreich beleuchtet.

Eine erfolgreiche Gestaltung der Di­gitalisierung im Einkauf basiert auf vier aufeinander abgestimmten Erfolgsfaktoren: Technologie, Prozessen, Finanzergebnissen und Mitarbeitenden. An der procure.ch-Finanztagung wurden diese Erfolgsfaktoren in fünf Vorträgen beleuchtet.

Source-to-pay-Prozesse

Die Potenziale der Digitalisierung im Einkauf wurden durch Christian Tanner, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, eindrücklich vorgestellt. Sie liegen in der Kostensenkung durch Prozessautomatisierung, in der Kapital- und Warenkostensenkung durch Durchlaufzeitverkürzung, in der Verbesserung der Prozessqua­lität durch erhöhte Transparenz, in
der Verbesserung der Einkaufskon­ditionen durch erhöhte Wettbewerbs­dynamik sowie in der höheren Produktivität durch zusätzliche «User Experience».
Die von Christian Tanner durchgeführte Studie «IT-Einsatz in der Beschaffung Schweizer Grossunternehmen» ergab, dass bei der Umsetzung der Potenziale noch deutlicher Auf­hol­bedarf besteht. Projektschwerpunkte zur Nutzung der Potenziale digitaler Prozesse liegen in den Themen: Beschaffungscontrolling, Lieferantenbeurteilung und Vertragsmana­gement. Unternehmensübergreifend bieten Netzwerke und Plattformen grosse Chancen verglichen mit einer aufwendigen 1:1-Anbindung mit Lieferanten. Elektronische Rechnungen sind seit der Praxispräzisierung der ESTV vom 27. September 2016 und der damit verbundenen Aufhebung der Pflicht einer digitalen Signatur auf dem Vormarsch.

Technologien und Cashflow

Rolf Weiland von SAP Ariba zeigte in seinem Vortrag die technologischen Möglichkeiten der Vernetzung. In der elektronischen Kollaboration können Netzwerkplattformen die Standardisierung von Schnittstellen übernehmen, sodass Kunden einen durchgängigen elektronischen Prozess von der Bestellung bis zur Bezahlung umsetzen können.
Neuere Lösungen wie «Dynamic Discounting» oder «Supply Chain Finance» ermöglichen es, dass Unternehmen mit ihren Lieferanten eine Win-Win-Situation in Bezug auf die Optimierung des Cashflows und der Finanzierungskosten erreichen. Kunden beziehungsweise Lieferanten können zeitlich flexibel wählen, ob sie Skonto nutzen oder attraktive Finanzierungskonditionen des Partners in Anspruch nehmen wollen.

Prozesseffizienz bei Geberit

Die Steigerung der Effizienz der Einkaufsprozesse durch weitgehende ­Automatisierung der operativen Belegflüsse ist beim Sanitärhersteller Geberit die Zielsetzung der sogenannten «No Touch»-Initiative.
Der Head des Corporate Purchasing von Geberit, Adriaan ’t Gilde, stellte den Tagungsteilnehmern diese Initiative kurzweilig vor. Das mittelfristige Ziel liegt bei 95 Prozent Automatisierung von der Bestellung bis zur Rechnung. Dabei sollen unter anderem EDI (Electronic Data Interchange) bei mehr als 1000 Bestellungen pro Jahr und OCR (Optical Character Rec­­o­g­nition) bei weniger als 1000 Bestellungen pro Jahr zur Anwendung kommen.
Darüber hinaus nutzt Geberit heute schon Gutschriftverfahren und Portale, um den elektronischen Datentransfer umzusetzen. Die Umsetzung des «No Touch» wird quartalsweise mit Top-down-Zielen der Konzernleitung gemessen und verfolgt. Ausgewählte «lessons learned» bei Geberit waren: nicht mit den schwierigsten Fällen starten; technische Herausforderungen brauchen in der Regel mehr Zeit als geschätzt; Prozesse müssen vor der Implementierung fehlerfrei sein.

Kostenmodelle bei Bossard

Bei der Bossard Group beginnt die ­Digitalisierungsstrategie beim Kunden. Die Vernetzung der Prozesse über die gesamte Wertschöpfungs­kette gehört zum Bossard-Geschäftsmodell, wie Andreas Bertaggia (Vice-President Worldwide Purchasing & Logistics) berichtete. Für den Einkauf bei Bossard bedeutet dies eine Umsetzung in zwei Phasen.
In der ersten Phase wurden zunächst anhand des Total-Cost-of-Owner­ship-Modells die Prozesse identifiziert, die das grösste Optimierungs­poten­zial haben. Dies sind: Bestell­abwicklung durch automatisierte Bestellungen; Lieferantenintegration durch elektronischen Belegfluss; Rechnungserfassung durch digitalisiertes Dokumentenmanagement; Rechnungsabwicklung durch Zahlungsharmonisierung. In einer zweiten Phase ist die vollständige Digitalisierung der Geschäftsprozesse vom Kunden bis zum Lieferanten vorgesehen. Dafür hat Bossard die Grundlagen bereits geschaffen und befindet sich in der Prototypenphase.

Digitalisierung bei PostFinance

Christian Geiger von der PostFinance führte das Publikum in die Veränderungen durch den harmonisierten Zahlungsverkehr in der Schweiz ein. Mit der internationalen Norm ISO 20022 ist die Grundlage für einen durchgehend digitalen Zahlungslauf zwischen Kunden und Lieferanten gelegt. In Zukunft wird nur noch ein Format mit IBAN für den Zahlungsverkehr verwendet. Dies erfordert daher Anpassungen in den IT-Syste­m­einstellungen und gegebenenfalls Anpassungen der Softwaresysteme.

Tempo schwierig abzuschätzen

«Der Zufall trifft nur einen unvorbereiteten Geist», sagt Louis Pasteur. Die Referenten der Finanztagung haben eindrücklich aufgezeigt, wie die Digitalisierung im Einkauf vorbereitet und wie eine schrittweise Implementierung erfolgen kann.
Die Bedeutung ist erkannt, die Umsetzung hat begonnen – wohin und wie schnell die Transformation erfolgt, kann niemand abschätzen. Die Technologien und Prozesse produktiv zu nutzen, ist die Herausforderung, sodass sich auch die finanziellen Ergebnisse verbessern und die Mitarbeiter der Transformation folgen. Denn nur dann ist die Digitalisierung wirklich erfolgreich.

Themen und Schlagwörter