Fachkräftemangel im Einkauf: Nur ein Hype?

Fachkräftemangel im Einkauf: Nur ein Hype?

Publiziert am Autor: Andreas König, Mathias Siegenthaler

Wer suchet der findet. In Sachen Personal ist das aktuell schwieriger denn je!

Es wird eng auf dem Schweizer Arbeitsmarkt. Der Fachkräftemangel wird immer spürbarer, auch im Einkauf und der Logistik. Aktuell sichtbar in den Corona-Wellen und durch Versorgungsengpässe. Oder war dies alles nur ein Hype, der sich nach den aktuellen Krisen wieder legt?

Eigentlich gäbe es wenig Grund zum Jammern. Die Berufsbilder im Supply Management und der Logistik werden nachweislich interessanter und immer vielseitiger mit klarem «Hightech-Fokus». Wurden Einkauf und Logistik früher auf operative Aufgaben wie Bestellen, Transportieren sowie Ein- und Auslagern reduziert, so hat sich dies markant geändert. 

Sowohl durch die Globalisierung, die Digitalisierung und auch die Automation wurden viele Tätigkeiten durch planerische und strategische Aufgaben ersetzt und ergänzt oder von neuen Berufsbildern abgelöst. 

Bereits durch die schon vor Jahren beschleunigte Globalisierung, neu aber auch durch den explodierenden Onlinehandel sowie die weltweiten Krisen stehen die Supply-Chain-Manager, Einkäufer sowie Logistik-, Speditions- und Aussenhandelsexperten vor neuen Herausforderungen. 

Die vormals eingespielten und heute labilen globalen und nationalen Versorgungsketten gilt es, mit modernen Netzwerk- und digitalen Planungstools sowie mithilfe künstlicher Intelligenz zu sichern und resilient zu gestalten.

Das Supply (Chain) Management ist inzwischen auf oberster Führungsebene angekommen. Covid und der Ukraine-Krieg haben die systemrelevante Bedeutung der Warenversorgung sichtbar gemacht und einen zusätzlichen Booster erzeugt. Und der notwendige Klimaschutz spornt die hiesigen Akteure zu Sonderleistungen an. 

Erst am Beginn des «War of Talents» 

Trotzdem herrscht Fachkräftemangel. Jüngst veröffentlichte Prognosen geben keine Entwarnung. Im Gegenteil: Aktuelle Zahlen zeigen, dass in der Schweiz bereits in vier Jahren gut 350 000 Fachkräfte fehlen werden. 2035 sollen es sogar über eine Million sein. 

Man muss kein Hellseher sein: Die ­aktuelle Alterspyramide der Schweizer Bevölkerung zeigt als bevölkerungsreichste Altersgruppe mit 135 000 Personen den Babyboomer-Jahrgang 1964. Diesen baldigen Rentnern stehen mit jeweils nur etwa 85 000 Personen die heutigen Jahrgänge der 17- bis 20-jährigen Berufseinsteiger gegenüber, also 60 Prozent weniger. Dieser Mangel wird sich über Jahre hinaus fortsetzen. Und: Gesucht sind auch Einkaufs- und Logistik-Fachkräfte auf jedem Level.

Umso dringender benötigen wir zur Sicherung unserer Versorgung auch künftig die besten und motiviertesten Talente! 

Das Problem: Das bisherige Rezept «Zuwanderung» greift nicht mehr. Denn der demografische Wandel gilt auch in den Nachbarländern – Qualifizierte Arbeitskräfte werden global knapp. Es müssen neue Lösungen her! 

Expert Talk

Der Co-Autor Mathias Siegenthaler ist einer der Keynote Speaker am kommenden Expert Talk zum Thema «Fachkräftemangel» vom 26. Januar 2023. 
Detaillierte Informationen zum Event finden Sie zeitnah unter:

Expert Talk

Firmenkultur und Frauenförderung

Die Unternehmen werden mehr in ihre ei­genen Mitarbeiter investieren müssen, um diese im eigenen Betrieb zu halten. Dazu gehören interessante Aufgaben mit selbstständigen Gestaltungsmöglichkeiten, attra­ktiven und modernen Führungs- und Teamkulturen, Ausbau von Kita-Angeboten, Umschulung und neue Bildungsangebote, aber auch bessere Integration für Quereinsteiger und Menschen mit Handicaps.

Zudem müssen wir die Frauen für unsere Berufe begeistern. Längst sind Einkaufs- und Logistikjobs dank modernen Tools und neuen IT-fokussierten Aufgaben immer mehr auch Frauensache. Hier liegt hohes Potenzial. Viele typische Eigenschaften unserer Versorgungstätigkeiten eignen sich ideal für weibliche Arbeitskräfte: vernetzt, kreativ, analytisch, digital, global, echt sinnvoll und immer mehr nachhaltig ressourcen- und umweltschonend.

Noch mehr gilt: Nur Unternehmen, die ihrem Personal auch künftig mit respektvollem Umgang begegnen, sind bei der Personalgewinnung in einer guten Ausgangslage. Dazu gehören neben interessanten Aufgaben mit guten Entwicklungsmöglichkeiten vor allem auch moderne und faire Arbeitsbedingungen. 

Gemeinsam informieren und begeistern

Aber noch immer haben Supply-, Logistik- und Transport-Berufe ein Imageproblem. Und dies nicht nur bei den «Blue-Collar-Tätigkeiten» im Lager oder auf dem LKW.  Die FH Graubünden hat bei über 200 Berufsmaturanden eine Umfrage zwecks künftiger Bachelorangebote durchgeführt. Das ernüch­ternde Ergebnis:  Die grosse Mehrheit stand dem Thema «Einkauf» neutral (43 Prozent) oder als nicht ansprechend (29 Prozent) gegenüber. Unter allen abgefragten Lerninhalten lag der Einkauf auf dem letzten Platz, noch hinter Mathematik, Statistik und Volkswirtschaftslehre. 

Es ist offensichtlich: Die Öffentlichkeit und unser Nachwuchs hat eine sehr einseitige, tendenziell negative und falsche Wahrnehmung auf unsere Versorgungstätigkeiten und Berufe – trotz aktuell positivem «Systemrelevanz-Schub». 

Die «Einkaufs- und Logistikszene» hat die Zeichen der Zeit erkannt: Die wichtigsten Versorgerorganisationen gründeten 2021 mit «Swiss Supply» eine nationale Vereinigung, die beim Nachwuchs, bei Quereinsteigern sowie in der breiten Öffentlichkeit die Themen «Supply», «Einkauf», «Logistik» und «Transport» gemeinsam positiv fördert. Bestehende Aktivitäten wie die Verkehrshaus-Ausstellung «Logistik erleben!» und die jährlichen nationalen Truck- und die Logistics Days erhalten verstärkten Support. Unsere bewährten Bildungsangebote werden laufend modernisiert und zusammen noch optimaler vermarket. Eine langfristig und nachhaltig angelegte gemeinsame Bewegung zur Optimierung unseres Ansehens steht am Start. 

Wir bieten sinnvolle, vielseitige und zukunftsorientierte Berufe entlang der gesamten Wertschöpfungskette an. Es liegt an uns allen, dafür zu werben. Imageförderung gelingt nur mithilfe aller Marktplayer. Wir freuen uns auf «gemeinsames Bewegen»!

Andreas König

Der Autor ist Direktor von Swiss Supply. Zur Fördervereinigung gehören 29 nationale Versorgungsverbände und -Institutionen. Ihr Ziel ist die gemeinsame nationale Nachwuchs- und Imageförderung in den Wirtschaftsleistungen Supply, Einkauf, Logistik, Spedition, Transport, Verpackung sowie Entsorgung & Recycling.

Mathias Siegenthaler

Der Co-Autor ist CEO und Inhaber der Logjob AG. Das Unternehmen bietet mit sechs Filialen schweizweit und im angrenzenden Ausland seit über 20 Jahren Executive Search und Personalberatung für Experten und Manager in Logistik, Supply-Chain-Management, Beschaffung und Transport.