Einkaufsprozesse digitalisieren für einen fairen globalen Handel

Einkaufsprozesse digitalisieren für einen fairen globalen Handel

Publiziert am Autor: Mikkel Hippe Brun

Diejenigen, die es sich am wenigsten leisten können, zahlen den Preis für jahrzehntelange Kosteneinsparungen. Covid-19 hat das bröckelnde Fundament freigelegt. Es ist an der Zeit, umzudenken und alte Strukturen neu aufzubauen. Die Digitalisierung der Beschaffungs- und Lieferkettenprozesse spielt hierbei eine wichtige Rolle.

Die Folgen der von Covid-19 verursachten Störungen sind verheerend. Bis zu 60 Millionen Menschen in Entwicklungsländern sind von Armut bedroht. Das zeigen Analysen der Weltbank. Stornierte Aufträge, aufgeschobene Zahlungen und eine schleppende Nachfrage verschlimmern die kritische Lage weiter. 

In Bangladesch verloren Bekleidungslieferanten mehr als drei Milliarden Dollar an Aufträgen. Über zwei Millionen Arbeitnehmer sind davon betroffen. Fast über Nacht ist eine ganze Industrie ins Hintertreffen geraten. Ein Sicherheitsnetz, auf das zurückgegriffen werden kann, existiert nicht. Dem Global Slavery Index zufolge sind mehr als 40 Millionen Menschen Opfer der «modernen Sklaverei». Eine Zahl, die laut Prognosen weiter ansteigen wird.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen zwingen kleinere Zulieferer zu wählen zwischen Umweltschutz oder Gewinnen, um nicht zu verhungern. Laut der Unternehmensberatung McKinsey stammen 90 Prozent der Umweltbelastungen von Unternehmen aus den Lieferketten. Dies ist keine mutwillige Zerstörung seitens der Lieferanten. Es fehlen die finanziellen Mittel zur Verbesserung ihrer Arbeitspraktiken. 
Die Notlage der Arbeitnehmenden auf der untersten Ebene der globalen Lieferketten nimmt zu. Sie leben in Armut. Es ist die Folge eines strukturellen Zusammenbruchs, der seit Jahrzehnten am Entstehen ist – verursacht durch den Druck nach immer effizienteren und billigeren Gütern. 

Zeit umzudenken

Der heutige Handel basiert auf weltweiten komplexen Lieferanten-
Ökosystemen. Lange Handelswege und schädliche Arbeitspraktiken in anderen Ländern belasten die Umwelt. Lieferketten werden durch die Anzahl der Sublieferanten instabiler. Es herrscht ein Mangel an Transparenz. Im Vordergrund stehen höhere Gewinne und steigende Aktionärswerte. Diese Erträge subventionieren am Ende meistens jene, die es sich am wenigsten leisten können. 
Mit dem Einsatz moderner Technologien wie der Digitalisierung können Unternehmen ihren Beitrag leisten für einen faireren und gerechteren Handel.

Mangelnde Transparenz 

Bei den meisten Unternehmen geht die Sichtbarkeit der Lieferkette bis zum Lieferanten, mit dem sie direkt in Kontakt stehen. Dann hört sie auf. Das hat zwei Hauptgründe.

Zum einen gibt es viele Informationen nur auf Papier. AP Moeller Maersk, 
die grösste Containerschiffsreederei der Welt, hat bei der Verschiffung eines Containers von Kenia in die Niederlande nachgeforscht. Über 200 Dokumente wurden zwischen 100 verschiedenen Personen ausgetauscht. Dadurch entstand ein 25 Zentimeter hoher Papierstapel. Digital wurde davon so gut wie nichts erfasst. 

Zum anderen nutzen Lieferanten oft Sublieferanten für Zwischenproduktionen. Das ist nirgendwo dokumentiert. Der Einkäufer ist auf die Aussagen des Lieferanten angewiesen. Das macht es schwierig, Waren und Materialien bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und über alle Arbeitsbedingungen Bescheid zu wissen. 
Wenn Unternehmen ihrer Sorgfaltspflicht über die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette nachkommen wollen, müssen sie diesen Mangel an Transparenz beheben. Digitale Plattformen können hier einen wertvollen Beitrag leisten. Unternehmen sind über ein globales Netzwerk verbunden. Alle Daten von Einkäufer und Lieferanten sind digital vorhanden. Es lassen sich Analysen in Echtzeit erstellen. Lieferantenbeziehungen können über alle Sublieferanten-Ebenen nachverfolgt werden. Zusätzlich mit ins Boot geholte Anbieter prüfen die Arbeitsstätten regelmässig. Die Ergebnisse werden ebenfalls digital festgehalten. Unternehmen können beispielsweise den CO2-Fussabdruck anhand von Rechnungsdaten über die gesamte Lieferkette analysieren. Erreicht werden kann das mit Cloudbasierten Software-as-a-Service-Lösungen, die es bereits heute am Markt gibt. 

Weltweiter Netzwerkzugang

Als die Lieferketten zusammenbrachen, konnten viele Lieferanten ihre Waren nirgendwo mehr hinliefern. Kleinbauern in Afrika säten die Ernte wieder auf den Feldern aus. Ihre Grosshändler konnten sie nicht verschiffen. Preisverhandlungen nach der Devise «take it or leave it» sind an der Tagesordnung. 

Mit der Anbindung der Lieferanten an globale, digitale B2B-Marktplätze lässt sich dieser Kreislauf durchbrechen. Unternehmen an der Spitze von Lieferketten gewinnen ebenfalls. Ein Netzwerk an Zulieferern gibt Einkäufern mehr Auswahl-Optionen. Wenn eine Krise eintritt, Lieferanten ausfallen oder sich Lieferungen verspäten, können sie frühzeitig reagieren und sich nach Alternativen umschauen. Mithilfe der Digitalisierung können neue Finanzierungsmodelle entwickelt werden. Lieferanten und Unternehmen erhalten günstige Kreditlinien. Dafür verpflichten sie sich, Nachhaltigkeitsziele umzusetzen. Die Lieferanten erhalten ein Kapitalpolster, um ihre Arbeitspraktiken zu verbessern. Einkäufer erhalten Kapital, um ihre eigenen Prozesse zu verbessern. Alle gewinnen. 

Innovatoren wie der Nobelpreisträger Muhammed Yunus erkannten: Erhalten marginalisierte Gemeinschaften Zugang zu Finanzmitteln und Möglichkeiten, verbessern sich ihre Lebensumstände. Andere wie Jon Bosak (Entwickler der Auszeichnungssprache XML, die es ermöglicht, Daten für Maschinen lesbar zu machen) leisteten Pionierarbeit bei der Standardisierung von Computerdatensprachen. Er sah die Macht der Technologie, die weltweite Verbindungen schafft. 

Mehr Fairness dank Digitalisierung

Beschaffungs- und Lieferkettenprozesse zu digitalisieren, hat viele Vor-
teile. Unternehmen können ihre Handels- und Buchhaltungsprozesse optimieren, die Einhaltung der CSR-Vorschriften sicherstellen und die Transparenz der N-Tier-Lieferkette gewährleisten. Lieferanten profitieren von der weltweiten Anbindung an das B2B-Netzwerk, zügigeren Bezahl-Services und neuen Finanzierungsmodellen. 
Wenn Unternehmen moderne Technologien richtig nutzen, können sie ein Geschäftsumfeld schaffen, in dem jeder eine faire Chance erhält. Sie leisten ihren Beitrag für einen faireren und gerechteren Handel weltweit. 

Mikkel Hippe Brun

Mikkel Hippe Brun ist Mitbegründer und Senior Vice President Greater China bei Tradeshift, einer globalen Handelsplattform, die Käufer und Verkäufer miteinander verbindet. Mikkel Hippe Brun ist seit über 25 Jahren in der Branche tätig.