Einkaufsprofis und ihr Gespür für schwarze Schwäne

Einkaufsprofis und ihr Gespür für schwarze Schwäne

Publiziert am Autor: Mario Walser

Die Finanzkrise von 2008 und die Aufhebung der Frankenuntergrenze 2015 sind nur zwei tiefgreifende Wirtschaftsereignisse, die sich im Purchasing Managers Index (PMI) widerspiegelten. Seit 22 Jahren gilt der Einkaufsmana­ger­index als verlässlicher Rezessionsmonitor und Alarmzentrale.

Schwarze Schwäne gibt es keinesfalls. Daran wagte im Mittelalter niemand zu zweifeln. Zeitgenossen, die es doch taten, wurden als Spinner belächelt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde der erste schwarze Schwan in Australien gesichtet – und die über eine lange Zeit unumstössliche Annahme widerlegt.

Heute bezeichnet man ein unvorhergesehenes Ereignis, das wirtschaftlichen Entwicklungen eine entscheidende Wende gibt, als «black swan». Wie viel davon unvorhersehbar war, ist jeweils schwer zu sagen. Klar ist: Wer einen Informationsvorsprung hat, verfügt über einen Wettbewerbsvorteil, womit wir bei den Einkaufsprofis angelangt sind.

Aussagekräftiges Gespür

Gerade Einkaufsmanager, die am Anfang des Produktionsprozesses stehen, spüren Nachfrageschwankungen oft schon, bevor diese in den Produktions- oder Umsatzzahlen sichtbar werden. Dieses Gespür haben sich procure.ch und die Credit Suisse vor über 22 Jahren zunutze gemacht und den Index nach den Standards der International Federation of Purchasing and Materials Management (IFPMM) auch in der Schweiz eingeführt. Denn der PMI nutzt genau diesen Vorlauf zur Prognose der Konjunktur. In der Vergangenheit liessen sich Krisen wie die Dotcom-Blase (2001), die Finanzkrise (2008) oder die Schuldenkrise (2011) bereits Monate im Voraus anhand des PMI erkennen. In diesen Zeiten lag der PMI teilweise mehr als drei Monate unter einem Wert von 44. Kurz zur Erinnerung: Ein Wert über 50 bedeutet eine Expansion der Aktivitäten gegenüber dem Vormonat. Ein Wert unter 50 wird als Rückläufigkeit der Produktion angesehen.

Nicht nur Mitte oder Ende des Jahres, wenn konjunkturelle Prognosen und Szenarien sowieso omnipräsent sind, spiegelt der PMI die aktuelle Lage der Wirtschaft wider. Er zeigt monatlich den direkten und unverfälschten Bezug zur Realwirtschaft und dient vor allem der produzierenden Industrie als Orientierung.

Geschäftsleitungsmitglieder schätzen den PMI für strategische Entscheidungen, ebenso beziehen sich Wirtschaftsjournalisten in ihren Berichten neben anderen prominenten Kennzahlen auf den PMI.

Wenig Aufwand, viel Wirkung

Der Index stammt ursprünglich aus den USA und ist dort noch heute der wichtigste und zuverlässigste Frühindikator für die amerikanische Wirtschaft. Seit 1931 werden in Amerika die Daten von Einkaufsleitern von über 400 Unternehmen gesammelt und jeweils am ersten Arbeitstag des Monats vom Institute for Supply Management (ISM) veröffentlicht. Es gibt den PMI mittlerweile in fast 30 Ländern, die zusammen über 80 Prozent der weltweiten Industrieproduktion ausmachen, was ihn international vergleichbar und zum unverzichtbaren Instrument der Konjunkturanalyse macht.
Im Gegensatz zu anderen Konjunk­turindikatoren, die sich mit den Erwartungen, Ängsten oder Hoffnungen der Leute beschäftigen und als komplexe, mathematische Konstrukte nur schwer zu verstehen sind, beschränkt sich das Erhebungsverfahren beim PMI auf tatsächliche, wirtschaftliche Aktivitäten und eine einfache, nachvollziehbare Erstellung.

Der Schweizer Index basiert auf den Resultaten einer von procure.ch bei Einkaufsmanagern durchgeführten monatlichen Umfrage, die nur rund 10 Minuten in Anspruch nimmt. Die Teilnehmer beantworten sechs kurze Fragen (siehe oben). Kurz: Sie vergleichen zum Erhebungszeitpunkt die Situation in ihrer Geschäftseinheit mit derjenigen des Vormonats und geben an, ob sich einzelne Sparten (Produktion, Auftragsbestand, Lieferfristen, Einkaufslager, Beschäftigung) positiv oder negativ entwickelt haben oder ob sie unverändert geblieben sind.

Die Antworten werden mit höchster Vertraulichkeit behandelt. Die Identifikation geschieht über einen Code, der dem Verarbeiter des Indexes nicht bekannt ist. Aus diesen Angaben wird in wenigen Rechnungsschritten der PMI-Index erstellt. Pünktlich und in verlässlicher Qualität erscheinen jeweils am ersten Arbeitstag im Monat die aktuellen Werte des PMI.

Der PMI für Dienstleister

Die hiesige Industrie ist durch die Inanspruchnahme von Unternehmensberatungen, Finanzierungslösungen oder Werbung stark mit dem Dienstleistungssektor verbunden. Aus diesem Grund gibt es seit 2014 auch den PMI Dienstleistung. Eine Ausweitung bot sich an, um auch Veränderungen im BIP-Wachstum feststellen zu können. Die Berechnung des PMI Dienstleistung erfolgt analog zum PMI Industrie. Als Unternehmen des Dienstleistungssektors gelten dabei alle Unternehmen, die mehr als die Hälfte ihres Umsatzes als Dienstleister erwirtschaften.

Aktuelle Entwicklungen 2017

Seit sechs Monaten kennt der PMI nur eine Richtung – nach oben. Im November 2017 stieg der Index um weitere 3.2 Punkte und schloss auf einem Stand von 65.1 Zählern, dem höchsten Stand seit Juli 2010, obwohl er bereits im Juni die 60-Punkte-Marke überschritten hatte. Über 60 Punkte wurde bisher nur in den Boomzeiten der Industrie erreicht (Tech-Boom 1999–2000, Reindustrialisierung 2005–2008, Erholungsboom 2010–2011).
Die Abschwächung des Schweizer Frankens und die robuste Konjunktur in der Eurozone wirken sich offenbar positiv auf die Schweizer Industriekonjunktur aus, und es ist mit einem Anhalten des positiven Trends zu rechnen. Darauf weisen auch die prall gefüllten Auftragsbücher sowie die trotz reger Produktion sinkenden Lagerbestände an Fertigprodukten hin. Sogar der Personalbestand wird wieder aufgestockt, wenn auch noch in eher verhaltenem Tempo.

Tragen auch Sie zum beliebten Konjunkturindex bei

Über 250 Einkaufsfmanager liefern Angaben für den PMI Industrie, für den PMI Service sind es derzeit knapp 100. Interessierte können jederzeit einsteigen und an der Erhebung des PMI Industrie oder des PMI Service mitmachen. Der Aufwand beträgt monatlich nur wenige Minuten.

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