Digitale Lieferketten: Technologie alleine reicht nicht aus

Digitale Lieferketten: Technologie alleine reicht nicht aus

Publiziert am Autor: Christian Michalak

Die Digitalisierung bietet vielfältige Möglichkeiten, so auch für den Einkauf als Teil der Supply Chain insgesamt. Die Erfahrung zeigt aber sehr deutlich, dass eine rein technologisch geführte Diskussion in diesem Zusammenhang nur bedingt erfolgreich ist.

Die Chancen, die mit der Digitalisierung entlang der Lieferketten einhergehen, sind zweifelsohne signifikant: 

  • die Erhöhung des Umsatzwachstums durch rechtzeitige Lieferung, die zu schnellerer Ertragsrealisierung führt
  • eine verbesserte Profitabilität durch verringerte Lieferkettenkosten, bessere Lagerhaltung und automatisierte Bestell- und Auftragsabwicklung
  • eine bessere Verfügbarkeit des Betriebskapitals durch schnelleren Bestandsumschlag
  • die Steuerung des Risikos und der Reputation durch rigorose Steuerhebel zur Risikominderung und für mehr Flexibilität bei den Prozessen

Aufgrund der rasanten technologischen Weiterentwicklung und der Bereitschaft von sowohl etablierten Technologieunternehmen als auch Investoren, immer neue Technologien und Lösungen zu entwickeln, entstehen zudem in sehr kurzen Zyklen weitere Optionen für die Zukunft – auch für den Einkauf. 

Process Mining eröffnet dem Einkauf die Chance, sehr viel schneller als bisher, ausgehend von Transaktionsdaten des jeweiligen ERP-Systems, manuelle Prozessschritte, Nacharbeiten, Abweichungen von Standardprozessen, Mehrkosten aufgrund nicht realisierter Zahlungskonditionen etc. mit wenigen Klicks zu identifizieren. Die damit gewonnene Transparenz schafft die Grundlage für die Optimierung und eine weiter gehende Automatisierung der Prozesse. 

Die «Roboter» übernehmen 

Robotic Process Automation (RPA) ist vielfach die nächste Stufe der Automatisierung grosser Teile zum Beispiel des Source-to-Pay-Prozesses. 

Der Startpunkt von RPA in Unternehmen liegt nicht selten im Bereich Finance und Accounting aufgrund der signifikant hohen Transaktionsdichte repetitiver Prozessschritte.

Der Mehrwert von RPA liegt in der Reduktion von Durchlaufzeiten, einer höheren Qualität der Arbeitsergebnisse, signifikanten Kosteneinsparungen sowie einer deutlich reduzierten Komplexität. Dadurch wird der Einkauf insgesamt entlastet, und es entstehen neue Möglichkeiten, wertschöpfendere Aufgaben zu erfüllen und vorhandene Ressourcen deutlich effizienter und zielgerichteter einzusetzen. 

Verbesserte «User Experience» 

Mit Blick auf die User Experience entlang der gesamten Lieferkette kommen vermehrt Chat-Bot-Lösungen zum Einsatz, die den Einkauf beispielsweise befähigen, unterschiedlichste Informationsbedarfe entlang der Lieferkette wesentlich zielgerichteter und effizienter als bisher bereitzustellen.

Und auch hier ist der nächste Schritt bereits absehbar, denn dank Amazon Alexa wird nahezu jedem von uns eindrucksvoll deutlich gemacht, wie hilfreich Spracherkennung und -steuerung in der Abwicklung von Prozessen sein kann – natürlich auch im Einkauf.

Natural Language Processing (NLP) ermöglicht es beispielsweise, Freitextbestellungen zu analysieren und diese anhand von Schlagwörtern einer definierten Gruppe von Lieferanten zuzuordnen. 

Die Lieferanten erhalten im nächsten Schritt automatisch einen RfP, der im Anschluss von Robots ausgewertet wird. Dem Einkäufer wird schliesslich eine Entscheidungsvorlage zur Verfügung gestellt, anhand deren ein Lieferant nominiert werden kann. 

Signifikant erhöhte Transparenz   

Cloud-Technologie ermöglicht es heute, komplexeste Lieferketten vollständig transparent zu machen und auf Basis von Realtime-Daten aus unterschiedlichsten Quellen eine End-to-End-Transparenz zu erhalten, welche die nachgelagerte Entscheidungsfähigkeit, ausgehend von kraftvollen Analysetools, massgeblich verbessert.

Diese Supply Chain Control Tower haben positive Auswirkungen auf sämtliche Elemente des SCOR-Modells. Die Liste der «digitalen Opportunities» lässt sich noch ein gutes Stück erweitern – Technologien wie maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz oder Blockchain sind Realität und halten auch im Einkauf Einzug. 

Das zuvor beschriebene Themenfeld macht eines deutlich: «Technology is key» – keine Frage, aber reicht dieser Blickwinkel tatsächlich aus, um eine erfolgreiche Digitalstrategie im Einkauf zu verankern und umzusetzen?

Erfolgsfaktor Fokussierung   

Trotz den weitreichenden Optionen stehen viele Unternehmen heute noch immer am Anfang der Digitalisierung des Einkaufs. Eine nachhaltige Umsetzung bedingt in jedem Fall ein gemeinsames Verständnis eines Zielbildes sowie eine entsprechende Roadmap, die den schrittweisen Weg der Umsetzung aufzeigt. 

Bereits hier scheitern viele Unternehmen daran, die unterschiedlichen Interessenlagen im Sinne einer Fokussierung zu ordnen und zu priorisieren. Digitalisierung muss auch Chefsache sein und auf Ebene der «CxOs» gelebt werden. Gleichzeitig tragen insbesondere Führungskräfte und Entscheider die Verantwortung dafür, Mitarbeitern die Angst vor Veränderung zu nehmen und neue Perspektiven, zum Beispiel in Form von Qualifikationsprogrammen, anzubieten. Andernfalls droht schnell die Gefahr, dass zunächst enthusiastisch gefeierte Anfangserfolge nichts weiter als Strohfeuer sind und von den Mitarbeitern nicht konsequent umgesetzt beziehungsweise weiterverfolgt werden. 

Veränderungen und Investitionen in neue Technologien bedingen immer auch einen belastbaren Business Case, der den Wertbeitrag zum Beispiel in Form von Mehrumsatz beziehungsweise Ausgaben- und Kostenreduk­tion misst. 

Agile Teams und Projekte

Systeme und Daten auf einer Cloud-Plattform zu standardisieren, hört sich gut an, bedeutet aber auch, dass entsprechende Voraussetzungen dafür geschaffen werden müssen. Das lässt sich nur gemeinsam mit der IT realisieren. Realtime-Datenverfügbarkeit bedingt nicht nur Analysekapazitäten, sondern an allererster Stelle auch eine konsistente Datenqualität – nur zu oft eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. 

Digitalisierung hat darüber hinaus immer auch Auswirkungen auf Menschen und deren Arbeitsweisen. So entstehen neue, crossfunktionale Teams, die in einer agilen Projektumgebung ein gemeinsames Ziel verfolgen. Unmittelbar damit verbunden sind Fragestellungen der zukünftigen Prozessgestaltung, der Organisation sowie der Qualifikationsprofile von Mitarbeitern eines Unternehmens. 

Langer Atem ist nötig 

Entsprechend kann festgehalten werden: Digitalisierung im Einkauf bietet ein weites Feld an Potenzialen. Um diese erfolgreich zu erschliessen, bedarf es weit mehr als Technologie. Letztlich bedeutet die Digitalisierung den Beginn eines Transformationsprojektes und sie verlangt einen langen Atem auf dem Weg hin zu einer erfolgreichen Umsetzung. 

Christian Michalak

Der Autor leitet den Bereich Procurement Transformation bei Capgemini Consulting in der DACH-Region. Capgemini Consulting ist die globale Strategie- und Transformationsberatung der Capgemini-Gruppe. 

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