Digital Leaders sind gefragt! Delete «Command & Control»?

Digital Leaders sind gefragt! Delete «Command & Control»?

Publiziert am Autor: Mario Walser

Wann ist traditionelles Führen noch angebracht und wann muss es innovativen Ansätzen weichen? Für HR-Vordenkerin und Digitalisierungs-Tausendsassa Sunnie J. Groeneveld steht ausser Frage, dass Führungskräfte umdenken und vor allem agil sein müssen, wenn sie in einer sich immer schneller drehenden Arbeitswelt erfolgreich sein wollen.

Sunnie – sind die Zeiten vorbei, in denen Firmen sich das Personal aussuchen konnten?

Die Selbstverständlichkeit, mit der Arbeitgeber aus mehreren Bewerbungen die ideale Person auswählen, wird es in Zukunft nicht mehr so geben, weil bereits heute die Zahl der Personen, die das Arbeitsleben verlassen, die Zahl derjenigen, die nachrücken, übersteigt. Zudem wird in den kommenden Jahren die Generation der Babyboomer pensioniert. 

Wie hat sich die Rolle von Führungskräften in den letzten Jahren verändert? 

Mit dem wachsenden Einfluss verschiedener Veränderungstreiber, insbesondere der Demographie und der Technologie, müssen Organisationen und ihre Führungskräfte ihr Aufgabenportfolio anpassen, was eine Vielzahl neuer Fähigkeiten erfordert. Das traditionelle Führungsprinzip «Command & Control» reicht nicht mehr aus. Führungskräfte, die heute erfolgreich sein wollen, müssen situativ beides können: «Command & Control» als auch «Trust & Inspire», gerade auch mit Blick auf einer sich zum Arbeitnehmermarkt wandelnden volatilen und digitalen Geschäftswelt. 

Wie funktioniert «Trust & Inspire»?

Die Schlagworte bei «Trust & Inspire» sind «Vernetzung» und «Vertrauen». In Kontexten des digitalen Wandels erzielen oft übergreifende Projekte den grössten wirtschaftlichen Mehrwert. Sprich, wer es schafft, über Hierarchien, Abteilungen und möglicherweise sogar über Organisations- und Branchengrenzen hinweg wertschöpfende Business-Ökosysteme aufzubauen, kreiert einen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern. Schweizer Beispiele dafür sind Twint in der Finanzwelt oder Inside Laax im Tourismusbereich. Leader hinter solchen Erfolgsgeschichten gelingt es, Stakeholder, die ihnen in keiner Weise unterstellt sind, für eine gemeinsame Vision zu inspirieren. Und dann mit Vertrauen, Offenheit und Neugierde Dinge iterativ zu erproben, bis das Business-Ökosystem optimal zusammenspielt. 

Wie wichtig ist Dialog mit dem Team? 

Sehr wichtig, denn nur so gelingt das iterative Erproben neuer Wege. Deswegen: Gib deinem Team Feedback! Aber lass auch Rückmeldung zu und lerne, damit umzugehen, wenn diese nicht den eigenen Erwartungen entspricht. Ich führe quartalsweise mit meinen Team-Mitgliedern regelmässige «Feedback Walks» durch, wo wir innert 30 Minuten jeweils einander drei Dinge mitgeben, die das Gegenüber besonders gut gemeistert hat, und drei Dinge, wo noch Potenzial nach oben vorliegt. Dabei darf der Zuhörende nur Verstädnisfragen stellen und keine Rechtfertigungen abgeben. Am Ende des Spaziergangs tauschen wir dann aus, welches Feedback wir annehmen und welche Dinge wir stehen lassen. Mit einer offenen Kommunikation kann man als Führungskraft besser nachvollziehen, wo Missverständnisse bestehen, wo das Team denkt, dass man sich als Führungsperson verbessern könnte, oder wo sich das Team und die einzelnen Mitglieder im Unternehmen nicht gehört fühlen. Dieser Feedback-Dialog erscheint mir entscheidend für eine effektive Führung.

Wie beeinflusst die Diskrepanz zwischen Führungskräften, die sich selbst als hervorragende Chefs sehen, und Mitarbeitenden, die das anders sehen, die Effizienz und letztlich den Unternehmenserfolg?

Fehlende Wertschätzung und eine negative Arbeitsatmosphäre wirken sich verheerend auf die Effizienz aus. Wer das Gefühl hat, dass seine Meinung nicht ernst genommen wird, zögert künftig, seine Ideen vorzubringen oder auch nur konstruktives Feedback zu geben. Das wiederum behindert die Innovationsfähigkeit des gesamten Teams und verschlechtert das Arbeitsklima zusätzlich. Es ist daher grundlegend für erfolgreiches Geschäften, dass Führungskräfte ein offenes und konstruktives Feedback von ihren Mitarbeitern einholen und bereit sind, ihr Führungsverhalten zu reflektieren und anzupassen. Transparente Kommunikation und eine positive Arbeitsatmosphäre sind entscheidend für ein erfolgreiches Arbeitsumfeld.

Wie beurteilst du die Entwicklung der Generationen-Diskussion, auch im Hinblick auf die Gen Z und Alpha? 

Wir Menschen haben viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Ich halte deshalb generationsübergreifende, inkludierende Ansätze für sinnvoll und effektiv. Es gilt, unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen und den Fokus zugleich auf Gemeinsamkeiten zu legen. Natürlich sind bestimmte Themen in verschiedenen Lebensphasen relevanter, aber Dinge wie Sinn bei der Arbeit, Impact in der eigenen Wirksamkeit, Perspektiven für den beruflichen Werdegang sind schlussendlich für alle relevant, egal welches Alter man als Arbeitnehmer hat. 

Wie bewerten die GenZ und Alpha Flexibilität und kontinuierliches Lernen in Organisationen im Kontext aktueller technologischer Entwicklungen am Arbeitsplatz? 

Das sollte man sie fragen. Ich gehöre ja zur Gen Y. Generell stelle ich fest, dass jüngere Menschen einen Kulturwandel in Unternehmen stärker einfordern als ihre Eltern. Sie haben zwar kürzere Erfahrung in der Berufswelt, müssen aber Gelerntes nicht erst verlernen, um Neues zu lernen. Sie sind offener für die Neugestaltung der Arbeitswelt, basierend auf den heutigen technischen Möglichkeiten. 

Wie können weniger innovative Firmen heute Talente anziehen?

Flexibilität und die Integration von Berufs- und Privatleben sind entscheidender geworden. Mit der zunehmenden Technologisierung wird die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben fliessender. Arbeitnehmende erwarten heute die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten oder flexiblere Arbeitszeiten zu haben. Unternehmen sollten auf diese Bedürfnisse eingehen, um leistungsstarke Mitarbeitende zu gewinnen und auch halten zu können. 

Wie könnten Firmen, angepasst an Branche und Unternehmenskultur, Strategien für flexible Arbeitsmodelle entwickeln und implementieren?

Das hängt stark vom Unternehmenstyp ab. Eine Social-Media-Agentur mit jungen Mitarbeitenden könnte Workations als attraktive Arbeitsbedingungen betonen. Eine lokal verankerte Manufaktur könnte ihre Attraktivität durch den regionalen Einfluss und die Bedeutung ihrer Produkte unterstreichen. Es ist entscheidend, dass Unternehmen ihre einzigartigen Stärken erkennen und kommunizieren können.

Weshalb ist der «Purpose» zentral?

Die Frage nach dem Sinn und Zweck der eigenen Arbeit ist gesellschaftlich immer wichtiger geworden, auch angesichts des steigenden Wohlstands, der zu mehr Auswahl führt. Jüngere Menschen haben heute markant mehr Optionen als ihre Eltern in selben Alter. Deshalb stellen sie die Sinnfrage intensiver. Sie brauchen einen Kompass in Form eines klaren «Purpose», warum sie sich für Arbeitgeber A und nicht Arbeitgeber B entscheiden sollen. In einem arbeitnehmerdominierten Arbeitsmarkt ist es für Unternehmen unerlässlich, klare Antworten auf diese Sinnfrage zu finden und zu vermitteln.

Sunnie J. Groeneveld

Sunnie J. Groeneveld ist Unternehmerin, Verwaltungsrätin, Autorin und Referentin. Sie ist Gründerin und Managing Partner der Beratungsfirma Inspire 925 sowie Verwaltungsrätin von mehreren mittelgrossen Schweizer Unternehmen und Studiengangsleiterin des Executive MBA Digital Leadership an der HWZ Hochschule für Wirtschaft Zürich. Zuvor war sie die erste Geschäftsführerin von digitalswitzerland, der grössten industrie­übergreifenden Standortinitiative der Schweiz zur digitalen Transformation. Sie ist ebenfalls Autorin des Buches «Inspired at Work» (Versus Verlag), wurde zu den «Top 100 Women in Business» gezählt und von der Handelszeitung als eine der «Top 50 Who is Who in Digital Switzerland» ausgezeichnet sowie vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf seine «30 under 30»-Liste für den deutschsprachigen Raum gesetzt. 
Sunnie hat einen Abschluss in Economics von der Yale Universität. Zudem wurde ihr vom International Institute in Geneva ein Ehrendoktortitel verliehen.

Wo liegt der «Purpose» im Einkauf? 

Der Einkauf ist für Unternehmen entscheidend, da er wichtige wirtschaftliche Entscheidungen wie die Gestaltung von Lieferketten und die Auswahl von Zulieferern trifft. Die Verantwortung im Einkauf, insbesondere in Bezug auf Nachhaltigkeit, hat sich in den letzten Jahren verstärkt und umfasst ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte. Arbeitgeber sollten die Möglichkeiten betonen, aktiv an der Zukunft und der gesellschaftlichen Verantwortung des Unternehmens mitwirken zu können. Zudem ist der Beziehungsaufbau im Einkauf zentral. Effektive Interaktion mit Lieferanten, Produzenten und anderen Stakeholdern und zwischenmenschliche Fähigkeiten werden immer wichtiger. Auch das macht attraktiv.

Also heisst es, Stellenanzeigen künftig anders zu gestalten?

Inserate sind leider wenig innovativ, da oft traditionell und nicht interaktiv. Probieren Sie andere Ansätze aus. Ändern Sie das Format und nehmen Sie als Führungsperson ein Video auf, in welchem Sie die Stelle persönlich erläutern und allenfalls auch gleich eine Unternehmenstour geben. Bringen Sie sich in die Aus- und Weiterbildung potenzieller Talente ein. Binden Sie diese in den Unternehmensalltag ein. Das kann durch die Integration praktischer Herausforderungen in Studiengängen, Bereitstellung von Gesprächspartnern für akademische Projekte oder das Anbieten von Workshops und Fallstudien geschehen. Diese Initiativen ermöglichen Studierenden, praxisnahe Erfahrungen zu sammeln, erfordern aber sorgfältige Planung und Vorbereitung durch die Führungskräfte und die HR.

Wie könnten HR und Einkauf künftig effektiver zusammenarbeiten?

Je nach Unternehmen ist die HR-Rolle oft noch zu stark operativ beziehungsweise administrativ, also zu verhaftet in klassischen HR-Aufgaben wie Lohnabrechnungen und Ferienansprüche. Dinge, die heute heute vielfach automatisiert werden können. Das Ziel sollte mit Blick auf den zukünftigen Arbeitnehmermarkt sein, HR strategischer auszurichten hin zu «People & Culture», sprich auf Mitarbeitenden-Erfahrung zu fokussieren – ähnlich einer Marketing­abteilung, die sich um die «Customer Journey» und die «Customer Experience» kümmert. Zu einer guten «Employee Experience» gehört die Mitarbeitergewinnung und -entwicklung sowie die Einbindung jener Kandidaten, die gar nicht eingestellt wurden. 

Wie kann es Firmen gelingen, Nichteingestellte «bei Laune» zu halten?

Meist erhält ja nur eine von mehreren gleichermassen qualifizierten Personen die Stelle. Doch auch zunächst abgelehnte Talente bieten ein grosses Potenzial für die Besetzung zukünftiger ­offener Stellen. Einige Firmen bauen deshalb Communities für diese Bewerbenden auf, was zusätzliches Engagement der Personal- oder Marketingabteilung erfordert. So könnte man diese Talente zu speziellen Branchenveranstaltungen oder zu Fortbildungen einladen – ähnlich wie Luxusmarken ihre treuesten Kunden behandeln. Diese Strategie hilft, einen Pool an interessierten Talenten zu schaffen, was in Zeiten des Fachkräftemangels besonders wertvoll ist.

Inwiefern kann man durch Aus- und Weiterbildungen innovative Ansätze verfolgen, um die richtigen Fachkräfte für den Einkauf zu gewinnen?

Heute ist lebenslanges Lernen in der Arbeitswelt entscheidend, da Karrieren und Geschäftsdynamiken sich rasch verändern. Laut dem World Economic Forum werden sich in den nächsten fünf Jahren 23 Prozent der weltweiten Arbeitsplätze aufgrund des digitalen Wandels verändern, unter anderem auch durch künstliche Intelligenz. Deshalb sollte Bildung als kontinuierlicher Prozess angesehen werden, der fest in der Unternehmenskultur verankert ist. CEOs und Führungskräfte sollten diese Einstellung vorleben, um die gesamte Organisation zu beeinflussen. Insgesamt wird es immer wichtiger, dass Unternehmen Weiterbildung unterstützen und verstärkt darin investieren.

Investieren? Das ist doch teuer …

Die Anforderungen steigen. Ein kontinuierlicher Lernprozess ist Teil der bereits erwähnten «Employee Experience» und sollte folglich bewusst gestaltet werden. Eine Option, die wenig kostet, ist, Peer-to-Peer-Lernmöglichkeiten zu fördern. Unternehmen könnten noch viel mehr profitieren, wenn sie damit beginnen, Mitarbeitende nach erfolgter Weiterbildung in internen Gruppen zusammenzubringen, um Erkenntnisse auszutauschen. Zum Beispiel könnte man Round-Table-Diskussionen veranstalten oder ganz unkomplizierte «Brown-Bag-Meetings», um die gesamte Organisation zu stärken. Je besser ein Unternehmen das umsetzen kann, desto dynamischer wird es.

Welche Herausforderungen und Chancen siehst du in der Neuorganisation der Arbeitswelt angesichts der zunehmenden Technologienutzung und Automatisierung?

Wir haben Zugang zu einer immerzu wachsenden Vielzahl digitaler Werkzeuge. Früher hat man sich als Führungskraft glücklich schätzen können, wenn man sich über die Jahre ein Team von Menschen aufbauen konnte, die intelligenter sind als man selbst. Heute kann das jeder Mitarbeitende dank Tools wie ChatGPT und anderen KI-Applikationen. Das erfordert eine Neugestaltung unserer Arbeitsumwelt. Die grosse Chance ist, dass die Entscheidungen darüber, wie Technologie in der Arbeit eingesetzt wird, vorderhand noch in menschlichen Händen liegt. Die Herausforderung ist, dass es viele Fragen zur Organisation der Aufgaben und Prozesse aufwirft und auch zur Unterstützung von Mitarbeitenden, die von Automatisierung betroffen sein könnten. Unternehmen müssen hier Antworten finden. Ob wir reaktiv oder proaktiv reagieren, ist entscheidend. Meiner Meinung nach sollten wir unbedingt proaktives Handeln anstreben.