Die Schweiz, der Brexit und die Auswirkungen auf den Einkauf

Die Schweiz, der Brexit und die Auswirkungen auf den Einkauf

Publiziert am Autor: Jan Atteslander, Mario Ramò

Der Brexit wird auch 2020 für Schlagzeilen sorgen. Denn es braucht schon bald eine definitive Regelung des bilateralen Verhältnisses zwischen Grossbritannien und der EU. Die Schweiz ist davon direkt betroffen. Auch der Einkauf in Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Und da die bisherigen Verhandlungen alles andere als einfach waren, wird es Nerven brauchen. Auch bei den Unternehmen.

Wo genau steht der Brexit? Und was sind die Auswirkungen auf die Schweiz in der nahen Zukunft? Die erste Frage kann beantwortet werden, zumindest für die nächste Etappe: Am wahrscheinlichsten ist der Austritt Grossbritanniens aus der EU am 31. Januar 2020. Von dann an wird der ausgehandelte Brexit-Vertrag gelten, aber nur bis zum 31. Dezember 2020. 

Endgültige Regelung unter hohem Zeitdruck 

Beim abgeschlossenen Vertrag zwischen Grossbritannien und der EU handelt es sich um ein Übergangsabkommen mit Ablaufdatum 31. Dezember 2020. Ist es realistisch, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine definitive Regelung des künftigen Verhältnisses zwischen Grossbritannien und der EU fertig ausgehandelt werden kann? Wohl eher nicht. Somit braucht es eine Einschätzung dazu, ob das Ablauf-
datum des Übergangsabkommens verlängert werden kann. Es kann, aber Grossbritannien und die EU müssen einverstanden sein.

Schweizer Wirtschaftsinteressen betroffen

Die Frage nach den Auswirkungen des Brexit auf die Schweiz ist schwieriger.  Unabhängig von der vertraglichen Perspektive wird entscheidend sein, wie sich die wirtschaftlichen Konsequenzen des Brexit in Grossbritannien konkret auswirken. Eine Rezession bekäme auch die Schweizer Wirtschaft zu spüren, denn das Vereinigte Königreich ist aktuell der sechstgrösste Handelspartner. Bei den Schweizer Direktinvestitionen rangiert das Land gar auf dem vierten Platz. Volkswirtschaftlich steht also auch für die Schweiz viel auf dem Spiel.

Schweiz und Grossbritannien haben vorgesorgt

Vertraglich haben die Schweiz und Grossbritannien vorgesorgt: Scheidet Grossbritannien am 31. Januar 2020 ohne Brexit-Vertrag aus der EU aus, greift die bilaterale Auffanglösung. Andernfalls tritt sie nach Ablauf des Übergangsabkommens EU – UK in Kraft. 

Wie sehen nun die Regelungen zwischen Grossbritannien und der Schweiz konkret aus? Sechs bilaterale Abkommen wurden inzwischen unterzeichnet. Sie ermöglichen grösstenteils die Fortsetzung der vertraglichen Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich. Darunter fallen die Bereiche Land- und Luftverkehr, Güterhandel, Versicherungen sowie Migration und Sozialversicherungen. 

Doch trotz dieser Auffanglösung hat auch die Schweiz ein starkes Interesse, dass sich die EU und Grossbritannien möglichst bald auf ihr künftiges vertragliches Verhältnis einigen. 

Der Grund hierfür liegt in Lücken der erwähnten bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und Grossbritannien. Diese Lücken können ohne eine vertragliche Einigung EU – UK nicht geschlossen werden. Dabei geht es primär um die Harmonisierung der Vorschriften zwischen der Schweiz und der EU.

Potenzielle Betroffenheit des Einkaufs

Die Lücken werden hier kurz aufgelistet, da sie gerade für den Einkauf wichtig werden können:

  • technische Handelshemmnisse: Der Status quo ist nur 
  • in den Bereichen gute Laborpraxis (GLP), gute Herstellungspraxis (GMP) und Automotive sichergestellt. 
  • landwirtschaftliche Güter: Anhänge 4, 5, 6 und 11 des Agrarabkommens sind nicht gesichert.
  • Zollsicherheit: UK scheidet aus dem Abkommen über Zollerleichterungen und Zollsicherheit (ZESA) aus.
  • Finanzdienstleistungen: Äquivalenz
  • Personenverkehr: UK wird für die Schweiz zum Drittstaat. 

Technische Normen und Zollverfahren sind wichtig für den Einkauf in Industrieunternehmen. Und damit ist die genaue Einschätzung der Situation mit Grossbritannien wichtig. Das gilt auch für die Lebensmittelindustrie.

Viele Schweizer Unternehmen verfolgen eine erfolgreiche Nischenstrategie. Dies setzt eine hochgradige Arbeitsteilung voraus – häufig in globalen Wertschöpfungsketten. Entsprechend hat auch der Einkauf der Vorprodukte und -dienstleistungen eine strategische Bedeutung. Wenn daher die genannten Lücken nicht aufgefüllt bzw. überbrückt werden können, kann der Brexit die Wertschöpfungskette eines Schweizer Unternehmens möglicherweise trotzdem tangieren. Es gibt nicht nur direkte, sondern auch indirekte Effekte beim Einkauf in Grossbritannien: Britische Bestandteile sind auch in Zwischenprodukten enthalten, die heute z. B. in EU-Ländern eingekauft oder in der Schweiz weiterverarbeitet und dann in die EU exportiert werden. Die Konformität mit technischen Normen wird damit zu einem wichtigen Thema, das in den kommenden Monaten für viele Unternehmen zusätzlich an Bedeutung gewinnen wird.

Es wird Nerven brauchen

Das sind technische und sehr branchenspezifische Fragestellungen. Entsprechend müssen auch sehr spezifische Lösungen zwischen Grossbritannien, der EU und auch der Schweiz gefunden werden. Das ist möglich. Aber die jüngste Erfahrung hat uns gezeigt, dass die Spitzenpolitiker solche Themen offensichtlich nicht auf dem Radar haben. Klar können Lösungen gefunden werden, aber es wird Nerven brauchen, bis sie dann fertig ausgehandelt sind. Politische Spannung zwischen den Partnern dürften wohl eher die Norm denn die Ausnahme sein. Die Unsicherheit dürfte auf die Stimmung drücken, besonders auf die der Investoren.

Portrait Jan Atteslande

Jan Atteslander

Seit 2008 ist der promovierte Ökonom Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizer Wirtschaftsdachverbandes economiesuisse und leitet den Bereich Aussenwirtschaft. Davor war er bei SwissHoldings als Mitglied der Geschäftsleitung für die Dossiers Direktinvestitionen, Corporate Responsibility und Financial Reporting sowie für Fragen des Kapitalmarktes verantwortlich. Er ist Mitglied in mehreren Gremien internationaler Wirtschaftsverbände.

Portrait Mario Ramò

Mario Ramò

Mario Ramò ist stellvertretender Leiter Aussenwirtschaft beim Wirtschaftsdachverband economiesuisse. Er hat Politik- und Medienwissenschaften an der Universität Zürich studiert. Frühere berufliche Stationen führten ihn als Geschäftsleiter in die universitäre Weiterbildung und in die Medienbranche. Mario Ramò ist verheiratet und Vater einer Tochter.