Die schwache gesamtwirtschaftliche Lage nutzen

Die schwache gesamtwirtschaftliche Lage nutzen

Publiziert am Autor: Markus Bergauer

Weltweit ist die Konjunktur auf Talfahrt. Das geht auch an der Schweiz nicht spurlos vorüber: Das verarbeitende Gewerbe verzeichnet einen massiven Nachfrageeinbruch. Für Einkäufer ergeben sich aus dieser Schwäche aber Chancen, um Kosten zu senken. Denn in der Flaute sinken einige Rohstoffpreise und es ergeben sich Freiräume für neue strategische Ansätze.

Die Aussichten für die Bauindustrie, den Handel, die Dienstleistungen und die Finanzen der Schweiz sind zwar verhalten, aber nicht negativ, sodass die Expertengruppe des Bundes für 2019 insgesamt mit einem Wachstum von 0,8 Prozent rechnet. 

Doch die exportorientierte Industrie leidet an der trüben Konjunktur der Handelspartner. Der Geschäftslageindikator der Branche ist bereits seit elf Monaten negativ, stellt die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich in ihrer Konjunkturprognose fest.

Rohstoffpreise sinken

Da die Konjunkturflaute weltweit spürbar ist und die Aussichten unter anderem wegen der Handelskonflikte unsicher sind, haben die Preise für Rohstoffe bereits merklich nachgegeben. Speziell für einige Metalle und Kunststoffe sind die Preise im Vergleich zum Vorjahr im zweistelligen Prozentbereich gesunken. 

Dieser Trend wird anhalten, erwarten rund zwei Drittel der Teilnehmer der diesjährigen Inverto-Rohstoffstudie. Sie gehen davon aus, dass die Preise der für sie wichtigen Rohstoffe noch weiter sinken. Während 27 Prozent keine Änderung erwarten, rechnen nur 10 Prozent mit einer Erhöhung. Die Ausnahme ist Energie: Für Strom befürchtet knapp die Hälfte, für Öl und Gas gut ein Drittel der Befragten Preissteigerungen.

Rohstoffpreise und -verfügbarkeit bereiten in der diesjährigen Studie nur noch knapp 30 Prozent der Befragten Sorgen. Dagegen fürchten gut 40 Prozent, dass sie ihre Produkte nicht mehr im bisherigen Umfang verkaufen können. 

Im Vergleich zur Studie 2018 zeigt sich eine Umkehr ins Gegenteil: Damals befürchteten knapp 60 Prozent, dass sie nicht alle benötigten Rohstoffe beschaffen können, während sich nur 20 Prozent Gedanken um den Absatz machten.

Was Einkäufer jetzt tun können

Geht der Auftragseingang zurück, hat die Einkaufsabteilung wieder mehr Kapazitäten, um sich mit strategischen Fragen zu befassen. Gleichzeitig steigt bei nachlassenden Umsätzen der Druck, die Kosten zu senken. Einkäufer sollten also strukturiert vorgehen, um Einsparpotenziale zu erkennen. 

Angesichts der oben skizzierten Entwicklung auf den Rohstoffmärkten bietet es sich an, zunächst Vorprodukte mit hohen Rohstoffanteilen zu untersuchen. Mithilfe von Kostenstrukturanalysen lässt sich der konkrete Rohstoffinhalt ermitteln. Dieses Wissen können Einkäufer in Verhandlungen mit ihren Zulieferern gezielt einsetzen. Stellt sich dabei heraus, dass ein Lieferant seinerseits zu hohe Preise für die Rohstoffe zahlt, können beide Parteien gemeinsam profitieren. Bewährte Verfahren, um Preise zu prüfen, sind beispielsweise das Should Costing, die Preisentwicklungsanalyse oder das Linear Performance Pricing. Diese Methoden helfen dabei, Optimierungschancen zu erkennen und ihre Grössenordnung einzuschätzen.

Should Costing

Im Should Costing bewerten Einkäufer zunächst isoliert die einzelnen Kostenfaktoren eines Produkts. Dazu gehören zum Beispiel Rohmaterialien und Komponenten. Ausserdem kommen Arbeitsstunden, Produktionsanlagen, die Montage sowie der Transport dazu, auch Stückzahlen und Durchlaufzeiten werden berücksichtigt. So lässt sich ein Vorprodukt kalkulieren. Mit der Methode lassen sich Einsparungen von zumeist über 10 Prozent erzielen. Should Costing ist besonders erfolgreich in Branchen, in denen komplexe Komponenten zugekauft werden, die wertschöpfungsintensiv sind.

Auch kleine Posten überprüfen

Erfahrungsgemäss geraten kleinere Kostenpositionen und C-Teile in Phasen der Hochkonjunktur aus dem Blick, weil der Einkauf schlicht damit ausgelastet ist, genug Material für die Produktion zu beschaffen. Deswegen bietet es sich jetzt an, alle länger nicht überprüften Verträge und Positionen genauer anzuschauen. Generell lässt sich hier viel bewegen – und zurzeit vielleicht noch etwas mehr, weil viele Lieferanten angesichts der Konjunkturschwäche zu Zugeständnissen bereit sind. 

Zudem sollten Budgets betrachtet werden, die von Fachabteilungen eigenverantwortlich gemanagt werden, wie es etwa in der IT oder im Marketing üblich ist. Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich sind möglich, wenn Fachabteilungen bei indirekten Bedarfen mit dem Einkauf kooperieren.

Linear Performance Pricing

Während Should Costing eher zur Kalkulation komplexer Komponenten eingesetzt wird, lassen sich mit Linear Performance Pricing auch andere Bedarfe untersuchen. Ziel ist es, Preise unter Einbeziehung von Qualitätskriterien vergleichbar zu machen. So wird aus dem Preis und definierten Eigenschaften eines Produkts eine Koordinate entwickelt, die in ein Koordinatensystem eingetragen wird. Werden die Produkte verschiedener Anbieter oder Standorte eingetragen, lässt sich mithilfe einer Regressionsgeraden erkennen, ob und welche Preise ausserhalb des üblichen Rahmens liegen und Ansätze für Reduzierungsmassnahmen bieten.

Lieferketten untersuchen

Die Verfasser von Wirtschaftsprognosen verweisen immer wieder auf die schwelenden Handelskonflikte, die den Abschwung noch verschärfen könnten. Deswegen sollten Einkäufer nicht nur auf Preise schauen, sondern auch ihre Lieferketten überprüfen. Befinden sich Lieferanten in Regionen, die von Zöllen oder Handelssanktionen bedroht sind, kann es sinnvoll sein, Lieferanten aus anderen Gebieten zu qualifizieren und Bedarfe umzuschichten.

Eine grössere Zahl der Teilnehmer der Rohstoffstudie geht bereits diesen Weg: Zwei Drittel der Befragten haben Einkaufsvolumina an andere Lieferanten übertragen oder suchen neue Anbieter.

Mittel für Innovationen nutzen

Da Einsparungen im Einkauf schnell wirksam werden, stehen den Unternehmen dank den getroffenen Maßnahmen neue Mittel zur Verfügung, die sich etwa für Produktinnovationen oder Investitionen in die Digitalisierung verwenden lassen. So trotzen Unternehmen nicht nur der Flaute, sondern stellen sich für die Zukunft gut auf.

Portrait Markus Bergauer

Markus Bergauer

Der promovierte Diplomkaufmann ist Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Inverto. Er ist Experte für Einkaufstransformation, Supply Chain Management sowie für Due Diligence im Einkauf. Bergauer berät überwiegend Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe.