Die «neue Seidenstrasse»: Alternative für Frachtlösungen?
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Die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und China sind nicht erst seit dem Freihandelsabkommen vom 1. Juli 2014 von grosser Bedeutung für die Schweizer Wirtschaft. Betrachtet man die Importe und Exporte von und nach China, so haben sich diese in den letzten zwanzig Jahren beinahe verzehnfacht. Für viele Schweizer Unternehmen ist China nicht nur ein Absatzmarkt, sondern auch ein wichtiger Zulieferer für diverse Wirtschaftsbereiche.
Bis jetzt gelangen die meisten Güter per See- oder Luftfracht in die Schweiz oder nach China. Immer öfter wird in diesem Zusammenhang auch von der sogenannten «neuen Seidenstrasse» gesprochen, um den Transport von Gütern von und nach China zu organisieren. Bei der «neuen Seidenstrasse» im Bahnverkehr handelt es sich um mehrere Strecken (zwei Nordstrecken und eine Südstrecke), die in den letzten zwei Jahrzehnten renoviert, vollendet und ausgebaut wurden.
Das riesige Infrastrukturprojekt wurde vor allem auf Initiative von China vorangetrieben, um die Frachtkapazitäten nach Europa zu erhöhen.
Historie und Entwicklung
Bis 2011 wurden die Strecken von Testzügen befahren, wobei der erste Zug von Peking nach Hamburg diese Linie 2008 eröffnete. In den zwei Folgejahren wurden regelmässig Con-
tainertransporte durchgeführt, die meisten davon in Westrichtung. Erst ab 2014 wurden auch regelmässig Containerzüge Richtung Osten angeboten.
Das Volumen der Frachtkapazität und der Taktfrequenz auf dieser Achse wächst beeindruckend: Zwischen 2017 und 2019 wurde die Anzahl der in beiden Richtungen fahrenden Züge verdoppelt (2017: 3600, 2019: 7000). Bis 2030 werden dank besserer Auslastung der Strecken sowie Eröffnung weiterer Teilstrecken knapp 10 000 Züge pro Jahr verkehren.
Chancen für Unternehmen
Als Alternative zu der See- und Luftfracht bietet die Bahnfracht viele Vorteile. Je nach Warentyp und Marktlage kann die Bahnfracht bis zu viermal günstiger als die teure Luftfracht sein und somit preismässig eine gute Ergänzung zur Seefracht darstellen. Noch interessanter dürfte die Laufzeit der Bahnfracht sein, die gegenüber der Seefracht eine Door-to-door-Laufzeitverbesserung von 15 bis 20 Tagen ausmacht, je nach gewählter Route. Die Laufzeitverbesserung trägt auch zur massgeblichen Reduktion der gebundenen Kapitalkosten bei. Daraus ergibt sich, dass die Bahnfracht eine reale Alternative zu anderen Verkehrsträgern ist und nicht nur eine Ausweichmöglichkeit zwischen See- und Luftfracht bei Terminengpässen darstellt.
Im Vergleich zur See- und Luftfracht sind die Bahnfrachtpreise streckenbezogen eher stabil, was eine bessere Budgetier- und Planbarkeit ermöglicht.
Tatsächlich sind die Preisschwankungen bei anderen Verkehrsträgern nicht immer vorhersehbar, wie aktuell die «IMO2020» bei der Seefracht zeigt. Diese Verordnung ist die erste einer Reihe von Massnahmen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO zur Verringerung der Meeresverschmutzung.
Potenzial für den Export
Wie bei der Seefracht ist das Güteraufkommen bei der Bahn in Westrichtung grösser als dasjenige in Ostrichtung. Dementsprechend werden mehr Züge nach Europa als nach China angeboten. Dies ist im Fall der Seidenstrasse nicht nur auf die Handelsbilanzen der betroffenen Länder, sondern auch auf Engpässe im ostgehenden Verkehr zurückzuführen, die nach und nach gelöst werden. Hierzu zählen die Zollformalitäten sowie der zweimalige Chassis-Wechsel aufgrund der unterschiedlichen Schienenbreiten in den ehemaligen Staaten der UdSSR. Beide Prozedere werden mittlerweile schnell und professionell erledigt.
Mögliche Einschränkungen
Neben der Gesamt(kapital)kostenbetrachtung spielen weitere Faktoren wie Zoll und Zollformalitäten, Sicherheit und Zuverlässigkeit des Transports sowie Verpackungsvorschriften bezüglich der Transportbelastung der Waren eine entscheidende Rolle in der Wahl des Verkehrsträgers.
Einer der traditionellen Engpässe war die Einfuhrverzollung der Güter in China an der Grenze zu Kasachstan (Südroute), zur Mongolei oder zu Russland (Nordrouten). Es brauchte Zeit, damit Bürokratie und gegenwärtige Handelsabkommen (wie das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China) auch in den abgelegenen Regionen Chinas bewältigt beziehungsweise implementiert werden konnten.
Interessant zu wissen ist, dass der Bahnverkehr in Ostrichtung aufgrund der Verzollung in China zwei Tage länger dauert als in Westrichtung.
Bei der Einführung eines regelmässigen Transports mit der Bahn nach China empfiehlt es sich, wenn möglich dieselbe Zollstelle zu wählen, um den Verzollungsprozess in China nach einer Eingewöhnungsphase möglichst schnell und effizient zu halten. Dabei sollten auch die logistischen Gegebenheiten, Fracht- und Kapitalkosten sowie mögliche Subventionen der Provinzen berücksichtigt werden.
Mit dem stetig wachsenden Transportverkehr in beide Richtungen konnte die Laufzeit und somit die Zuverlässigkeit der Route an den kritischen Stellen erprobt und verbessert werden. Eine steigende Frequenz der Streckentransporte erhöht dabei die Sicherheit. Bisher sind keine namhaften Überfälle oder Diebstähle auf den Strecken bekannt. Moderne Technologien ermöglichen eine fortlaufende Überwachung und Kontrolle diverser Parameter.
Transport mit der Bahn
Die Anzahl Umladungen sind bei See- und Bahnfracht in etwa vergleichbar, die Waren werden aber anderen Belastungen ausgesetzt. Die Stösse beim Verlad an den Häfen sind grösser, auf der Schiene können sich kleine, wiederholende Stösse und die konstanten Vibrationen auswirken. In diesem Zusammenhang können Spediteure Messungen zur Verfügung stellen, damit der geeignete Verkehrsträger für die Ware gewählt werden kann. Wie bei der Seefracht sind FCL-Sendungen (Full Container Load) warenschonender als LCL-Sendungen (Less than Container Load).
Was bringt die Zukunft?
Wie wird sich nun diese «neue Seidenstrasse» entwickeln? Betrachtet man die anfangs erwähnte Import- und Exportstatistik, so werden vermutlich nicht weniger Güter zwischen der Schweiz und China verschoben werden. Zudem hat China 2019 für mehrere hundert Produkte die allgemeinen Zölle massiv gesenkt.
Es ist somit davon auszugehen, dass die Volumina der Transporte von und nach China zunehmen, was sich sicher auch auf die Kosten auswirkt und womit auch der Transport per Bahn via Seidenstrasse vermehrt zum Zuge kommt.
Sébastien Bonnefous
Der Autor ist Manager bei der Melioris Einkaufsberatung in Baar, er leitet dort das Beraterteam. Er hat einen Master-Abschluss in Finanzwissenschaften an der Neoma Business School. Er unterstützt mit seinem Fachwissen im Einkauf zahlreiche Schweizer Unternehmen.