Die grossen Risiken lauern in der Zulieferkette

Die grossen Risiken lauern in der Zulieferkette

Publiziert am Autor: Ralph Lehmann, Paul Ammann, Christoph Wilhelm

Versorgungsengpässe, Preiserhöhungen, Qualitätsmängel und Handelsbarrieren verursachen hohe Kosten, unzufriedene Kunden und Imageeinbussen bei inter­national beschaffenden Unternehmen. Dennoch betreibt fast die Hälfte kein systematisches Risikomanagement.

Im April 2019 beantworteten Beschaffungsexperten aus 315 Mitgliedunternehmen des Fachverbandes procure.ch eine Umfrage der Fachhochschule Graubünden und der Berner Fachhochschule zum Thema «Internationales Beschaffungsrisiko-Management». Ziel der Umfrage ist es, zu erkennen, mit welchen Risiken Schweizer Unternehmen bei der Beschaffung von Vorleistungen im Ausland konfrontiert sind und wie sie mit diesen Risiken umgehen (vgl. Kasten «Zur Umfrage»).

Die hohe Zahl der teilnehmenden Unternehmen zeigt die aktuelle Bedeutung des Themas. Schweizer Unternehmen kaufen vermehrt im Ausland ein, um Kosten zu reduzieren. Dadurch erhöhen sich die Risiken der Beschaffung. Solche Risiken machen oft die Kostenvorteile der internationalen Beschaffung wieder zunichte. Entsprechend wichtig scheint es, sie unter Kontrolle zu behalten.

Die grössten Beschaffungsrisiken

Die befragten Beschaffungsexperten wurden gebeten, die Risiken, mit denen sie bei der internationalen Beschaffung konfrontiert sind, anzugeben und diese Risiken nach ihrem Schadenpotenzial und der Eintrittswahrscheinlich zu bewerten. 

Die vorhandenen Beschaffungsrisiken können eingeteilt werden in Risiken mit grosser, mittlerer und kleiner Bedeutung. Zu den grossen Risikopotenzialen gehören wirtschaftliche Risiken wie Konjunkturzyklen, Preiserhöhungen von Lieferanten und Versorgungsengpässe aufgrund der Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten. Betrug, Korruption, unethisches Verhalten und kulturelle Konflikte in der Zulieferkette werden dagegen als eher unbedeutende Risiken eingestuft.

Störungen in internationalen Zulieferketten kommen gemäss den befragten Unternehmen am häufigsten bei Sublieferanten vor. So kann eine Verknappung von Rohstoffen weit vorne in der Zulieferkette eines Unternehmens zu einem Lieferengpass für die eigenen Produkte führen. Zweithäufigste Störquelle sind die direkten Lieferanten. Danach folgen Grenzübergänge, wo Verzögerungen der Zollabwicklung für Probleme in der Lieferkette sorgen können. 

Folgen der Beschaffungsrisiken

Die Folgen des Eintrittes von internationalen Beschaffungsrisiken sind hoch. Sie liegen vor allem in der Entstehung von einmaligen Kosten und Aufwendungen, wenn zum Beispiel eine Bestellung aufgrund einer Falschlieferung erneuert werden muss. Internationale Beschaffungsrisiken können aber auch die Kundenzufriedenheit gefährden, wenn Qualitätsmängel oder Lieferverzögerungen auftreten. Sie können die Kosten langfristig erhöhen, wenn Zölle angehoben werden, und sie können das Image des Unternehmens verschlechtern, wenn Korruptionsfälle in der Zulieferkette auftreten.

Länder, in denen häufig Risiken bei der Beschaffung auftreten, sind gemäss den befragten Unternehmen die Türkei, Indien, Rumänien, China, die baltischen Staaten, Thailand und Grossbritannien. Bezogen auf die Art der beschafften Vorleistungen sehen die Unternehmen die grössten Risiken bei Rohstoffen, elektronischen Bauteilen, Kaufteilen wie Getrieben, mechanischen Modulen, Leiterplatten, elektromechanischen Komponenten, Gussteilen und elektrischen Steuerungen.

Mangelhaftes Beschaffungsrisiko-Management

Im zweiten Teil der Studie werden die Unternehmen danach befragt, wie sie mit internationalen Beschaffungs­risiken umgehen. Dabei zeigt sich ein grosses Entwicklungspotenzial. Fast die Hälfte gibt an, dass das eigene Beschaffungs­risiko-Management mangelhaft sei. Am ausgeprägtesten sei dies bei der Risikoüberwachung und -kontrolle.

Um relevante Beschaffungsrisiken zu identifizieren, machen die meisten Unternehmen Audits bei den ausländischen Lieferanten. Sie nutzen online verfügbare Informa­tionen und Medienberichte, um Risiken in ausländischen Märkten einzuschätzen. Sie analysieren Berichte aus staatlichen Quellen wie dem SECO und sprechen mit anderen Firmen, die in den gleichen Märkten beschaffen. Als grösste Herausforderungen bei der Risikoidentifikation werden die Einschätzung von Risikopotenzialen bei den Sublieferanten, die Einschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit von Beschaffungsrisiken und der Zeitbedarf für die Risikoanalyse genannt. Schwer fällt den befragten Unternehmen zudem die Einschätzung des zeitlichen Eintreffens von Risiken. Zur Kontrolle von internationalen Beschaffungsri­siken vermeiden die Unternehmen Geschäftsbeziehungen in ri­sikoreichen Ländern, sie sichern die Versorgung durch ­Dual-Source-Strategien ab, halten Sicherheitslager, schliessen langfristige Lieferverträge mit Lieferanten ab, sichern die Zahlungskonditionen mit Incoterms und Haftpflicht- und Transportschäden mit Versicherungen ab. Selbst getragen werden vor allem natürliche Risiken, Wechselkursrisiken und das Risiko eines Know-how-Verlustes.

Insgesamt zeigt die Befragung, dass ein systematisches Management von internationalen Beschaffungsrisiken die detaillierte Kenntnis der eigenen Zulieferkette, die Erhebung und Auswertung von aktuellen Marktinformationen und die vorbereitende Entwicklung von Massnahmen zur Risikokontrolle erfordert – die befragten Unternehmen aber häufig die dazu notwendigen Ressourcen nicht aufbringen können. Auf der Basis der vorliegenden Unternehmens­befragung soll deshalb ein Instrument «iBERIMA» entwickelt werden, das das Unternehmen beim internationalen Beschaffungsrisiko-Management einfach und wirkungsvoll unterstützt.


Zur Umfrage
Das Innosuisse-Projekt «Internationales Beschaffungsrisiko-­Management» untersucht, wie Schweizer Unternehmen mit internationalen Beschaffungsrisiken umgehen und entwickelt das Instrument «iBERIMA» zur Kontrolle solcher Risiken. Beteiligt sind der Fachverband procure.ch, die Fachhochschule Graubünden und die Berner Fachhochschule, der Produktions­dienstleister und Global Sourcing Experte Global Sourcing Services AG, die auf Non-Linear Performance Pricing spezialisierte Saphirion AG sowie die Industrieunternehmen Dopag AG, Hamilton Medical AG, Mathys AG, Ruag AG, Telsonic AG und die veratron AG. Die vollständigen Ergebnisse der Unternehmensbefragung sind einsehbar als Webinar unter dem Link: 
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Ralph Lehmann

Ralph Lehmann

Ralph Lehmann ist Professor für International Business an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur. 
 

Paul Ammann

Paul Ammann

Paul Ammann leitet den Forschungsbereich Interna­tional Management der Berner Fachhochschule.
 

Christoph Wilhelm

Christoph Wilhelm

Christoph Wilhelm leitet die GSS AG, einen Produk­tionsdienstleister mit eigenen Produktionsstandorten in China und der Schweiz.