Der weite Weg zur automatisierten Disposition

Der weite Weg zur automatisierten Disposition

Publiziert am Autor: Bernd Reineke

Die Automatisierung schreitet mit dem Industrie-4.0 -Trend zunehmend voran. Gerade deshalb verwundert es, dass die Automatisierung in administrativen Bereichen, wie beispielsweise der Disposition, nicht weiter fortgeschritten ist. Denn auch in der Disposition ist die Nutzung smarter Daten möglich.

Noch nie wurden in Unternehmen so viele Daten erzeugt – und leider so wenig damit getan. Aber wie macht man aus «Big Data» dann smarte Daten? Am «Herz» eines jeden Unternehmens – der Disposition – sollen Lösungsansätze aufgezeigt werden. 

Die wesentliche Herausforderung, und damit der entscheidende Schlüssel zur «Disposition 4.0», liegt in der intelligenten Auswertung der ungeheuren Datenmengen, die in heutigen ERP-Systemen aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Prozesse vorliegen und laufend weiter anwachsen.

Automatisierte Hilfe für Einkäufer und Disponenten?

Heerscharen von Einkäufern, Disponenten und Fertigungssteuerern kämpfen täglich – teils gemeinsam und teils auch konträr – darum, Aufträge und Bestellungen zu platzieren und durch die Unternehmen zu jonglieren. Doch lassen sich Aufgaben, mit denen diese qualifizierten Menschen bereits hadern, tatsächlich automatisieren? 

Die Antwort heisst «Ja, aber ...». Pfannenfertige Lösungen, beispielsweise in Form eines ERP-Moduls, existieren so noch nicht. Den heutigen ERP-Systemen fehlt es an grundlegender Funktionalität, um Planungsprozesse zu automatisieren, beispielsweise Regelwerke, Entscheidungsbäume, Kennzahlen und Algorithmen. 

Wer sich dennoch auf den Weg zur Disposition 4.0 begeben will, muss diese Lücken anders schliessen. Dazu bieten sich spezielle Zusatzmodule oder AddOn-Syteme für das Advanced Planning & Scheduling an. Damit hat man dann das notwendige Werkzeug an der Hand – aber noch lange nicht die ersehnte Lösung. 

Erst die Befüllung dieser Systeme mit Regeln und Kennzahlen bringt den gewünschten Erfolg. Im übertragenen Sinne reichen Sensoren und Schalter nicht aus, um eine Steuerung zu automatisieren. Erst die Definition der Regel, die bei einem bestimmten Messwert des Sensors den Schalter entsprechend ansteuert, ergibt den gewünschten Automatismus.

Was braucht eine Dispo 4.0?

In der «Disposition 4.0» geht es also darum, Regeln zu definieren und in der Systemwelt abzubilden. Allein die Frage, ob ein Material lagerhaltig sein soll oder nicht, hängt von vielen Eigenschaften und Kennzahlen ab: Ist es ein A-, B- oder C-Material? Kann es innerhalb der zum Kunden versprochenen Lieferzeit beschafft werden? Handelt es sich möglicherweise um ein Auslaufteil? Wird das Material regelmässig benötigt oder eher sporadisch? Bestehen besondere Kundenvereinbarungen zu diesem Material? Und so weiter. So entsteht also eine Reihe von Regeln, die sehr schnell zu einem komplexen Regelwerk anwachsen.

Es wird schnell klar, dass technische Lösungen allein nicht ausreichen. Erst die Abbildung der Regeln und Entscheidungsbäume haucht den Systemen Leben ein. Dazu ist natürlich das Know-how erforderlich, das in den Köpfen der Planer und Disponenten steckt. Aber auch Zielvorgaben des Managements wie beispielsweise die Lieferbereitschaft oder die zulässige Bestandshöhe sind erforderlich. Erfahrungsgemäss packt man die Themen im Rahmen eines Projektes an, das am besten von der Unternehmensleitung initiiert und überwacht wird. Dabei holt man alle Beteiligten an einen Tisch und erarbeitet gemeinsam die zukünftigen Strategien und Regeln. 

Damit dieses Projekt auch zum Erfolg führt, ist die Kenntnis der Möglichkeiten der ERP-Systeme sowie spezialisierter Dispo-Systeme erforderlich. In der Regel ist dieses Know-how in Unternehmen nicht vorhanden, was bedeutet, dass externer Rat einzuholen ist. 

Den Menschen nicht vergessen

Schlussendlich ist eine fertige Lösung, die in der Systemwelt implementiert ist, noch kein Garant für den Erfolg. Auch die im Prozess Beteiligten sind auf die neuen Prozesse vorzubereiten. Für diese bedeutet es, Tätigkeiten abzugeben und neue Aufgaben zu übernehmen. Der Wechsel von operativen Tätigkeiten hin zu einem regelmässigen Logistikcontrolling und konzeptionellen Aufgaben bedeutet einen grossen Wandel. Damit dieser von allen getragen wird, sind spezielle Schulungen und Coaching nötig. Damit lässt sich der Paradigmenwechsel am besten unterstützen. 

Es sind also viele Schritte auf dem Weg zur Disposition 4.0. Dass es sich lohnt, zeigen die Ergebnisse vieler unserer Projekte: Die Planungsqualität steigt, der operative Aufwand geht zurück, die Kennzahlen entwickeln sich in Richtung Zielwerte. Das ist aber nur der erste Schritt.

Ist die Disposition 4.0 erst einmal mit all ihren Regelwerken und Algorithmen aufgebaut, kann man im zweiten Schritt die Produktions- und Feinplanung mittels künstlicher Intelligenz optimieren. Produktivität, Termintreue und Durchsatz lassen sich damit in einer Art und Weise optimieren, wie sie Menschen und alternative PP/DS-Lösungen nicht finden können. Für Kunden ist das natürlich überaus erfreulich, denn damit ergibt sich nicht nur eine bessere Kapazitätsauslastung, erhöhte Termintreue und grösserer Durchsatz, sondern auch ein drastisch geringerer Planungsaufwand.

Endlich Zeit für übergeordnete Ziele

Auch mit Blick auf dispositive Einkaufsentscheidungen kann man durch «Disposition 4.0» letztlich immense Kosten einsparen, da sich für alle Standardbedarfe auch automatisierte Bestellungen generieren lassen. 

Disponenten haben in der Folge mehr Zeit, übergeordnete Unternehmensziele zu verfolgen, für die sonst im Tagesgeschäft regelmässig keine Zeit bleibt. Eine wichtige Aufgabenstellung ist beispielsweise, fokussiert an Lagerumschlaghäufigkeiten zu arbeiten und dafür strategische Lieferantengespräche zu führen, um Bestände zu reduzieren und Kapital freizusetzen. Ähnlich komplexe Aufgabenstellungen ergeben sich auch in Richtung Absatzprognose unter Integration des Vertriebs inklusive Sonderbedarfsplanung. 

In verflochtenen Unternehmensverbünden an der Transparenz der Bedarfe zu arbeiten, ist eine weitere, strategisch extrem wichtige Aufgabe. Dies, weil Sekundärbedarfe der einen Konzerntochter die Primärbedarfe der anderen sind. Solche Aufgabenstellungen sollten ebenfalls durch passende Tools automatisiert werden und sollten nicht erst über eine manuelle Bestellung mit Auftragseingang in das zuliefernde ERP-System einfliessen. Letztlich ist es das Ziel, über alle ERP-Systeme hinweg eine einzige global virtuelle Fabrik zu disponieren, denn nur die leistungsfähigsten Supply Chains werden langfristig im globalen Wettbewerb gewinnen. 

Bernd Reineke

Der promovierte Maschinenbauingenieur ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Abels & Kemmner GmbH, die sich mit der Straffung von Wertschöpfungsketten bei Produktions- und Handelsunternehmen beschäftigt – von den Lieferanten bis zu den Kunden.