Der letzte Schliff für Einkaufsprofis

Der letzte Schliff für Einkaufsprofis

Publiziert am Autor: Maximilian Lindner

Um ihren Glanz zu verstärken und die optischen Effekte hervorzuheben, erhalten Schmucksteine einen Schliff. Die Qualität des Schliffes ist mitentscheidend für den späteren Wert des Steines. Ein Diamant benötigt mindestens 56 davon, bis er vollkommen ist. Jede zwischenmenschliche Erfahrung, die wir als Einkaufsprofis machen, formt uns gleichermassen. Ein optimaler Schliff entscheidet auch in unserer Zunft über Erfolg oder Misserfolg. Besinnen wir uns also auf unsere Soft Skills und lassen wir sie in den Einkauf einfliessen.

Alle Einkaufsprofis wissen eigentlich, wie wichtig sie ist, aber die wenigsten wenden sie erfolgreich an – die zielorientierte Vermarktung der Einkaufsabteilung, oder schlicht Einkaufsmarketing. Hier spreche ich nicht nur von der internen Vermarktung der Einkaufsabteilung, sondern auch von der externen Vermarktung derselben. 

Wir stehen ständig im Dialog mit Lieferanten, Partnern und Fachabteilungen – den internen Kunden. Wikipedia würde sagen: «Das Beziehungsmarketing oder englisch Relationship Marketing widmet sich dem Auf- und Ausbau langfristiger Kundenbeziehungen. Es verfolgt das Ziel, mehr Kunden, zufriedene Kunden und profitable Kunden für ein Unternehmen oder eine Marke zu gewinnen.» Wenn Sie sich jetzt fragen, was der Einkauf mit Kunden zu tun hat, lesen Sie weiter – auch der Einkauf hat Kunden!

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Eine häufig gestellte Frage ist, wie man die Einkaufsabteilung frühzeitig ins Rennen bringt, sie ihr gesamtes Potenzial erfolgreich in Beschaffungsprojekten, Ausschreibungen oder der Lieferantenauswahl einbringen und auch entfalten kann.

Die Einkaufsabteilung bildet das kommerzielle Gewissen eines jeden Unternehmens. Je mehr Projekte frühzeitig über die Einkaufsabteilung abgewickelt werden, desto mehr kann die P&L-Berechnung (Profit and Loss) aufpoliert werden. Häufig wird 
der Einkauf leider erst ganz am Schluss konsultiert. Ich behaupte das ist nur noch das Einsammeln der Kollekte, nachdem die Fachabteilung und der neue Lieferant schon vor dem Traualtar waren.

Hochqualifizierte Einkäufer hat heutzutage so gut wie jede Einkaufsabteilung vorzuweisen, die im Stall stehen, um auf Lieferanten losgelassen zu werden. Weit gefehlt, das ist genau der falsche Ansatz. Einkäufer müssen immer dort sein, wo der Geld-, Material- oder Informationsfluss ist. Dort, wo die Wertschöpfung passiert – entweder im eigenen Betrieb oder in den Räumlichkeiten der Lieferanten und Partner. Die meisten Einkäufer besitzen einen bunten Blumenstrauss an Hard Skills. Die richtigen Werkzeuge, die richtigen Taktiken, die richtigen Analysemethoden sind jedem ausgebildeten Einkäufer bestens bekannt und werden auch täglich angewandt. 

Wissen heisst nicht erkennen

Was aber häufig fehlt, sind die nötigen Soft Skills eines modernen Einkäufers. Frage: Welche methodischen-, sozialen- oder personalen Kompetenzen sollten moderne Einkäufer besitzen? Sind es nicht genau die gleichen, die wir auch ausserhalb unserer Geschäftstätigkeit benötigen?! Ein alter Arbeitskollege von mir hat es mal sehr treffend formuliert – «Einkaufen ist das neue Verkaufen». Das klingt im ersten Moment widerspruchsvoll, bei genauer Betrachtung der Aussage ist es aber das völlig korrekte Verständnis eines modernen Einkäufers. 

Wenn man berücksichtigt, dass die Budgets, für die die Einkaufsabteilung die Verantwortung übernehmen, aus den internen Fachabteilung stammen, muss der Einkauf dafür sorgen, das nötige Vertrauen zu wecken. Nur so gelingt es, die Fachabteilung – unsere Auftraggeber – davon zu überzeugen, dass der Einkauf genau der richtige Partner ist, eine bedürfnisgerechte und kostenoptimale Beschaffung durchzuführen. Letztlich sind wir Einkäufer dafür verantwortlich, unsere internen Kunden davon zu überzeugen, dass sie ihr Budget in unsere Obhut geben und der Einkauf es nach bestem Wissen und Gewissen verwalten wird. 

Wie innen, so aussen

Eine ähnliche Situation finden wir Einkäufer auch bei unseren Lieferanten vor. Wir brauchen auch draussen auf dem Markt die nötigen Soft Skills, die uns dabei helfen, noch erfolgsorientierter zu verhandeln und das Optimum für unsere Auftraggeber zu erreichen. Hierzu möchte ich gerne eine kleine Liste der wichtigsten Attribute aufzählen (Aufzählung nicht abschliessend).

Eine Reihenfolge im Sinne einer Rangfolge gibt es bei den Soft Skills nicht. Es ist eine Frage der Erfahrung, die richtige Fähigkeit für die aktuelle Situation zu wählen. Dafür benötigt der Einkäufer ein selbstsicheres Verhalten in den oft unerwartet auftretenden Situationen. Einige wichtige Fähigkeiten, die im Umgang mit Geschäftspartnern besonders häufig gefragt sind, haben sich immer wieder hervorgehoben.

Zeit, alte Gewohnheiten abzustreifen!

Worauf ist zu achten? Die traditionelle Rolle des Einkäufers der alten Garde ist längst überholt und sollte in den Unternehmungen lieber heute als morgen entstaubt werden. Ein moderner Einkäufer tritt in die aktive und nicht in die passive Rolle. Er ist nicht der Verwalter, sondern der Jäger. Immer auf der Suche nach Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten der gesamten Wertschöpfungskette. Er ist Kommunikator, der in Interaktion tritt, nicht verschwiegen und zurückhaltend. Er spricht als Challenger auch herausfordernde Themen der Supply Chain proaktiv an und fordert seine interne Crew immer wieder heraus, Prozesse neu zu gestalten. 

Hierbei orientiert er sich immer an der Einkaufsstrategie und kann sich bestenfalls an einer im Team gemeinsam kreierten Einkaufsvision orientieren. «Wir denken mit und sind das Eingangstor, wo Grosses beginnt …» Der Pionier – der Einkauf ist Brückenbauer, nicht nur intern, sondern auch in Richtung der Lieferanten. Er ist intern sowie extern bestens vernetzt und betrachtet sich selbst als Unternehmer im eigenen Unternehmen – hier denke ich immer an den «Spend Entrepreneur», der mit seiner unternehmerischen Denkweise und Art immer wieder neue Ideen bringt und die mehrdimensionalen Spannungsfelder elegant und charismatisch orchestriert. 

Weiche Fähigkeiten sind gefragt?

Besinnen wir uns auf unsere Erlebnisse und Erfahrungen. Ja, genau, die bereits erwähnten einzelnen Schliffe, die wir im Leben erfahren durften. Methodische Kompetenzen wie Selbstmanagement, Zielorientierung oder Problemlösungskompetenz bringen den Einkäufer in die Rolle des Unternehmers, der Chancen sieht und ergreift. Persönliche Kompetenzen wie Neugier, Leidenschaft und Selbstmotivation sorgen dafür, dass wir versuchen, uns und die Umgebung der Supply Chain fortlaufend herauszufordern. Wir sind dadurch immer hungrig nach Chancen und Potenzialen. 

Soziale Kompetenzen wie Empathie, Kritikfähigkeit und Kommunikationsfähigkeit sind aus Sicht der Gesellschaft die wichtigsten. Sie sind der Garant dafür, dass wir in einer Gruppe, einem Unternehmen oder einem Spannungsfeld erst wahrgenommen werden. Sie sorgen dafür, dass wir als Einkaufsabteilung eine Bindungskraft ausstrahlen.

Der Diamant entsteht nur unter sehr grossem Druck, danach erhält er seine Schliffe. Er steht immerzu im Spannungsfeld verschiedener interner und externer Anspruchsgruppen, die alle für sich nur das Beste beanspruchen. Um dieser grossen Herausforderung gewachsen zu sein, braucht der moderne Einkäufer mehr als nur ausgeklügelte Werkzeuge, Analysemethoden und Strategien. Hier braucht man die Fähigkeiten der weichen Faktoren und Nerven wie Drahtseile. 

Maximilian Lindner

Der strategische Einkäufer arbeitet bei der CKW Gruppe. Seit 2013 ist er Prüfungsexperte für Supply Chain Management, Verhandlungsführung und Volkswirtschaftslehre bei procure.ch.