Der frühe Vogel fängt den Wurm?
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Die Schweiz hat bereits im Februar 2019 ein Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich abgeschlossen. «Vorlage» dafür war das Abkommen mit der EU aus dem Jahr 1972. Grosse Teile des neuen Abkommens sind also quasi eine Kopie eines veralteten bilateralen Abkommens zwischen der Schweiz und der EU.
Die neue Vereinbarung hat, analog dem Abkommen mit der EU, diverse Lücken. So beinhaltet sie, unter anderem, weder ein Dienstleistungsabkommen noch einen umfassenden Schutz des geistigen Eigentums. Dazu kommt nun erschwerend, dass die EU mit den Briten wesentlich besser verhandelt hat. Deren neues, vorläufig gültiges Abkommen ist zwar noch im Entwurfsmodus, nicht wenige Passagen gehen dennoch ganz klar zulasten der Schweizer Warenexporteure.
Hiesige Unternehmen leiden
Die EU hat mit den Engländern inhaltlich wesentlich bessere Ursprungsregeln (sogenannte Listenkriterien) vereinbart als die Schweiz. Dieses Abkommen basiert allem Anschein nach, zumindest teilweise auf dem revidierten PEM-Übereinkommen (Pan-Europa- Mittelmeer-Präferenzursprungsregeln) sowie wesentlich moderneren Abkommen der EU.
Die Schweiz wendet das PEM-Übereinkommen zwar ebenso an, hat es jedoch nicht als Grundlage für die Verhandlungen genommen. Dies obwohl seit längerem bekannt ist, dass dessen Ursprungsregeln neu verhandelt sowie massiv vereinfacht wurden und voraussichtlich bereits ab Juli 2021 angewendet werden. Das Paket untersteht nur noch dem fakultativen Referendum. Des Weiteren sind im Abkommen der EU wesentlich einfachere Mechanismen im Einsatz, um den Ursprungsnachweis zu erbringen. Auch das ergänzend vereinfachte Importverfahren in England («Simplified Frontier Declaration») gilt nur für die EU, nicht jedoch für die Schweiz.
Weitere Erschwernisse
«Unser» Abkommen mit England sieht aktuell keine Kumulationsmöglichkeit mit EU-Vormaterialien vor. So ist unter anderem folgende Passage festgehalten: «Die Vertragsparteien anerkennen das Bestreben, die bestehenden Rechte und Pflichten zwischen ihnen aufrechtzuerhalten und dass vorgesehen ist, dass das Vereinigte Königreich und die EU ein Präferenzabkommen gemäss Artikel XXXIV des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1994 abschliessen.» Auf diesen Punkt hat die Schweiz sehr früh hingewiesen.
All das bedeutet, dass hiesige Unternehmen, sobald sie nach England exportieren, aufgrund des Schweizer Abkommens mit Mehraufwänden rechnen müssen. Eine Kumulation von Waren beziehungsweise Vormaterialien aus der EU bei der Ausfuhr nach England ist nicht mehr möglich.
Business Case Export
Die Firma Maschinen AG in Kloten exportiert seit Jahren Maschinenersatzteile nach England. Die Maschinenteile werden in der EU hergestellt. Die Ware verfügt über «Präferenzursprung EU». Bisher konnte die Firma diese Ware, dank dem Freihandelsabkommen mit der EU, zollfrei nach England liefern. Neu wird es komplizierter. Da die Ware EU-Ursprung hat, kann die Warenlieferung nicht mehr zollbegünstigt erfolgen mangels Kumulationsmöglichkeiten.
Für die selbst hergestellten Maschinen entstehen neue Herausforderungen: Einerseits müssen strengere Listenregeln erfüllt werden, als dies die EU-Mitbewerber tun müssen, andererseits kommt dazu, dass die Vormaterialien der EU wie oben aufgeführt auch nicht mehr kumuliert werden können. Dies führt dazu, dass in etlichen Fällen kein Ursprungsnachweis mehr erstellt werden und dadurch auch keine Zollbegünstigung mehr möglich ist. Dabei gilt der Verlust der Ursprungseigenschaft auch rückwirkend (wenn die Vormaterialien vor Brexit mit Präferenz angeliefert wurden).
Für Ware mit Herkunft England ist dank dem Abkommen weiterhin eine
Präferenz möglich, zumindest beim Import. Diese Präferenzmöglichkeit gilt jedoch ausschliesslich für Produkte, die die Listenregeln des Abkommens erfüllen. Werden beispielsweise in England Vormaterialien aus der EU verwendet, ist genauer zu prüfen, ob die Ursprungseigenschaft wirklich korrekt ist. Importeure sind gut beraten, Ursprungsnachweise von englischen Lieferanten zu prüfen.
Die fehlende Kumulationsmöglichkeit wird sich insbesondere auch auf irische Unternehmen auswirken, weil EU-Waren über das Vereinigte Königreich auf den irischen Markt geliefert werden. Sollte die Auslegung des Abkommens von den Zollbehörden des Vereinigten Königreichs und der EU tatsächlich bestätigt werden, müssen irische Unternehmen dessen Auswirkungen auf die Zölle überprüfen und ihre Lieferketten wohl neu organisieren oder nach anderen praktikablen Lösungen suchen.
Der Lichtblick
Obwohl massives Optimierungspotenzial herrscht – es muss erwähnt werden, dass die Schweizer Delegation in einigen Punkten auch vorausschauend verhandelt hat. So ist beispielsweise für die Ursprungseigenschaft von Transitware eine Übergangsfrist vorgesehen, während der in der EU gelagerte Ware, die unbearbeitet ist, zurück in die Schweiz geholt werden kann.
England jedenfalls hat seine Zollansätze für unzählige Produkte massgebend liberalisiert, analog den laufenden Debatten der Schweiz zum Thema Abschaffung von Industriezöllen. Es bleibt zu hoffen, dass hauptsächlich Produkte nach England exportiert werden, die «von Natur aus» zum Verbleib in England bestimmt sind und für die bei der Einfuhr keine Zölle anfallen.
Prüfen Sie unbedingt den englischen Zolltarif, bevor Sie überhaupt erst die Ursprungskalkulation anfassen. Vielleicht wird diese dank Nullzollansatz hinfällig.
Fazit
Insbesondere Schweizer Exporteure haben die Auswirkungen zu spüren. Sei es durch den Wegfall der EU-Verzollung, neue Produktezertifizierungen oder die nicht vorteilhaften Ursprungskriterien.
Etliche Delegationen des UK haben bereits sehr früh in der «Brexit-Agenda» die Schweiz besucht, um zu rekognoszieren, wie ein bilaterales Abkommen mit der EU aussehen könnte. Das UK hat sich anschliessend gegen den Schweizer Weg entschieden, dabei aber mit der Schweiz zumindest einen einfachen Pakt geschlossen.
«Der frühe Vogel fängt den Wurm» – bedeutet ja, dass jemand, der mit einer Sache rechtzeitig beginnt oder früh an einem Ort erscheint, den Zuschlag bekommt oder das Maximale aus einer Situation herausholen kann. Im vorliegenden Fall ist die Frage allerdings berechtigt, ob das Abkommen nicht zu voreilig abgeschlossen wurde und ob der Verhandlungsspielraum wirklich ausgeschöpft wurde.
Claudia Feusi
Die Autorin ist Aussenhandelsexpertin sowie Geschäftsführerin von ZFEB Customs & Trade Consultants.