Der Einkäufer 4.0 als Superheld?

Der Einkäufer 4.0 als Superheld?

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In Zeiten sich stark wandelnder Anforderungen an den Einkauf steigt die Bedeutung nachhaltiger Mitarbeiterentwicklung und generalüberholter Anreizsysteme. Der Faktor Mensch darf im Digitalisierungsrennen nicht vernachlässigt werden.

Entschied sich der Kampf «Mensch gegen Maschine» bereits am 11. Mai 1997? An diesem Tag verlor Schachweltmeister Garry Kasparow gegen Deep Blue, den von IBM entwickelten Supercomputer. Für Pessimisten Grund genug, die künftige Herrschaft der Maschinen zu beschwören. 

Keine Frage – traditionelle Beschaffer sind eine aussterbende Spezies. Künftig ist der facettenreiche Geist des Allrounders gefragt. Nur so kann der Einkäufer seine Existenzberechtigung sicherstellen – und digitalisiert sich nicht selbst weg. 

4.0 schürt Hoffnung und Angst 

Einkaufsexperten und Manager debattieren schon lange nicht mehr nur darüber, ob und wo genau Digitalisierung im Einkauf stattfindet. Man sucht Lösungen. Unternehmen, unabhängig von Branche und Grösse, begannen schon vor Jahren damit, ihre operativen und neuerdings auch strategischen Einkaufstätigkeiten zu automatisieren. Hinter Schlagworten wie «Zero-Touch» oder «Katalogbestellungen» verbergen sich frühe Initiativen mit dem Ziel, bei einzelnen Bestellvorgängen die Kosten zu senken. Heutige Bemühungen gehen weit über das standardisierte und vollautomatisierte Verarbeiten von Bestellungen hinaus. Dabei schüren sie Hoffnung und Ängste gleichermassen. 

Themen, die bis vor kurzem noch als «menschliches Monopol» galten, stehen auf einmal auch zur Disposition. Humanizing Machines, Smart Advisors und Robotic Process Automation sind nur einige der Technologien, die den Einkäufer zunehmend an seinem Arbeitsplatz begleiten. Oder möglicherweise gar verdrängen? 

Strategisches Sourcing 

In der Realität zeigt sich häufig, dass nicht nur die am Markt verfügbare Technologie, sondern auch der Reifegrad der jeweiligen Organisation das Potenzial des innovativen Fortschritts erheblich einschränken. 

Beleuchten wir an dieser Stelle beispielhaft das strategische Sourcing: Viele Einkaufsorganisationen konzentrieren sich bei der Einführung neuer Tools zunächst überwiegend darauf, Sourcing-Vorgänge zu strukturieren und zu standardisieren. 

Häufig geht die Initiative von den zunehmend wichtiger werdenden Compliance-Officers aus. Die Ergebnisse solcher Einführungsprojekte sind jedoch meist ernüchternd. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich in den e-Sourcing-Suiten häufig ungenutzte Schätze in Form von zahlreichen Ausschreibungsdaten verbergen, die leider aufgrund mangelnder Struktur oder Funktionalität nicht im Sinne einer vollautomatisierten, end-to-end Smart-Analytics-Auswertung (zum Beispiel für Benchmarks, Reports) erhoben werden können. Oft bleibt auch die Quote der e-Sourcing-Vorgänge oder auch die Prozesstiefe (beispielsweise bei Nachverhandlungen oder Vergaben) weit hinter den Erwartungen zurück. 

Konkurrenz durch digitale Agenten

Ein möglicher Ansatzpunkt, der nicht nur Besserung verspricht, sondern sogar als nächster Hype gehandelt wird, sind sogenannte «Bots». Diese digitalen Agenten, die einst lediglich dazu konzipiert waren, den Einkäufer von monotonen Aufgaben zu entlasten oder einen amüsanten, menschlichen Gesprächspartner im Internet Relay Chat zu mimen, gewinnen zunehmend an technologischer Reife. Zunehmend erschreckend? 

Wird der Einkäufer in seinem natürlichen Arbeitsraum von dieser neuen, exotischen Spezies etwa überholt werden? Ausgestattet mit zunehmende komplexeren Fähigkeiten (sie sind lernfähig, können sprechen und komplexe Fragen beantworten), sollen Bots den Einkäufern im digitalen Prozessdschungel mit Rat, Tat und Benchmarks zur Seite stehen. 

Und es geht gar noch eindrucksvoller: Auch so anspruchsvolle Tätigkeiten wie beispielsweise das Onboarding von Lieferanten könnten sie ganz für sich vereinnahmen. So rückt nun auch die Automatisierung kompletter Vertragsverhandlungen ohne zwischenmenschliche Interaktion in erreichbare Nähe. Die Kritik an einem veralteten Rollenverständnis des Einkäufers und somit auch überholten Kompetenz-Modell wird immer lauter. 

Überholtes Rollenverständnis?

Operative Aufgaben, die früher noch den Grossteil einer Einkaufsorganisation ausmachten, wurden automatisiert oder ausgelagert. Repetitive Prozesse werden verstärkt mittels Software Bots autonomisiert. Blieben da ja eigentlich noch konzeptionelle und strategische Tätigkeiten, die nur das menschliche Gehirn und notwendige zwischenmenschliche Einfühlvermögen meistern können sollten. Doch auch hier macht sich der befremdliche Maschinenmensch immer breiter. 

Die Schlüsselfrage lautet folglich, welche neuen Kernfähigkeiten der Einkäufer entwickeln muss, damit die digitale Transformation nicht zu seiner Existenzfrage wird.

Die Talente des Einkäufers 4.0 

Das steigende Qualifikationsniveau des Einkäufers stellt nicht nur diesen vor neue Herausforderungen, sondern auch das Management und dessen mittel- und langfristige Personalplanung und -rekrutierung. Laut einer globalen CPO-Umfrage von Deloitte klagen 62 Prozent der Befragten über fehlende Einkaufskompetenzen.

Gleichzeitig wird jedoch immer weniger in Trainings, um ebendiese neuen (digitalen) Skills aufzubauen. Auch müssen sich Einkaufsleiter die Frage stellen, wie eine generalüberholte Incentivierung die Akzeptanz sowie Anpassung seiner Mitarbeitenden an den digitalen Wandel – und somit auch die Zukunft des Einkaufs sichern kann. War früher beispielsweise die variable Vergütung bei 

Einkäufern stark an den Erfolg der eigenen Organisationseinheit gekoppelt, so erscheinen in heutigen Zeiten der bereichsübergreifenden Zusammenarbeit entlang einer flexibel agierenden, digitalen Supply Chain solch eindimensionale Silo-Ziele antiquiert.

Vielmehr werden solche Kompetenzen erfolgskritisch. Entlang der gesamten Lieferkette, die sich um neue Allianzen zentrieren und die Prozess- und Marktintelligenz des Einkäufers hervorheben. Paradoxerweise bleiben persönliche Beziehungen gerade in Zeiten von Robotics und agilen, undurchdringbaren Wertschöpfungsgeflechten wichtig.

Einkäufer müssen Werte schaffen 

Die Erwartung an den Wertbeitrag des Einkaufs zur vierten industriellen Revolution wächst. So taufen manche den CPO von morgen «Chief Value Officer», denn er ist zugleich Informationsbroker und Datenanalytiker, muss komplexe Auswertungen in Echtzeit liefern und – mit zusätzlichem Produkt- und technischem Verständnis im Gepäck – mit neusten Schlüsseltechnologien spielend umgehen können. 

Er hat seine Glaskugel stets dabei, um den Anforderungen an Predictive Procurement gerecht zu werden und Innovationen vorausschauend zu scouten und ins Unternehmen zu bringen. Das traditionelle Bild des Beschaffers weicht dem facettenreichen Geist des Allrounders. 

Magdalene Piec

Die Autorin ist Procurement Senior Consultant bei der Detecon (Schweiz) AG. Ihre Leidenschaft gilt dabei eProcurement Tools. Ihren Master of Science in International Business erwarb sie an der Maastricht University.

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