Dem Einkäufer ist seine Funktion ein Karrierehindernis
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Der Einkauf ist in den letzten 20 Jahren zu einer autonomen Funktion gewachsen. Viele Unternehmen bauen jedoch noch immer an den Grundpfeilern für ein funktionierendes Beschaffungswesen: Transparenz, Stakeholdereinfluss und Source-to-Pay-Prozesse. Da dem Einkauf genau in diesen Bereichen Jahresziele gesetzt werden, prägt sich so ein Bild unserer Funktion.
Erstens: Liebevoll und überspitzt ausgedrückt kann der Einkauf als sadistische Spassbremse gesehen werden. Versehen mit der Lizenz, im Namen der Firma einen Vertrag vergeben zu dürfen, quält er die Lieferanten mit TCO-Excelsheets und ringt ihnen Preisreduktionen ab. Am Schluss darf er, einem römischen Imperator gleich, den Daumen hochhalten und einem der Anbieter das Leben schenken. Der Einkauf hat intern wie extern eine Polizeifunktion. Intern büsst er die Organisation bei Nichtberücksichtigung von Prozessen oder von präferierten Dienstleistern. Extern erspäht der erfahrene Einkäufer mit Luchsaugen jeden Versuch eines Lieferanten, mehr Marge in sein Angebot zu schmuggeln, und droht diesem sogleich mit dem «Armageddon» aller Geschäftsbeziehungen, der Neuausschreibung!
Zweitens: Das Beschaffungswesen findet erst seit Kurzem auch als respektierte und institutionalisierte «Hochschuldisziplin» statt. Davon können vor allem die Millennials profitieren. Einkaufsprofis der Generationen X und Y sind noch oft eher in den Einkauf reingerutscht oder einst bewusst dort «geparkt» worden.
Drittens: Das Procurement liest Income Statements immer von unten nach oben und kümmert sich mehr um Reduktion und Disziplin als um Kreativität und Wachstum. Würde ein Verwaltungsrat einen CPO zum CEO wählen, käme dies vermutlich aus einer drastischen und vorübergehenden Kostensparmassnahme heraus, oder aus der Überlegung, dass nur eine Partnerschaft eine Krise überwinden könnte. Beides sind eher unwahrscheinliche Szenarien. Wachstum (Sales, Marketing), Disziplin (CFO) oder Veränderung (CSO) sind die typischeren Wahlen für eine Geschäftsführungsposition.
Natürlich ist das Image des Einkaufs vor allem bei Unternehmen mit einem höheren Reifegrad (in puncto Beschaffung) weitaus besser. Denn Einkäufer teilen KPIs mit anderen Funktionen, verwenden Werkzeuge der Digitalisierung, fördern «bring your own device» oder «working from home» und praktizieren ein modernes Win-win-Demand-Management. Doch auch heute noch ist der Ruf, der dem Einkauf schon immer vorausgeeilt ist, ihm ein Klotz am Bein. Und das wird sich auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht ändern.
Wir können doch viel mehr!
Insgeheim können wir Einkäufer von der unglaublichen Fülle unserer Erfahrungen zehren. Erfahrungsgemäss haben diese paradoxerweise in unseren Organisationen aber nur beschränkt Gewicht. Zum Beispiel bei einem versuchten Karrierewechsel eines Einkäufers in eine andere Disziplin. Dabei gibt es nur wenige Funktionen, die sich so intim mit allen übrigen Funktionen beschäftigen, wie der Einkauf. Einkäufer üben sich schon früh im Perspektivenwechsel, um sich unter anderem mit den Kernzielen von Marketing (Brand Management, ROMI) oder auch Supply Chain (cost per km, OSA, OTIF) zu identifizieren.
Erfolg im Einkauf fusst auf zwischenmenschlichem Talent, Anpassungsvermögen, einer Prise Spieltheorie, einem raffinierten und umfassenden Businessverständnis sowie auf Vertragsrecht. Man kann den Einkauf auch als «Haut der Organisation» betrachten, über die sie mit anderen Unternehmen in Berührung kommt. Nicht zu vergessen: Der Einkauf ist eine der erfolgreichsten Quellen für Innovation und Wettbewerbsvorteil durch Partnerschaften. Diese Schule müsste eigentlich geeignete «Allround-Führungskräfte» hervorbringen. Doch hier siegt das Klischee noch über die Realität. Das «General Management» zieht einen «Vertriebler» oder «Finanzler» vor. Die Einsicht, dass unsere Funktion ein substanzielles Potenzial birgt, ist zwar erbauend, aber von begrenztem Nutzen. Es ist für einen Einkäufer also umso wichtiger, was er aus seiner Person und seiner individuellen Erfahrung macht.
Karriereplanung vor dem Einkaufshintergrund
Ein gesundes Karrierewachstum im Einkauf kann dreierlei bedeuten: andere Bereiche/Kategorien (horizontal), mehr Bereiche (vertikal) und Wechsel über den Einkauf hinaus (funktional). Bei Anstellungsentscheiden für kritische Rollen haben Stakeholder oft einen grossen Einfluss. Das lässt mich zu folgenden Empfehlungen für eine Karriereplanung innerhalb einer Organisation kommen:
Suchen Sie den Kontakt mit Ihren Stakeholdern, und erzeugen Sie Situationen, in denen Ihre internen Klienten Sie über Ihre RFP-Fähigkeiten hinweg als Businesspartner kennenlernen können. Zeigen Sie Interesse am Erfolg der gesamten Firma. Nehmen Sie an Abteilungs- und Teamsitzungen Ihrer Stakeholder teil. Legen Sie dort die Einkäuferrolle ab. Bauen Sie sich so interne Sponsoren, Referenzen und ein Netzwerk auf.
Führen Sie die Revolution mit Eleganz. Bewegen Sie etwas. Gehen Sie gegen den Strich. Legen Sie sich mit «heiligen Kühen» an. Aber was auch immer Sie tun, vermeiden Sie Verbissenheit aus einer professionellen Deformation heraus. Erzeugen Sie keine «Alles oder nichts» Changemanagementszenarien. Akzeptieren Sie, dass Sie so quantitative Ziele nicht in einem Schritt erreichen werden, wohl aber für die Organisation einen wesentlichen Mehrwert schaffen. Akzeptieren Sie Kompromisse, hören Sie mehr zu als zu sprechen. So nutzen Sie das Moment Ihrer Stakeholder zu Ihrem eigenen Vorteil.
Lassen Sie sich auf Jahresziele ein, die Sie für den CEO relevant machen. Persönlich würde ich ausschliesslich den Kostengruppenverantwortlichen quantitative Budgetreduktionsziele setzen und den Einkauf jährlich einem qualitativen «360-Grad-Bewertungsprozess» durch Stakeholder unterziehen (was für CFOs widersprüchlich erscheinen mag). Sollte es monetäre Ziele geben, stellen Sie sicher, dass diese mit denen Ihrer Stakeholder übereinstimmen. Da Sie als Einkaufsverantwortlicher der primäre Kontakt zum Supply-Market sind, unterstützen Sie Ihren CEO so beispielsweise durch Innovation im Packaging, besseres ROMI im Marketing oder kürzere Vorlaufzeit für NPD.
Für alle, die in fünf Jahren über den Einkauf hinausgewachsen sein wollen, sind dies Beispiele notwendiger Massnahmen, um signifikanten Karrierefortschritt zu machen. Es gibt aber selbstredend genauso interessante Karriereziele innerhalb des Einkaufs. Auch auf diese sollte man sich – insbesondere da Routineausschreibungen und Bestellwesen Automatisierungspotenzial bergen – nicht weniger strukturiert vorbereiten
Christopher Kayatz
Christopher Kayatz befasst sich seit 2003 mit Procurement in Unternehmen wie McKinsey & Company, Carlsberg oder Chain IQ in Schweden, den USA, Grossbritannien und der Schweiz. Er beschäftigt sich heute mit Machine Learning und Supply-Chain-Optimierung und lebt mit seiner Familie in London.