Das Beschaffungswesen von morgen

Das Beschaffungswesen von morgen

Publiziert am Autor: Martin Arnold

Einkaufsorganisationen haben heute extrem unterschiedliche Reifegrade. Die Adaption neuer Möglichkeiten in Organisation und Digitalisierung wird sehr heterogen umgesetzt. Grösste Einsparungen sind durch digitale Transformation möglich.

Der Einkauf präsentiert sich heute heterogener denn je. Die letzten zehn Jahre haben einen massiven Schub an Möglichkeiten gebracht, den Einkauf zu verschlanken, zu beschleunigen, zu digitalisieren und direkt mit dem Business zu verzahnen.

Erstaunlicherweise ist die Annahme dieser Möglichkeiten bei Firmen äusserst unterschiedlich erfolgt. Dies führt zu einer grossen Bandbreite an Reifegraden von Einkaufsorganisationen. Waren vor 10 bis 15 Jahren fast alle Einkaufsorganisationen von manueller, repetitiver, administrativer Tätigkeit geprägt, so finden wir heute immer noch sehr viele Unternehmen, die auf diesem Stand verharren. Dies ist insbesondere im Mittelstand – auch dem grösseren Mittelstand mit über einer Umsatzmilliarde – wie auch in familiengeführten Unternehmen der Fall. Auf der anderen Seite sind die Global Player technologisch und organisatorisch davongeeilt. Das heisst, viele globale Konzerne haben neue Technologien wie auch Organisationsprinzipien eingeführt und sind – zumindest teilweise –auf dem Niveau von World-Class-Procurement-Organisationen angekommen. Diese Tatsache hat die Arbeitswelten im Einkauf bereits massiv geprägt. Eine rigorose Wertschöpfungsanlayse hat beispielsweise dazu geführt, dass nur noch High-Value-Adding-Aktivitäten von teuren Ressourcen in der Unternehmenszentrale wahrgenommen werden. Die low-value activities dagegen sind in sogenannte Procurement-Shared-Service-Center (PSC) in Niedriglohnländer ausgegliedert worden. 

Das Ende des Einkaufsallrounders

Der «Einkaufsallrounder», wie er früher sehr beliebt war, ist anderen Profilen gewichen. Etwa dem Einkaufsingenieur, der bereits früh im Produktentwicklungsprozess eingebunden ist und dort den Einkauf vertritt. Somit sollen strukturell vermeidbare Kosten gar nicht erst entstehen. Auf der anderen Seite stehen deutlich niedriger bezahlte Shared-Services-Mitarbeitende, die – wie schon seit Jahren – Rechnungseingänge administrieren, und darüber hinaus einfache Ausschreibungen durchführen, Verträge überprüfen oder Einkaufstickets bearbeiten.

Wo liegt der grösste Hebel?

Die grössten Umwälzungen in der Arbeitswelt des Einkaufes werden jedoch der IT zugeschrieben. Wenn einfaches Preisnachverhandeln ein Kostensenkungspotenzial von zwei bis fünf Prozent hat und die Einrichtung von PSCs einen Kostensenkungseffekt von 20 Prozent, so hat der Einsatz eines Einkaufsingenieurs ein Kosteneinsparungspotenzial von bis zu 50 Prozent. Ein voll digitalisierter Einkauf dagegen hat ein Potenzial im dreistelligen Bereich, da hier fehlerfrei, schnell und komplett digital vernetzt mit der Lieferantenkette beziehungsweise dem einzelnen Lieferanten (auch im Long-Tail-Bereich) gearbeitet werden kann. Dies haben die Produktion und teilweise das SCM schon vorgelebt.

Somit haben intelligente Technologien wie maschinelles Lernen, künstliche Intelligenz und kognitive Funktionen das Potenzial, Beschaffungsvorgänge intelligenter und einfacher als je zuvor zu machen. Beschaffungsorganisationen, die diese Technologien einsetzen, können transaktionsbezogene Aktivitäten wesentlich schneller, kostengünstiger und genauer ausführen. Und was noch wichtiger ist: Sie können intelligentere, fundiertere Entscheidungen treffen und ihre Aufgaben effizienter, teamorientierter und mehr auf Daten gestützt ausführen – das Ergebnis: Wertschöpfung für das Unternehmen, die über die reine Kos­teneinsparung hinausgeht.

Praktische Beispiele der Digitalisierung

Durch den Einsatz von intelligenten Technologien und Software können Unternehmen Erkenntnisse aus Beschaffungsdaten und unstrukturierten Informationen kombinieren, um die Kundennachfrage und die Marktanforderungen vorherzusagen und effektiver darauf zu reagieren. Ausserdem können sie damit Menschen und Informationen auf beispiellose Weise miteinander vernetzen, was das Einkaufen und Verkaufen grundlegend verändern wird. So kann man beispielsweise mit einem digitalen Beschaffungsassistenten, der mit Funktionen für maschinelles Lernen kombiniert ist, die Bezugsquellenfindung völlig neu gestalten: Dieser Assistent hilft bei Aufgaben wie dem Definieren des richtigen Ausschreibungstyps, dem Identifizieren geeigneter Lieferanten auf der Grundlage von Warenkategorie, Region oder Branche und der Gewinnung von Informationen über Marktsignale und Preisrahmen, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

Auch die Vertragserstellung kann intelligenter und detaillierter erfolgen: mit Anwendungen, die automatisch relevante Konditionen in Übereinstimmung mit Klauselbibliotheken und Taxonomien identifizieren, ähnliche Vertragsbedingungen für spezifische Waren auf der Grundlage von Benchmark-Daten nach Branche oder Region finden und optimale Richtpreise basierend auf dem erwarteten Volumen sowie vertragsbezogene Rabatte vorschlagen. 

Augmented Procurement

Die neuen Technologien haben der intelligenten Beschaffung den Weg geebnet, und Unternehmen, die das erkennen und handeln, können ihre Wertschöpfung spürbar steigern. Aber das erfordert Veränderungen. Die Beschaffungsabteilung muss völlig neu betrachten, was sie tut und wie sie es tut und den Wandel in der Arbeitswelt aktiv gestalten. Beschaffungsexperten müssen sich mit den Teams in den anderen Geschäftsfunktionen enger abstimmen und brauchen dazu umfassende Analyseinformationen. Dazu sind Kompetenzen in Data Science und Analysen, Risikomanagement und Kooperation gefragt. Vielleicht werden wir in den nächsten Jahren vermehrt das Augmented Procurement sehen, also einen volltechnisierten Einkauf, bei dem der menschliche Faktor eher im Design und in der Überwachung liegt als in der Exekution.

 


Drei Hebel zur Einkaufstransformation

Jedes Unternehmen geht seinen eigenen Weg zur Digitalisierung der Beschaffung. Aber der erste Schritt ist immer die Prozessautomatisierung. Die drei wichtigsten Hebel sind Folgende:

  1. Beginnen Sie mit der Digitalisierung von Prozessen wie Bezugsquellenfindung, Bestellwesen und Fakturierung. Das allein kann schon durchschnittlich 10 bis 15 % an Einsparungen bringen.
  2. Nutzen Sie intelligente Technologien, die es Ihnen ermöglichen, Ihre Daten tiefgehend zu analysieren und anhand der Ergebnisse fundiertere Entscheidungen zu treffen. Das ermöglicht weitere 5 bis 15 % Einsparungen. 
  3. Wenn Sie die Effizienz und Effektivität einberechnen, die die Digitalisierung bringt, ist die erreichte Steigerung sogar noch höher. 

 

Martin Arnold

Martin Arnold

Der Autor verfasste 2001 bereits seine MBA-Thesis im Bereich elektronischer Geschäftsnetzwerke. Anschliessend hielt er verschiedene Positionen im Einkauf und Verkauf inne und begleitete zahlreiche Projekte zur Einkaufsoptimierung namhafter Global Player und Mittelständler in Europa. Seit 2010 ist er als Senior Director für SAP Ariba im Bereich Business Development tätig und für die Region DACH zuständig.