COVID-19: Optimal Verhandeln in Krisenzeiten

COVID-19: Optimal Verhandeln in Krisenzeiten

Publiziert am Autor: Christoph Krüger

Die momentan wütende globale gesundheitliche Krise wird auch stark veränderte Anforderungen an uns Verhandler stellen. Sie werden zeitlich nachgelagert sein, doch wird es wieder um Ketten gehen. Kämpfen wir jetzt um die Unterbrechung von Infektionsketten, so geht es dann um die Stabilisierung von Lieferketten.

Was das weltweite Herunterfahren der Wirtschaft konkret für uns bedeuten wird, ist nicht abzusehen, denn es ist eine Situation, wie wir sie noch nie erlebt haben. Ganz wesentlich wird sein, wie lange diese unwirklich anmutende Lähmung dauert, wie tief die Einschnitte sind und wie gut es den Staaten gelingen wird, ihre jeweilige Wirtschaft zu stützen. 

Eines jedoch ist schon heute gewiss – es wird fundamental neues Handeln und damit auch «neues Verhandeln» gefordert sein.

Risikomanagement

Die jetzige Situation offenbart, wie verletzlich nicht nur wir Menschen, sondern auch die von uns geschaffenen Strukturen sind. Und sie führt vor Augen, wie wichtig ein gutes Risikomanagement ist. Doch stossen wir mit unserer Fähigkeit zu einem sachlich-rationalen Risikomanagement an sehr enge Grenzen.

Unser Gehirn ist nämlich für eben genau das, wofür wir es hier gebrauchen wollen, nicht geschaffen – als Ort der Rationalität. Jede Information, die in unser Gehirn gelangt, passiert zunächst die Amygdala, das Mandelkernchen im limbischen System. Sie ist unser Alarmzentrum und für Grundemotionen, allen voran Angst, zuständig. Bevor eine Information in das verarbeitende Hirnareal weitergeleitet wird, wird sie in der Amygdala emotional bewertet. Insgesamt lässt sich feststellen, dass es nicht die Aufgabe des menschlichen Gehirns ist, rationale Entscheidungen zu treffen, sondern unser Überleben zu sichern.

Auf der Suche nach rationalen Ergebnissen spielt uns unser Gehirn so manches Mal einen Streich. 

Ein Beispiel zu Thema Risikoeinschätzung? Wo fühlen wir uns sicher – nachts alleine im Wald oder zu Hause im Kreise unserer Familie? Wo passieren Verbrechen – nachts im Wald oder im Kreise der Familie? Wir stellen fest, damit es nachts im Wald gefährlich wird, müssen wir schon unsere Familie mitnehmen.

Beim Risikomanagement geht es zumeist um Zahlen. Jedoch ist unser Gehirn sehr schlecht im Umgang mit Zahlen. Auch hierzu ein Beispiel: Wohl jeder kennt die Parship-Werbung – «alle 15 Minuten verliebt sich ein Single auf Parship!». Viele melden sich ob dieser Aussichten hurtig an. Doch rechnen wir nach: Parship hat, nach eigenen Angaben, rund 5,2 Millionen Mitglieder. Findet sich alle 15 Minuten ein Paar, so bedeutet dies, dass es im statistischen Durchschnitt 74 Jahre, 2 Monate und 12 Tage dauert, bis man sich bei Parship verliebt. Was glauben Sie, welche Werbewirkung der Slogan «bei Parship dauert es im Schnitt 74 Jahre, 2 Monate und 12 Tage, bis Sie sich verlieben» ausüben würde?

Wenn unser Gehirn mit Zahlen konfrontiert wird, dann geht es nicht um Rechnen, Kalkulieren und Abwägen, sondern um Vergleichen. Je nachdem, was als Vergleich herangezogen wird, kommt es bei demselben Sachverhalt meist zu gravierenden Abweichungen unter den Teilnehmenden in Trainings, die bei unterstelltem rationalem Abwägen unerklärlich wären.

Jedoch sind wir Menschen Meister darin, emotionale Entscheidungen a posteriori rational zu begründen, und halten so den Mythos Rationalität aufrecht. Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus? Ist Risikomanagement per se unsinnig? Keinesfalls! Vielmehr betont es noch dessen Notwendigkeit als Werkzeug, um zumindest mehr rationale Elemente in Verhandlungen zu bringen. Es ist lediglich ein Appell, uns selbst und unsere Ergebnisse im Risikomanagement kritisch zu hinterfragen.

Nachhaltigkeit

Der Begriff Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft und meint, dass man nur so viel aus dem Wald herausnehmen soll, als in gleicher Zeit nachwachsen kann.

Dieses Bild passt auch gut auf Verhandlungen, entnehmen doch viele Verhandler dem Pool konstant mehr (Optionen), als nachwachsen kann.

Konnte man sich in vielen Branchen diesen Raubbau in guten Zeiten erlauben, so wird künftig ein kritischer Erfolgsfaktor sein, ob man über stabile Lieferketten verfügt. Das kann zum einen bedeuten, Lieferanten, die dringend benötigt werden, bewusst und aktiv am Leben zu erhalten, wie es nach der Finanzkrise 2008/09 vor allem in der Automobilbranche notwendig war. Zum anderen wird es bedeuten, dort, wo die Liefermärkte durch Insolvenzen dünner geworden sind, mit nun deutlich stärkeren Verhandlungspartnern klarzukommen.

Diese neuen Anforderungen werden die Einkäufer aber nicht davon entbinden, wirtschaftliche Abschlüsse, die idealerweise besser sind als die der Wettbewerber, zu erreichen.
Diesem Mix an Anforderungen wird man kaum mit den alten Rezepten erfolgreich begegnen können, vielmehr verlangt er nach «neuem Verhandeln».

Erfolgsfaktoren in Verhandlungen

In der Folge des Mythos Rationalität sind ausgefeilte Argumentationstechniken en vogue. Jedoch geht es nicht darum, das Gegenüber zu überreden, sondern zu gewinnen. Wertschätzende Kommunikation ist hier das weitaus schärfere Schwert. Doch solange in Verhandlungen Floskeln wie «Sie müssen zugeben» oder «So dürfen Sie das nicht sehen» sowie  «So können Sie das nicht sagen» zum Standardprogramm gehören, obsiegt die grobe Keule. Unter dem Slogan «Geben Sie nie etwas, ohne etwas zu erhalten»  gehen geübte Verhandler in den Schützengraben. Die Hirnforschung lehrt uns jedoch, dass kleine, unerwartete Gaben ohne Erwartung einer direkten Gegenleistung die weitaus grössere Wirkung erzielen.

Total Cost gilt mittlerweile als alter Hut, doch in Verhandlungen ist der Fokus noch immer oft auf dem Preis anstatt auf Kosten. Hier umzudenken birgt grosses Potenzial und wird eine schlichte Notwendigkeit werden.

Und wenn es dann, nach dieser Vorarbeit zu guter Letzt doch noch darum geht, ein bisschen mehr vom dann gewachsenen Kuchen zu bekommen, bieten neurowissenschaftliche Erkenntnisse weit wirkungsvollere Werkzeuge, ohne verbrannte Erde zu hinterlassen.


Neues Seminar

Ist unser Gehirn der Fels der Vernunft in der Brandung der Verhandlungen oder das Irrlicht, das uns stranden lässt? Entscheidungen werden im Gehirn getroffen. Umso mehr gilt es, bei unseren Verhandlungen diese Zentrale zu verstehen und gezielt zu nutzen. Wie? Das lernen Sie im neuen Seminar «Entscheidungen im Gehirn» mit Christoph Krüger, das am 10. Juni entweder wie geplant vor Ort in Zürich oder dann online stattfindet.

Entscheidungen im Gehirn 


 

Christoph Krüger

Der Autor war Einkaufsleiter in zwei internationalen Konzernen. Heute arbeitet er als Unternehmensberater, Verhandlungstrainer und Coach. Er lebt bei Heidelberg und bildet Verhandler in Europa, Afrika und Asien aus.