Corona als ultimativer Härtetest

Corona als ultimativer Härtetest

Publiziert am Autor: Tibor Bütler

Auch für die Fertigung von Medizingeräteneinsetzbar: Schweissroboter bei Aartech.

Die Pandemie zeigt eindrücklich, wie abhängig die Schweiz von ausländischen Lieferanten ist. Gerade darum setzen global ausgerichtete Konzerne vermehrt auf flexible Schweizer Nischenanbieter, die ihre hohen Anforderungen auch in Krisenzeiten garantieren können. Ein Rückblick auf das Coronajahr aus Sicht eines Aargauer Medizintechnik- und Energietechnik-Zulieferers.

Als sich die erste Coronawelle letzten März mit enormer Geschwindigkeit über Europa ausbreitete, waren wir bei Aartech davon überzeugt, dass bald unsere Telefone heisslaufen würden und wir mit neuen Bestellungen für Medizintechnikteile, zum Beispiel für Analyse- und Beatmungsgeräte, überhäuft werden würden. 
Die Ausgangslage schien perfekt zu sein, wir hatten langjährige Erfahrung in der Fertigung und Montage von kompletten Medizintechnikgeräten, genügend Kapazitäten in der Produktion, ein erfahrenes Team und eine sehr wettbewerbsfähige, globale Lieferantenstruktur. 

Während im Frühling der ungebremste Hype um Beatmungsgeräte, Schutzausrüstung und Desinfektionsstationen beinahe groteske Auswüchse erreichte, brach bei uns genauso wie bei vielen anderen Medtech-Firmen ein Grossteil des Umsatzes weg. 

Neue Investitionen und Inbetriebnahmen in Spitälern wurden um Monate verschoben oder ganz abgebrochen, weil weltweit ein Grossteil der Gesundheitsinfrastruktur auf Notbetrieb umgestellt wurde und dadurch die Patienten und Kapazitäten fehlten.  

Ohne Strom kein Beatmungsgerät

Die Versorgungssicherheit wurde zentral. Das merkten wir bei unseren Kunden aus der Energietechnik, die mit ihren Kraftwerken und Verteilsystemen auch in Krisenzeiten eine gesicherte Stromversorgung garantieren müssen, denn ohne Strom laufen weder Beatmungsgeräte noch medizinische Analysesysteme. 
Es war uns daher eine grosse Hilfe, dass wir als Mitglied von Swiss Medtech und dank einer vorausschauenden, risikobasierten Planung und Materialwirtschaft jederzeit unseren Kunden, Mitarbeitenden und Lieferanten Sicherheit und Stabilität garantieren und weltweit dringend benötigte Ersatzteile liefern konnten.   

Risiko von globalen Lieferketten

Gerade die letzten Monate zeigten schonungslos auf, wie anfällig globale Lieferketten auf Störfaktoren reagieren und wie sehr die Schweiz vom Ausland abhängig ist. Sei es, weil fertige Produkte aus Asien oder Rohstoffe aus den USA blockiert sind oder ganze Fabriken aufgrund von Quarantänemassnahmen stillgelegt werden müssen.  Zudem wurden vielerorts die Lagerbestände auf ein Minimum reduziert oder ganz aufgelöst, was in solchen Ausnahmefällen dramatische Auswirkungen haben kann. Dies führte dazu, dass praktisch über Nacht die komplexe weltweite Fertigungs- und Lieferlogistik von medizinischen Investitionsgütern heruntergefahren werden musste.

Bei industriellen Zulieferern wie Aartech machte sich bemerkbar, dass Kunden Liefertermine teilweise bis zu einem Jahr verschoben und dadurch ganze Teams in der Komponentenfertigung und Systemmontage nicht mehr voll ausgelastet waren.
Unsere Erfahrungen im Servicegeschäft und die gute Beziehung zu unseren Lieferanten halfen uns sehr, sofort die Aufträge umzuplanen und gleichzeitig die Kosten tief zu halten sowie die Lieferfähigkeit jederzeit sicherzustellen.    
So galt es, über den Frühling und Sommer hinweg einen guten Mix zwischen Schutzmassnahmen, Risikomanagement, Kurzarbeit und Make-or-Buy-Entscheiden zu finden, der Monat für Monat neu austariert werden musste.  

Vorteil starker Partnerschaften

Eine der grössten Herausforderungen war, trotz deutlich kleineren Mengen die Kosten und damit die Verkaufspreise stabil halten zu können und die Lieferzeiten bei gleichzeitig angespannter Logistik auf einem akzeptablen Niveau zu stabilisieren. 
Dies gelang nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen Kunden, Projektleitung, Einkauf und den strategisch wichtigen Lieferanten. Gerade hier zahlen sich langjährige Partnerschaften in der Schweiz und im europäischen Raum aus, wenn rasch zuverlässige Lösungen gefunden und umgesetzt werden müssen. Wo früher Qualifizierungen mit Kunden und Lieferanten persönlich stattfanden, erwiesen sich nun Video Meetings über mehrere Kontinente hinweg als effizient.

Stabilisierende Rahmenbedingungen 

Glücklicherweise bietet die Schweiz kleinen und grossen Industrieunternehmen solide Rahmenbedingungen und mit den begleitenden Massnahmen wie der erweiterten Kurzarbeit, den Covid-19-Überbrückungskrediten und einem flexiblen Arbeitsmarkt die richtige Unterstützung, um ohne existenzgefährdende Verluste durch die Krise zu kommen. 

Gerade solche Krisen sollten als Chance genutzt werden, das Geschäftsmodell auf den Prüfstand zu stellen, die Fertigungs- und Beschaffungsstrategien zu prüfen sowie sich über den aktuellen Stand des Kundenportfolios und der Qualität der Kundenbeziehung Gedanken zu machen. 

Uns hat das spezielle Jahr geholfen, neue Kunden und zusätzliche Projekte zu gewinnen, mit welchen wir uns zukünftig weiterentwickeln können.  

Das Jahr nach der Pandemie

Mit den gestarteten Impfkampagnen flackert langsam die erste Hoffnung auf für eine Abnahme der Fallzahlen und damit eine wirtschaftliche Erholung. Wie zart dieses junge Pflänzchen jedoch noch ist, zeigt sich unter anderem an der noch zaghaften Investitionsfreudigkeit vieler Unternehmen und der noch immer hohen Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern.  

Die globalen Spekulationen auf Rohstoffe sowie potenzielle Liefersperren tragen ebenso dazu bei, dass sich Rohmaterialien wie zum Beispiel Kupfer, Nickel, Silber oder seltene Erden massiv verteuern oder nur mit sehr langen Lieferzeiten beschaffbar sind.

Viele Entwicklungs- und Outsourcing-Projekte kommen noch immer nur schleppend voran, weil klar zu budgetierende Zahlen und teilweise der Mut zu etwas mehr Risiko und Innovation fehlen.  

Dabei wäre gerade jetzt die ideale Gelegenheit, sich auf die eigenen Kernkompetenzen zu fokussieren und die freien Ressourcen in leistungsfähige und konkurrenzfähige Schweizer Liefernetzte zu investieren. Dies könnte ein wichtiger Anschub für die Schweizer Wirtschaft sein und zu einem nachhaltigen Wachstum führen sowie gleichzeitig die Versorgungssicherheit langfristig sicherstellen.

Tibor Bütler

Tibor Bütler aus Lupfig ist seit 2017 Leiter Verkauf, Marketing und Einkauf bei Aartech GmbH. Das Unternehmen aus Kleindöttingen entstand aus der Nachfolgeorganisation der ABB Schweiz und ist ein industrieller Outsourcing-Partner für die Energietechnik, die Medizintechnik sowie die Hightech-Industrie.