Change Management im Einkauf – procure.ch

Change Management im Einkauf

Publiziert am Autorin: Belinda Stiefenhofer

Was tun, wenn der Umsatz stagniert oder gar sinkt? Wenn der Kostendruck steigt, Lieferengpässe auftreten oder dringend Liquidität für Investitionen benötigt wird? Viele Unternehmen kommen zum Schluss, dass ein professioneller Einkauf notwendig ist. Doch welche Form der Einkaufsorganisation entspricht ihren Bedürfnissen am besten und bringt den grösstmöglichen Wertbeitrag? Und wie kann eine solche Organisation erfolgreich implementiert werden? Dies ist ein Erfahrungsbericht aus mehreren Change-Management-Positionen im Einkauf in unterschiedlichen Branchen.

Definition «Einkauf»

Da es keine offizielle, einheitliche Definition von «Einkauf» gibt, ist der Interpretationsspielraum gross. Gerade in Unternehmen, in denen der Einkauf einen geringen Reifegrad hat, werden die vielfältigen und wichtigen Leistungen des Einkaufs oft nicht in vollem Umfang erkannt. Um ein klares Verständnis mit den internen Stakeholdern – insbesondere der Geschäftsleitung – sicherzustellen, ist es sinnvoll, eine einheitliche Sprachregelung zu schaffen. Als Vorschlag und zur Vereinfachung besteht der Einkauf aus zwei Bereichen: der strategischen Beschaffung und dem operativen Einkauf. Die strategische Beschaffung zielt auf die
langfristige Wertschöpfung des Unternehmens ab. Hier sind Themen wie Ausschreibungen, Vertragsmanagement, Risikomanagement, Lieferantenmanagement, TCO (Total Cost of Ownership), Warengruppenmanagement verankert. Der operative Einkauf befasst sich mit der kurzfristigen Wertschöpfung in Form von Angebotsvergleichen sowie der operativen Umsetzung des Einkaufs durch die Sicherstellung des P2P-Prozesses.

Am Anfang steht die Unternehmensstrategie

Die Einkaufsstrategie ist immer eine direkte Ableitung der Unternehmensstrategie. Daher ist es wichtig, die langfristige Vision und die mittelfristige Mission zu verstehen, um den Einkauf entsprechend ausrichten zu können. Es sind die strategischen Eckpfeiler wie zum Beispiel Wachstumsabsichten, Diversifikation des Portfolios, Innovationswille, Compliance etc., die einen grossen Einfluss auf die Ausrichtung des Einkaufs haben. Daraus ergibt sich eine auf das spezifische Unternehmen angepasste, zukunftsgerichtete Einkaufsstrategie. 

Ausrichtung der Geschäftsleitung 

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das Management. Es ist wichtig, zu verstehen, wie strategisch das Management ausgerichtet ist und wie hoch das Verständnis und die Unterstützung für die neue Einkaufsstrategie sind. Und wie hoch der Mut, das Vertrauen und die Ausdauer sind, sich vollumfänglich auf das Change Management einzulassen und ein «Tal der Tränen» gemeinsam konsequent zu durchschreiten. Ohne die vollständige Unterstützung des Managements können kleinere Anpassungen vorgenommen werden, ein umfassendes Change Management ist jedoch kaum möglich. Daher ist die Unterstützung und kontinuierliche Abstimmung mit dem Management einer der Schlüssel zum Erfolg.

Vom SOLL zum IST zum SOLL

Um einen Massnahmenplan zur Erreichung des SOLL zu erstellen, ist eine Bewertung der Business Cases, der bestehenden Einkaufsorganisation sowie deren Prozesse notwendig.

Evaluation der Business Cases

Es sollte festgestellt werden, welche verschiedenen Business Cases im Unternehmen
existieren und ob diese Business Cases der Unternehmensstrategie entsprechen oder
ob sie sich mittel- bis langfristig verändern werden. In diesem Fall bedeutet ein Business Case eine Definition der verschiedenen Arten von Einkäufen, die getätigt werden. Ein Beispiel aus dem Handel: Es kann zwischen Direkt (Handelswaren) und Indirekt (Unterstützungsgüter, alle Dienstleistungen und Investitionen) unterschieden werden. Obwohl es im Direktbereich völlig unterschiedliche Warengruppen gibt, ist die Art, wie man einkauft, sehr vergleichbar. Im Indirekten wiederum werden Investitionen anders beschafft als IT-Lizenzverträge oder Beratungsleistungen. Die Verschiedenartigkeit der Business Cases führt also zu der Schlussfolgerung, welche Kompetenzen im Einkauf benötigt werden. Wenn dies noch mit Zahlen über die zu erwartende Häufigkeit pro Business Case untermauert werden kann, erlaubt dies ein gutes Verständnis über die Anzahl der benötigten Einkäuferinnen und Einkäufer sowie deren operative bzw. strategische Ausrichtung.

Evaluation der bestehenden Einkaufsorganisation

Interviews mit den derzeitigen Einkäuferinnen und Einkäufern können einen guten Überblick über ihre Schwerpunktbereiche geben. Es ist auch wichtig, zu verstehen, welchen Werdegang sie mitbringen, wie vielfältig ihre Einkaufserfahrungen sind und welche Arten von Einkäufen sie getätigt haben. Anhand konkreter Beispiele lässt sich gut ableiten, ob die benötigte Erfahrung vorhanden ist bzw. inwieweit die vorhandene Erfahrung von den SOLL-Kompetenzen abweicht. Bei einer Abweichung kann zusätzlich abgeleitet werden, wie lernwillig und lernfähig die Einkaufsmitarbeitenden sind, um den SOLL-Zustand zu erreichen. Ein Blick auf die verfügbaren KPIs hilft bei der Einschätzung, ob die Fokusbereiche mit Zahlen untermauert werden können.

Evaluation der bestehenden Einkaufsprozesse

Natürlich wird vom Einkauf Effizienz erwartet. Dazu sollte die Arbeitsweise der Einkäuferinnen und Einkäufer genauer betrachtet werden, um zu verstehen, ob die eigenen Verantwortlichkeiten und Schnittstellen zu anderen Organisationen klar definiert sind, ob Prozesse hinterfragt und optimiert werden, ob Tools verstanden und
effizient eingesetzt werden. Sollte dies nicht der Fall sein, kann davon ausgegangen werden, dass durch Prozessoptimierungen und mögliche Investitionen in E-Sourcing-Tools eine Produktivitätssteigerung erreicht werden kann und dies in die Überlegungen zu den benötigten Einkaufsspezialisten einfliessen muss.

Massnahmenplan

Mit der Einkaufsstrategie wurde der SOLL-Zustand definiert. Durch die Evaluationen wurde festgestellt, wie viele Personen mit welchen Kompetenzen dafür benötigt werden und ob allfällige prozessuale oder technische Anpassungen  notwendig sind. Nun gilt es, zu evaluieren, wie allfällige GAPs geschlossen werden können.

Prozessoptimierungen / e-Tools

Prozesse sollten optimiert und Schnittstellenthemen gelöst werden. Darüber hinaus sollte abgeschätzt werden, welche zusätzliche Produktivität durch E-Tools generiert werden kann und entsprechende konkrete Umsetzungspläne für einen Realitätscheck hinsichtlich Kosten und Machbarkeit eingeholt werden.

Einkaufsorganisation

Es ist kritisch zu hinterfragen, inwieweit die bestehende Einkaufsorganisation die Neuausrichtung mittragen kann und will. Gegebenenfalls sollte in ein intensives Coaching oder eine Weiterbildung der Einkaufsmitarbeitenden investiert werden. Sollte eine Restrukturierung notwendig sein, um den SOLL-Zustand zu erreichen, kann über eine temporäre Unterstützung durch externe Einkaufsprofis nachgedacht werden, die nach Abschluss der Arbeiten das Team wieder verlassen werden. Sollte die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die SOLL-Erwartungen nicht erfüllt werden können, so erfordert dies den höchsten Grad an Change Management und sollte mit grösstmöglicher Transparenz mit dem Management besprochen werden.

Interne Stakeholder

Je höher der Grad des Change Managements, desto grösser sind die Auswirkungen auf andere Unternehmensbereiche. Daher ist eine transparente und kontinuierliche Kommunikation wichtig, damit bereichsübergreifend verstanden wird, warum der Einkauf sich verändert und wie er in Zukunft aussehen wird. 

Lieferanten 

Auch die Lieferanten werden erkennen, wenn ein Unternehmen in einen professionellen Einkauf investiert. Es werden andere Erwartungen geäussert, striktere Massnahmen ergriffen. Auch hier bedarf es der Unterstützung des Managements, denn oft sind festgefahrene Lieferanten-/Einkäuferstrukturen  erkennbar, die aufgebrochen werden müssen.

Fazit 

Eine an der Unternehmensstrategie ausgerichtete Einkaufsstrategie, ein starkes und abgestimmtes Management, eine an der Einkaufsstrategie ausgerichtete Einkaufsorganisation und eine kontinuierliche interne Kommunikation sind die Schlüssel für ein erfolgreiches Change Management im Einkauf. Damit der Einkauf als Business Partner den höchstmöglichen Wertbeitrag für das Unternehmen leisten kann. 

Belinda Stiefenhofer

Belinda Stiefenhofer ist passionierte Einkaufsleiterin bei der Thales Suisse SA mit 20 Jahren Erfahrung in Industrie und Handel, hauptsächlich in Change-Management-Positionen. Im Vorstand bei procure.ch ist es ihr Ziel, die vielfältigen Vorteile des Einkaufs aufzuzeigen.

belinda.stiefenhofer@thalesgroup.com

Themen und Schlagwörter