Brückenbauer aus Leidenschaft
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Herr Forster, Sie sind Unternehmer und bauen digitale Ökosysteme auf Plattformbasis. Unter anderem auch für Einkaufsprofis. Davor waren Sie zwanzig Jahre lang einer der Top-Headhunter der Schweiz. Kaum einer hat mehr CEOs «beschafft» als Sie. Wieso dieser Wechsel?
Es hat mir viel Freude bereitet, die richtigen Menschen für die passende Position zu finden. Doch nach der Vertragsunterschrift war jeweils Schluss und mein Werk getan. Es ist ein wenig wie beim Brückenbau. Eine Brücke stellt immer eine Lösung dar, ist ein Weg, der über Hindernisse hinwegführt. Als Headhunter ist man nur bis zur Fertigstellung der Planung am «Bauwerk» beteiligt. Bauen tun es andere. Als Unternehmer bietet sich mir heute die Möglichkeit, echte digitale Geschäftsmodelle und Ökosysteme zu bauen im Bereich SaaS (Software as a Service), die einen nachhaltigen Nutzen für die Anwender bieten. Als Unternehmer bin ich nun von der Planung bis zur Umsetzung verantwortlich.
Sie haben diverse renommierte Plattformen mitbegründet, die es Exponenten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur in exklusivem Rahmen ermöglichen, sich auszutauschen. Weshalb?
Ob mit dem «Club zum Rennweg», «World.Minds» oder auch dem «CFC St. Moritz» – meinen jeweiligen Partnern und mir war es immer ein Anliegen, sowohl internationale als auch lokale Brücken zwischen Menschen zu schlagen, die sonst nur wenig Gelegenheiten hätten, sich auszutauschen. Nur Offenheit für Neues und die Bereitschaft zum Perspektivenwechsel lassen überhaupt Neues gedeihen. So entstehen neue Netzwerke. Ein kuratierter Rahmen ist hierbei grundlegend. Nur wer sich gegenseitig vertraut, tauscht auch Informationen aus. Und Informationsaustausch ist gleichbedeutend mit Wissenszuwachs.
Welche Chancen vergeben Einzelkämpfer, die diesen Austausch nicht suchen?
Ruinöses Konkurrenzdenken und auch Silodenken bringt niemanden weiter. Auch Konkurrenten fahren besser, wenn sie strategische Allianzen bilden und durch die Bildung von Wertschöpfungsnetzen ihre Erträge stabilisieren oder gar optimieren. Eine sogenannte «Coopetition» ist oft gewinnbringender als Silodenken, wo jeder nur für sich schaut und sich so den Zugang zu Lösungen verbaut. Austausch und Zusammenarbeit finden hier höchstens pro forma statt. Die Nachteile sind gravierend. Solches Denken und Verhalten erhöht die Kosten und behindert den Fortschritt. Sich auszutauschen und der Aufbau und die Pflege von Netzwerken – das sind hingegen Innovationstreiber.
Netzwerken, um zu innovieren? Können Sie das genauer erläutern?
Innovation entsteht ausnahmslos durch Information. Und Information wird immer nur durch Vertrauen weitergegeben. Die Welt ist heute so komplex geworden, dass niemand mehr für sich in Anspruch nehmen kann, den Durchblick über alle Systeme zu besitzen. Wir sind immer auf andere Menschen angewiesen, die uns mithelfen, die Welt zu deuten.
Sind Netzwerke ideale «Vitamin-B-Quelle» und perfekte Akquisitionsplattform?
Wer auf «Vitamin B» aus ist und Netzwerke, als reine Akquisitionsplattform sieht, der hat den Grundgedanken dahinter nicht verstanden. Wer an einem Netzwerk-Event nur auf neue Geschäftskontakte aus ist, dem wird man das schnell anmerken. Dementsprechend erfolglos wird sein Unterfangen sein. Wahre Netzwerker mögen Menschen und sind interessiert am Austausch, ohne gleich auf eine Gegenleistung zu spekulieren. Es kommt nicht darauf an, möglichst viele Kontakte anzusammeln. Sinnvoller ist es, wenn man sich auf wenige, dafür aber wirklich passende Kontakte konzentriert.
Und wie baue ich ein Netzwerk auf?
Networking sollte langfristig ausgerichtet sein. Wer ernten will, der muss erst säen. Sie sollten also nicht erst damit anfangen, wenn Sie Unterstützung vom Netzwerk brauchen, beispielsweise, wenn Sie auf Jobsuche sind, sondern dann, wenn noch kein Bedarf für irgendeine Gegenleistung besteht. Der langfristige Beziehungsaufbau sollte deshalb im Vordergrund stehen. Nur so entsteht Vertrauen und Hilfsbereitschaft. Das bedingt, dass man sich zunächst selbst entwickelt. Erst wenn man in sich gefestigt ist, kann man andere unterstützen und weiterbringen. Das wiederum trägt zur eigenen Weiterentwicklung und Reifung bei.
Wie viele Netzwerke braucht der Mensch?
Es reicht nicht aus, einzig ein berufliches Netzwerk zu pflegen. Das erste Netzwerk sollte grundsätzlich die Familie sein. Das zweite Netzwerk sollte ein privates sein – sei es der Bekanntenkreis, die Wohngemeinde oder ein Verein. Diese Netzwerke tragen zur eigenen seelischen Weiterentwicklung bei. Im beruflichen Bereich ist ein Netzwerkaustausch im Bereich der eigenen Funktion empfehlenswert. Einkaufsmanager tauschen sich gerne mit anderen Einkaufsmanagern aus. Sei es im eigenen, wie auch mit solchen in anderen Unternehmen. Gerade für Einkaufsprofis, die immer offen für Innovationen sein sollten, weil sie sich ganz am Anfang der Wertschöpfungskette befinden, gehören das Netzwerken und der Austausch zum Pflichtprogramm.
Die vergangenen Monate haben die Netzwerklandschaft verändert. Geht netzwerken auch online?
«Work from anywhere» ist mittlerweile alltäglich geworden, hat die Arbeitslandschaft nachhaltig verändert und auch das Netzwerken in den vergangenen Monaten vermehrt digital werden lassen. Diese Entwicklung bietet gerade eher introvertierten Persönlichkeiten die Möglichkeit, sich und ihre Überlegungen besser einzubringen, als sie dies vor Ort tun könnten. Das kann nur ein Gewinn für Netzwerke und Organisationen im Allgemeinen sein.
«Ich wage die Prognose, dass in den 200 grössten Unternehmen der Schweiz bis zum Ende dieses Jahrzehntes die CEOs vermehrt aus dem Supply Management und Operations rekrutiert werden.»
Ab und an liest man: «Aus Einkäufern werden keine Geschäftsführer». Teilen Sie diese Ansicht?
Das war bis dato tatsächlich oft so. Als Headhunter habe ich nur wenige CEOs aus diesem Bereich rekrutieren können. Doch das wird sich ändern! Gerade die Pandemiemonate haben deutlich gezeigt, wie existentiell stabile und zugleich agile Lieferketten für das Funktionieren von Unternehmen, aber für die gesamte Wirtschaft sind. Einkäufer generell und CPO im Besonderen sind Schnittstellen- und Stakeholder-Manager, müssen sowohl technisch als auch kaufmännisch beschlagen sein. Ich wage die Prognose, dass in den 200 grössten Unternehmen der Schweiz bis zum Ende dieses Jahrzehntes die CEOs vermehrt aus dem Supply Management und Operations rekrutiert werden. Das eine oder andere international erfolgreiche Beispiel gibt es ja bereits. Tim Cook, der heutige Apple-CEO war bei Compaq für die Materialbeschaffung zuständig, bevor er in Cupertino startete und auch dort die Beschaffung umkrempelte.
Wieso diese Einschätzung?
Wir befinden uns seit einigen Jahren schon in einer Phase der Deglobalisierung. Das hat geopolitische Gründe und wird vermutlich das ganze Jahrzehnt so bleiben. Staaten agieren protektionistischer. Potenziert mit den coronabedingten Effekten kann sich das für Unternehmen mit stark globalisierten, geografisch konzentrierten und kostenoptimierten Lieferketten schnell zur Existenzfrage entwickeln. Unternehmensleitungen müssen ihre bisherigen Strategien überdenken und allenfalls ein Home- oder Nearshoring ins Auge fassen. Die Expertise der Beschaffungsprofis wird also von zentraler strategischer Bedeutung sein.
Spricht da der ehemalige Headhunter aus Ihnen?
Ja klar. Die Rekrutierungskriterien für die CEO-Suche fussen hauptsächlich auf Strategien, die eine Erhöhung der Wertschöpfung zum Ziel haben. Inzwischen sollte allen Unternehmensstrategen klar sein, wie wichtig das Beherrschen der Lieferketten ist und dass Beschaffungsprofis mehr sind als nur digitale Kostenoptimierer.