Bodensee-Region hat digitale Zukunft im Blick
Publiziert am
«Die digitale Vernetzung verändert auch Arbeitswelt und Beschaffungsprozesse der Unternehmen in den Anrainerstaaten Deutschland, Schweiz, Österreich und Liechtenstein», betonte Volkher Lins, Vorstandsvorsitzender der BME-Region Bodensee-Oberschwaben, auf dem 12. Internationalen Bodensee-Forum für Einkauf und Materialwirtschaft in Dornbirn. «Um uns angesichts der neuen Herausforderungen nicht zu verzetteln und die eigenen Unternehmensziele weiter im Auge zu behalten, sollten wir den Weg in die Digitalisierung bedacht, aber auch konsequent gehen. Deshalb ist es für Konzerne und KMU gleichermassen wichtig, Kurs zu halten im Spannungsfeld zwischen Agilität und Stabilität», sagte Lins in Anspielung auf das diesjährige Veranstaltungsmotto.
In diesem Jahr waren 140 Einkäufer, Logistiker und Supply Chain Manager der Einladung der BME-Region Bodensee-Oberschwaben, des Schweizerischen Fachverbandes für Einkauf und Supply Management (procure.ch) sowie des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ) gefolgt. Gastgeber ist traditionell das WIFI – Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer Vorarlberg.
Anschluss verpasst?
«Verschlafen wir die Digitalisierung?», hiess die provokante Frage von Professor Dr. Claus W. Gerberich von der Hochschule Luzern, der die Antwort in seiner Keynote gleich mitlieferte. So würden zwar die Vorteile der Digitalisierung immer häufiger erkannt. Allerdings werde noch zu wenig gehandelt. Er verwies in diesem Zusammenhang auf aktuelle Zahlen zur Lage der Digitalisierung in deutschen Unternehmen. Danach sehen 89 Prozent der Befragten in Industrie 4.0 eine Chance während 78 Prozent bereits eine Digitalisierungsstrategie verfolgen. 58 Prozent sähen sich als Nachzügler der Digitalisierung, acht Prozent darin ein Risiko und fünf Prozent meinten, sie hätten den Anschluss verpasst.
Der studierte Maschinenbauer ging auch auf die Notwendigkeit der Digitalisierung ein. Diese werde seiner Ansicht nach «für die Unternehmen zum existenziellen Schwerpunktthema» und führe zu einem deutlichen Wandel der Wirtschaft. «Die Zeit, wo ein Unternehmen Stand-alone war, ist vorbei. Jetzt geht es um die möglichst enge Vernetzung aller Glieder der Supply Chain», so Gerberich weiter.
Einkäufer als Enabler
Mit der Frage «Einkauf 4.0 – Was macht der Einkäufer dabei?» beschäftigte sich Axel Butterweck, Geschäftsführer der TALENT-net (CH) GmbH, in seinem Statement. Der ehemalige Konzerneinkaufsleiter der Schweizer Post, Bern, sieht seinen Berufsstand als Enabler der digitalen Transformation. Schliesslich kenne der Einkäufer seine Firma, die Innovationen seiner Lieferanten, die kommenden Veränderungen und die Geschäftsrisiken am besten. Bevor er sich jedoch mit den Chancen und Herausforderungen von Einkauf 4.0 auseinandersetze, sollten einige Aufgaben bereits erledigt sein. Dazu zähle laut Butterweck beispielsweise eine mit dem gesamten Unternehmen abgestimmte und von den Stakeholdern freigegebene Beschaffungsstrategie. Darüber hinaus sollten die Lieferantenstammdaten von hoher Qualität und Maverick Buying in allen Unternehmensbereichen kein Thema mehr sein.
Damit Industrie 4.0 und Einkauf 4.0 erfolgreich im Unternehmen realisiert werden könnten, seien vom Einkauf zunächst eine Reihe wichtiger Fragen zu klären: «Welche neuen Entwicklungen gibt es in den Beschaffungsmärkten, aber auch mit Blick auf das eigene Geschäftsmodell? Welche Auswirkungen haben diese auf Strategie, Governance und Compliance?», listete Butterweck weitere To Dos auf. Offene Punkte seien zudem, wie sich das Procurement künftig aufstelle, welche Organisationsformen es wähle und wo genau Kapazitäten gegebenenfalls umgebaut werden müssten. Butterweck wagte auch einen Blick in die Glaskugel. So werde seiner Ansicht nach «der operative Einkauf sterben. Wir wissen nicht wann, aber es wird passieren.» Der Einkauf sollte die Zeit bis dahin nutzen und überlegen, wie er den digitalen «Change begleiten kann».
Vernetzung als Chance
Der Einkauf im digitalen Zeitalter habe es zunehmend mit vernetzten Kunden mit individuellen Bedürfnissen, strengeren regulatorischen Vorgaben und steigendem Wettbewerbsdruck zu tun, so Dr. Heinz Schäffer, Leiter Einkaufsmanagement der W&W Service GmbH. Neue Chancen böten sich in der «Weiterentwicklung bestehender Geschäftsmodelle, dem Identifizieren bisher unbekannter Kundenbedürfnisse und der Erschliessung neuer Märkte», fügte das BMÖ-Vorstandsmitglied hinzu.
Von der Schrotflinte zum Präzisionsschuss
Mit «Digitalisierungswege im Einkauf – von der Schrotflinte zum Präzisionsschuss» wählte Lutz Schwalbach, Leiter operativer Einkauf Göppingen, Weingarten und Versand der Schuler Pressen GmbH, eine martialische Überschrift für seinen Diskussionsbeitrag. Der erfahrene Einkaufsexperte stellte in Dornbirn seinen «persönlichen Pirschpfad» auf dem Weg zum Einkauf 4.0 vor. Dieser beginne mit einer Schulung in die digitalen Aufgaben, Probleme, Auswirkungen und Ziele. Geklärt werden müssten dann der relevante Einkaufsprozess, mögliche Störfaktoren, Konflikte und die genaue Standortbestimmung. Später sollte sich das Unternehmen um die digitale Organisation, die Datenqualität sowie die Qualifizierung seiner Mitarbeiter kümmern. Das gelte auch für die Umstellung der Wertschöpfungskette auf digitale Standards. Der Einkauf 4.0 liesse sich am besten realisieren, wenn zuvor Digitalisierungsstufen definiert würden. Am Ende dieses Prozesses müsse die Ergebniskontrolle stehen.
Frank Rösch
Der diplomierte Journalist arbeitete 22 Jahre für mehrere deutsche Nachrichtenagenturen ist seit 2014 Leiter Presse und Kommunikation des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME in Eschborn bei Frankfurt am Main/Deutschland.